Österreich hat gewählt und ist – wie es ein älterer Mann vor dem Wahllokal treffend ausdrückte – «die Verliererin dieser Wahl». Die rechtsextreme Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) ist dabei die stimmenstärkste Partei geworden. Der folgende politisch-philosophische Text wurde – bereits vor den Wahlen – von Franz Schuh* verfasst, der ihn uns freundlicherweise für den Archipel zur Verfügung gestellt hat. Er analysiert den modernen Faschismus und dessen Erfolg.
Die FPÖ ist selbstverständlich keine nationalsozialistische Partei. Sie ist die soziale Heimatpartei. Die soziale Heimatpartei verwendet Propagandachiffren von damals. Ihre Politik ist eine Art von renoviertem Faschismus, der einerseits seine alten Spuren verwischt und sie anderseits schillernd – zum Wählerfang – ausstellt: Die Erfolge der Goebbels-Propaganda stehen ja ausser Frage: «Systemparteien», «Festung Europa» und so weiter. Heute ist es ein an die postheroische und hedonistische Gesellschaft angepasster Faschismus, über den man nicht zu spekulieren braucht, denn er existiert real in Ungarn, in der Slowakei und in Thüringen.
Alte Spuren
Anders als mein glanzvoller Kollege Hans Rauscher1 glaube ich nicht an die liberale Demokratie. Er scheint wirklich an sie zu glauben, während ich sie bloss für die beste Herrschaftsform unter allen schlechten halte. Der sogenannte Wählerwille wird in dieser Demokratie idealisiert, zum Teil zu Recht, weil wir nichts Besseres haben. Aber geflissentlich unterschlägt die Idealisierung die Irrtumsanfälligkeit der Menschen und im Besonderen die Manipulierbarkeit des Wählerwillens. Die Massen haben sich nicht zum ersten Mal «freiwillig» in ihr Unglück gestürzt. Ursula Stenzel zitierte im Fellner-TV brav Bertolt Brecht: Die Regierung soll sich ein neues Volk wählen, wenn ihr der Wählerwille nicht passt. Super, denn Brecht hat auch gesagt: «Der Schoss ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.»
In der Spätzeit des Kapitalismus zeigt sich, dass die Demokratie neben ihren guten Seiten auch diese eine schlechte hat: Sie stellt Strategien zu ihrer Selbstauflösung bereit. Fundamente dafür sind die riesige Verblödungsmaschinerie, von der die meisten ihrer Medien leben, und das, was im Standard2 der «sich zusammenballende Reichtum» genannt wurde. Tja, die Eigentumsverhältnisse.
Es war klar, dass eines Tages, falls der Konsumismus nicht mehr das Lebens- und Arbeitsleid der Massen kompensieren kann, die ganze Chose nach extrem rechts umkippt. Ich habe mich daher der Rechtswissenschaft gewidmet, und unter Rechtswissenschaft verstehe ich das Studium dessen, was die Rechten so treiben. Aber ich gebe zu, ich wollte mich zurückziehen und mich dem Schönen, Wahren und Guten widmen.
Doch da kam etwas dazwischen, nämlich eine Pressekonferenz der FPÖ zu der von ihr geplanten Zensur des ORF3 – natürlich unter dem Vorwand, auch im öffentlich-rechtlichen Sender endlich die wahre Demokratie einzuführen. Der öffentlich-rechtliche Sender steckt in der Objektivitätsfalle: Wenn etwas objektiv falsch ist, muss man parteiisch dagegen Stellung beziehen. Das benützt die FPÖ, indem sie die – nach journalistischen Regeln – objektive Berichterstattung bezichtigt, parteiisch zu sein.
In der Objektivitätsfalle
Das ist nichts Neues, und auch nicht, dass Peter Westenthaler4 seinen ganzen Sachverstand dafür einsetzt, als «Stiftungsrat» (was für ein lächerlicher Ausdruck) den ORF nicht nur von aussen, sondern auch von innen her zu ruinieren. Aber dann kam in der Pressekonferenz etwas vor, was klassisch den Rechtsextremismus, den alten und auch den neuen, definiert: ORF-Mitarbeiter hätten sich «mit internen Informationen» gemeldet, um die «Verfehlungen» ihres Senders der FPÖ kundzutun. Weitere «interne Informationen» wären willkommen. Das ist zu schön, um wahr zu sein: Die alte Ausbildung und (noch) zwanglose Aufmunterung der Volksgenossen zum Denunziantentum ist naturgemäss Parteiprogramm.
Unser Unglück
Die FPÖ ist der parlamentarische Arm des Rechtsextremismus. Da erklärt der Generalsekretär der FPÖ mit eingelernten Stehsätzen, die Haltung seiner Partei, sie werde sich gegenüber den Identitären nicht ändern: «Warum sollte ich mich gegen eine Gruppe von Bürgern stellen, die von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen und auf Probleme der Zuwanderung hinweisen?» Das gibt der Parteisoldat zur Antwort, als man ihn damit konfrontierte, dass im Kreise der Identitären eine Frau inmitten ihres pathologischen Antisemitismusmonologs gemeint hatte, die Ermordung der Juden sei «geil» gewesen, und ausserdem seien es eh keine sechs Millionen, sondern nur 175.000.
Man könnte auch – in freier Veränderung eines beliebten Sagers von damals – sagen: Die FPÖ ist unser Unglück. Bevor wir dieses Unglück überstanden haben, werden die einen ihre Partei anfeuern und sich von ihr anfeuern lassen, und die anderen werden hartnäckig die Opposition bilden. Probleme lösen kann die FPÖ nicht, aber was sie kann, ist anderen die Schuld dafür geben, und einmal an der Macht, verändert sie die Demokratie so sehr, dass man sie kaum noch abwählen kann. Dann gute Nacht, Österreich!
Franz Schuh*
*Franz Schuh ist österreichischer Philosoph, Essayist, Schriftsteller und Lektor an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Zuletzt erschienen: «Ein Mann ohne Beschwerden» (Zsolnay, 2023). Dieser Text ist eine gekürzte Version seines «Kommentars der Anderen», der am 21. September 2024 in der österreichischen Tageszeitung «Der Standard» erschien.
Hans Rauscher ist ein österreichischer Journalist und Publizist
Österreichische Tageszeitung
ORF = Österreichischer Rundfunk. Es ist ein – bis dato – unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk.
Peter Westenthaler ist ein vormaliger Spitzenrepräsentant der FPÖ, später des BZÖ, jetziger Polit-Analyst beim TV-Sender oe24.tv, Kolumnist der Tageszeitung Österreich und Unternehmer. Seit März 2024 ist er ORF-Stiftungsrat.