PALÄSTINA / FRAUEN: Das Recht auf ein Leben in Würde

von Samah Abunina, 13.09.2025, Veröffentlicht in Archipel 353

Vom 6. bis zum 13. September 2025 haben sich 700 Delegierte aus mehr als 100 Ländern in Kandy, Sri Lanka, zum «Dritten Globalen Nyéléni-Forum» getroffen. Bäuerinnen und Bauern, indigene Bewegungen, Hirt·innen, Fischer·innen, feministische Bewegungen, Jugendliche, Arbeiter·innen und Aktivist·innen kamen aus allen Kontinenten zusammen, um den globalen Kampf für Gerechtigkeit, Würde und das Leben zu erneuern und zu stärken. Hier die Rede von Samah Abunina[1]:

Ich bin eine Frau aus Palästina, wo die Stimmen der Frauen unter den Trümmern begraben sein sollen. Aber trotz der verschiedenen Formen der Blockade bin ich heute hier, um die Stimme der palästinensischen Frauen zu vertreten – der Bäuerinnen, Revolutionärinnen, Märtyrerinnen und Gefangenen. Ich bin Zeugin der Verbrechen, die begangen werden, der Frauen, die ihre Kinder unter den Bombenangriffen verlieren, der Frauen, die aus ihren Häusern vertrieben werden, einer ganzen Generation, der das Recht auf ein Leben in Würde verwehrt wird. Wir haben Völkermord, Hungersnot und Zwangsumsiedlungen erlebt. Dennoch halten wir an unserem Land fest, pflegen es, schützen es und verteidigen es.

In Palästina sind Frauen die Ikonen der Revolution, der Auferstehung und der Wiedergeburt. Sie sind es, die ihre belagerten Häuser und ihr Land schützen, das von Enteignung und Besiedlung bedroht ist. Frauen sind die Hüterinnen des kollektiven Gedächtnisses. Sie sind nicht nur Opfer, sondern Ziele, die, wenn sie getroffen werden, Auswirkungen auf künftige Generationen haben.

Ich stehe heute hier im Namen der Bäuerinnen, die weltweit das Rückgrat der Ernährungssouveränität bilden. Gleichzeitig gehören wir zu denjenigen, die am stärksten von Marginalisierung und Ausbeutung bedroht sind. Frauen in ländlichen Gebieten bewirtschaften ihr Land, bewahren Saatgut auf, kümmern sich um Tiere und tragen die Verantwortung für die Ernährung der Nationen. Dennoch werden ihnen grundlegende Rechte auf Land, Wasser und Saatgut verweigert, und sie sind es, die patriarchalische, soziale und wirtschaftliche Gewalt erleiden. Sie zahlen den höchsten Preis für Armut, Zwangsumsiedlungen und bewaffnete Konflikte.

In der arabischen Region wird das Leid der Frauen auf dem Land durch politische und wirtschaftliche Satellitenregime verschärft, die ausländischen Mächten untergeordnet sind und durch Abkommen eingeschränkt werden, die die Interessen grosser Unternehmen über die Interessen der Bevölkerung stellen. Frauen in ländlichen Gebieten arabischer Länder werden ihrer Ressourcen beraubt und sind durch den Klimawandel und Dürren bedroht. Sie sind mit neoliberaler Agrarpolitik konfrontiert, die ihnen ihre Rechte auf Land, Arbeit und ein würdiges Leben vorenthalten. Dennoch bleiben sie unerschütterlich und kämpfen dafür, dass das Leben weitergeht, dass das Land geschützt wird und dass das Recht der Völker auf Nahrung und Souveränität verteidigt wird.

Die Situation in meinem Land, dem besetzten Palästina, ist noch schwieriger. Palästinensische Bäuerinnen sind mit Besatzung, Besiedlung und Landenteignung konfrontiert, zusätzlich zu der täglichen Gewalt, die von der Kolonialkriegsmaschine der israelischen Regierung ausgeübt wird.

Traum von unzerbrechlicher Freiheit

Der Völkermord, dem die Palästinenser·innen heute ausgesetzt sind, offenbart den grausamen Imperialismus und die Komplizenschaft der kolonialen und kapitalistischen Weltmächte. Bis heute gibt es mehr als 73.000 Tote und Vermisste, darunter 19.000 Kinder. Mehr als 13.000 Frauen wurden durch Bombardierungen, Hungersnot und Belagerung getötet. Palästinensische Frauen verlieren nicht nur ihre Häuser und ihr Land, sondern auch ihre Söhne und Töchter. Ihnen wird das Recht auf Leben verweigert. Dennoch kämpfen sie weiter für ihr Land, für ihr Leben, für eine freie und würdige Zukunft.

Bei «La Via Campesina» bekräftigen wir, dass unser Kampf ein globaler Kampf ist. Wir erkennen, dass unser Kampf gegen die Besatzung in Palästina derselbe Kampf wie gegen den ungezügelten Kapitalismus und die multinationalen Konzerne ist, die den Bauern ihr Saatgut stehlen, die Umwelt zerstören und die Menschen versklaven.

Unser Kampf gegen den Völkermord in Palästina ist ein Kampf gegen patriarchalische, rückständige und imperialistische Regime, die Frauen auf der ganzen Welt unterdrücken. Meine Botschaft an Sie und an alle Frauen, Jugendlichen und Männer auf der Welt, die sich für gerechte Anliegen einsetzen, lautet: Lasst Palästina nicht allein. Unser Kampf ist kein lokaler Kampf. Es ist der Kampf jedes Menschen, der Ungerechtigkeit ablehnt. Wir sind unerschütterlich und wir kämpfen. Wir träumen von unzerbrechlicher Freiheit.

Gemeinsam müssen wir die Bäuerinnen gegen alle Formen von Gewalt und Ausbeutung verteidigen und schützen sowie ihr Recht auf Land, Saatgut und Wasser garantieren. (…) Wir werden eine weltweite Bewegung aufbauen, die auf Solidarität und dem Austausch von Erfahrungen und Wissen basiert und die Ernährungssouveränität in den Mittelpunkt des Kampfes für soziale Gerechtigkeit und die feministische Befreiung, für das Leben und gegen die Politik des Todes stellt. Es gibt keine Ernährungssouveränität ohne ein freies Palästina!

Samah Abunina

[1] Samah Abunina ist Mitglied von La Via Campesina in Palästina. Der Text ist eine Bearbeitung ihrer Rede vor der Frauenversammlung des 3. Weltforums Nyéléni. Originalsprache: Arabisch. Er wurde in Capire am 12.11.2025 veröffentlicht. Capire ist ein Kommunikationsinstrument, das 2021 ins Leben gerufen wurde, um den Stimmen der Frauen in Bewegung Gehör zu verschaffen, die Kämpfe und Organisationsprozesse in den Gebieten sichtbar zu machen und die lokalen und internationalen Referenzen des populären, antikapitalistischen und antirassistischen Feminismus zu stärken.