PATRIARCHAT / FRAUENBEWEGUNG: Frauen und Macht

von Erik D’haese, 01.11.2019, Veröffentlicht in Archipel 286

«Das ist ein hervorragender Vorschlag, Miss Triggs. Vielleicht möchte einer der Herren hier ihn vorbringen.» Diese Sätze, veröffentlicht 1998 in einem Cartoon von Riana Duncan, sind schnell bekannt geworden – und sind es immer noch – weil sie an eine ganz gewöhnliche wie auch beklemmende Situation erinnern. Dreissig Jahre Forschung und Bewusstwerdung sind seither vergangen, doch das Thema der Aufteilung von Macht zwischen den Geschlechtern hat nicht an Aktualität verloren, zweifelsohne weil dessen Wurzeln weit in der Geschichte zurück liegen. Es ist schwer, sich jemanden vorzustellen, der für deren Ausgrabung besser geeignet wäre als Mary Beard.

Beard (geb. 1955) ist eine jener kostbaren Personen, die grosse Gelehrsamkeit mit tiefer Menschlichkeit verbindet, wie sie nur in den besten Freundschaften zu finden ist. Als Professorin für Klassische Altertumswissenschaften in Cambridge hat sie unzählbare Auszeichnungen für ihre akademische Arbeit erhalten. Ihr erstes Buch, The Good Working Mother’s Guide (1989), ist ein praktisches Handbuch für berufstätige Mütter. 2008 trat die BBC wegen ihrer Vorwürfe über die Abwesenheit von älteren Frauen in Fernsehsendungen an sie heran und schlug ihr die Präsentation einer Dokumentationsserie über das Römische Reich vor. Beard sagte zu und wurde einer breiten Öffentlichkeit bekannt. 2017 veröffentlichte sie Frauen und Macht1, das schnell zu einem Bestseller wurde.

Ausschluss aus der öffentlichen Rede

Das Buch beginnt mit Homer, der seit drei Jahrtausenden die Wiege der abendländischen Kultur in Bewegung hält – dies ist natürlich nur eine unschuldige Metapher. Telemachos, Sohn des Odysseus, befielt seiner Mutter Penelope, ihren Mund zu halten und ihre Hausarbeit wieder aufzunehmen, weil «die Rede (…) Sache der Männer» sei. Für Homer war die Fähigkeit, Frauen von der Macht auszuschliessen, ein integraler Bestandteil des Mannwerdens. Was hierbei nicht übersehen werden darf, ist die Tatsache, dass der Ausschluss von Frauen öffentlich vollzogen wurde. Beard nennt den Mechanismus, die Worte einer Frau zu trivialisieren, Reprivatisierung, weil er die Frau – und ihre Rede – in die Sphäre des Privaten verbannt. Im Verlaufe der Geschichte gibt es, wie Beard schildert, zwei Ausnahmen, die Frauen das Recht der öffentlichen Rede zugestehen: die Ankündigung ihres eigenen Selbstmordes, typischerweise nach einer Vergewaltigung, oder in «Frauenangelegenheiten» – Haushalt, Kinder, Ehemann, andere Frauen. In allen anderen Zusammenhängen wurde die Person, die spricht, automatisch als maskulin definiert. Die öffentliche Rede an sich wird demnach zu einer Exklusivität des männlichen Geschlechts. Sie respektiert die Gesetze der Rhetorik und ihre Tonlage ist tief. Die Stimme einer Person mit Leichtigkeit und Weiblichkeit zu assoziieren ist, einstmals wie heute, eine Art dieser Reprivatisierung und nimmt ihr jede Autorität.

Alte und neue Methoden der Diskriminierung

Da diese männliche Definition der öffentlichen Rede nicht immer mit dem Geschlecht der königlichen Nachkommenschaft kompatibel war, musste sich die Geschichtsschreibung zuweilen mit historischen fake news behelfen. So entschuldigte sich Elisabeth die Erste im Jahr 1588 in einer Ansprache vor ihrer Armee angeblich dafür, den «schwachen Körper einer Frau» zu haben. Diese 40 Jahre später erfundene falsche Erzählung ist kein Einzelfall. Die Antike kennt viele Erzählungen starker Frauen: die Amazonen, Lysistrata, Klytaimnestra, Athene, etc. Aber für Beard handelte es sich häufig, im Gegensatz dazu, wie wir heute denken könnten, um vermännlichte Frauen, die in ihrem historischen Kontext der Propaganda dienten, welche die Männer an die weibliche Gefahr erinnern sollten. In der alten griechischen Vorstellungswelt sind «weibliche Macht» und «Katastrophe» Synonyme. Klytaimnestra gelangt in Abwesenheit ihres Mannes Agamemnon zu Macht, und es ist eben diese Macht, die sie mit Testosteron dopt und ins Chaos stürzt. Letztendlich tötet sie in Machtgier Agamemnon und wird selber von ihren Söhnen ermordet, was die patriarchale Ordnung wieder herstellt. Die Amazonen, viel gelobt als Beispiel für weibliche Stärke, waren vor allem eine männliche Erfindung, eine permanente Bedrohung von Ordnung und Frieden, die beweist, dass das einzig wahre Schicksal der Frauen Bett oder Tod ist. Es ist an den Männern, den Erhalt dieser Ordnung sicherzustellen. So ist es nicht erstaunlich, dass Frauen an der Macht bis heute diskreditiert werden, weil sie Frauen sind, anstelle für das, was sie sagen oder tun. Eine Version der Geschichte der Medusa berichtet, wie sie von Poseidon im Tempel der Athene vergewaltigt wird. Für dieses Sakrileg wird sie (nicht er!) in ein Ungeheuer verwandelt, das alle, die ihr ins Angesicht schauen, versteinern lässt. Ihre Schlangenhaare erinnern an Phallusse, an einen unverschämten Anspruch auf die männliche Macht. Im heutigen Informationszeitalter werden die Gesichter von Merkel, May und Roussef mit dieser bekannten Frisur gekrönt und in den sozialen Netzwerken viral propagiert. Auch das Gesicht von Hillary Clinton wird gezeigt: enthauptet, blutend in die Luft gehalten von Perseus, dem Helden-Mörder der Medusa, ersetzt mit dem Gesicht von Donald Trump. Seither wurde diese Szene, mit «Triumph/Trump» betitelt, massenweise auf T-Shirts und Tassen reproduziert, welche die trostlose Kulisse des kapitalistischen Alltags dekorieren. Die heutigen Versprechungen der direkten Demokratie im Netz graben zudem einen weiteren Morast der Misogynie aus: Trolling. Tatsächlich sind die grosse Mehrheit der Belästiger im Internet Männer, die es vorzugsweise auf Frauen abzielen. Beschimpft als «zu hässlich fürs Fernsehen» und oft anvisierte Zielscheibe für Attacken auf Twitter, weiss Beard, wovon sie spricht. Auch dieses ist eine archaische Tradition, die ihren Weg bis in die Gegenwart findet. Sobald sich eine Frau zu sehr auf einem Terrain, welches nicht als feminin konnotiert ist, austobt, handelt sie sich Beschimpfungen und Drohungen ein, die nicht selten über die Grenzen der Legalität hinausgehen. Jacqui Oatley, erste weibliche Fussballkommentatorin im englischen Fernsehen, kann dies bezeugen. Hier handelt es sich für Beard häufiger um enttäuschte als um böswillige Menschen. Trotzdem stellt diese Art der Belästigung sehr wohl eine Form strukturellen Terrors dar, der wie jede Form von Repression, darauf abzielt, Gruppen von Menschen zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen.

Macht neu definieren

Was können wir gegen die Last dieser strukturellen Gewalt tun, die Jahrtausende alt ist? Beard analysiert zwei Strategien. Die erste und medienwirksamere ist die der «starken Frauen». Sie spielen die Regeln des Spiels der von Männern dominierten Welt mit und machen Karriere, bis sie zu tatsächlichen weiblichen Machtsymbolen werden. In diesem Fall sind es die Frauen, die sich neu definieren müssen. Diese «Superfrauen» übernehmen generell männliche Codes, um einem Bild zu entsprechen, das in der allgemeinen Vorstellungskraft mit Macht assoziiert werden kann. Sie tragen Hosen und trainieren die tiefe Stimmlage. Zusätzlich beobachtet Beard, dass sie häufig Symbole, die Frauen gewöhnlich entmündigen, zu ihrem Vorteil nutzen. Die charakteristische und gefürchtete Handtasche von Margaret Thatcher hat selbst ihren Eingang in die englische Sprache gefunden: to handbag (engl., sinngemäss: jmd. mit der Handtasche erschlagen) ist zum Synonym für rücksichtslose politische Machtausübung geworden. Aber diese Erfolgsgeschichten zerbrechen nicht «die gläserne Decke» – das Phänomen gemäss dem, ungeachtet einer günstigen Gesetzgebung, Frauen und Minderheiten die Karriereleiter nicht über eine bestimmte unsichtbare Grenze hinaus erklimmen können. Beard denkt nicht, dass «die Superfrau» ein Modell ist, das viele Frauen inspiriert, die sich – trotz dieser Beispiele – nach wie vor als zu wenig an der Macht beteiligt empfinden. Für die Autorin geht es nicht darum, das Wort an Miss Triggs zu geben, sondern das Bewusstsein über die Prozesse und Vorurteile zu schärfen, die dazu führen, dass ihr nicht zugehört wird. Anstelle die Verhaltensregeln von individuellen Frauen neu zu definieren, um sie an die Regeln der männlichen Macht anzupassen, müssen wir im Gegenteil «Macht neu definieren» und sie zu etwas gestalten, das nicht strukturell die Hälfte der Bevölkerung ausschliesst und diskriminiert – von Minderheiten ganz zu schweigen. «Macht» kann auch als Imperativ genommen werden – als Prozess. Es ist nötig, aus der Sphäre des Besitzanspruchs heraus zu treten, aus der des Privilegs eines überlegenen Individuums, um aus Macht etwas zu machen, das nicht nur denen gehört, die sie tragen, sondern auch denen, die «folgen» – und es ist möglich, etwas anderem zu folgen als einem Führer. Macht ist die Fähigkeit, etwas zu bewirken, etwas in der Welt zu verändern. Sie beinhaltet das Recht, ernst genommen zu werden. Für Mary Beard ist es diese Macht, deren Mangel die Frau jedes Mal schmerzlich spürt, wenn ihr ein Mann ihre eigenen Feststellungen erklärt.

  1. Frauen und Macht, Mary Beard, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018, gebunden, 112 Seiten, 12,00 EUR