Am 2. Juli 2020 fand in der französischen Stadt Gap ein Prozess gegen zwei Grenzpolizisten statt. Das Gericht hatte sich bisher dadurch ausgezeichnet, Menschen zu verurteilen (z.B. die 7 von Briançon), welche Flüchtenden zu Hilfe eilen, die von Italien über die Alpen nach Frankreich gelangen wollen.
Jetzt standen zum ersten Mal zwei Polizisten unter Anklage: der erste wegen «vorsätzlicher Gewalt durch eine Person der öffentlichen Autorität gegenüber einem Minderjährigen», in diesem Fall gegen Moussa [1], einen 16-jährigen afrikanischen Migranten, und der zweite wegen «Urkundenfälschung» und «Veruntreuung öffentlicher Mittel». Die beiden Polizisten waren als Tandem bekannt und gerieten ins Visier einer Untersuchung der «Inspection générale de la police nationale» (IGPN) von Paris, des innerpolizeilichen Organs, das Verfehlungen der Beamt·innen auf nationaler Ebene überprüft.
Doch der Stein kam hauptsächlich ins Rollen durch Moussa, diesen jungen Migranten aus Afrika, der von den zwei französischen Grenzern auf dem «Col de Montgenèvre» an der italienisch-französischen Grenze im Jahr 2018 kontrolliert und wieder nach Italien abgeschoben worden war. Zurück in Italien hatte er festgestellt, dass das Geld in seiner Tasche und auch dasjenige seines Reisebegleiters verschwunden war. Deshalb gingen beide nochmals zurück, um von den Polizisten ihr Geld zurück zu fordern. Dabei stellte Moussa sein Handy auf Tonaufnahme. Die dadurch entstandenen Aufzeichnungen wurden zum Kernstück des Prozesses. Sie bewiesen die Drohungen und physischen Übergriffe zumindest des einen Beamten. Am 30. Juli wurde das Urteil verkündet. Der erste Beamte wurde wegen der vorsätzlichen Gewalt für schuldig befunden und zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung, zu einer Geldstrafe von 1‘000 Euro und zu einem fünfjährigen Verbot der Ausübung eines öffentlichen Amtes verurteilt. Der zweite Polizist wurde wegen Urkundenfälschung und Veruntreuung öffentlicher Gelder zu 18 Monaten Haft auf Bewährung und genauso wie der erste zu 1‘000 Euro Geldstrafe und einem fünfjährigen Verbot der Bekleidung eines öffentlichen Amtes verurteilt. Dieser Beamte hatte sich u.a. angewöhnt, Verkehrsbussen bei ausländischen Auto- und Lastwagenfahrern in bar einzutreiben und in die eigene Tasche zu stecken.
Das Urteil stellt einen wichtigen Schritt dar. Zum ersten Mal wurden verbale und physische Gewalt, rassistische Beleidigungen und Diebstahl durch Polizeibeamte in dieser Grenzgegend vor einem Gericht verhandelt und verurteilt, nachdem die betroffenen Migrant·innen, ihre Unterstützer·innen und verschiedene Menschenrechtsorganisationen diese Tatsachen schon lange angeprangern. Die verantwortlichen staatlichen Stellen hatten diese aber stets abgestritten. Dabei ist zu bedauern, dass jetzt zwei Einzelpersonen für die systematische staatliche Gewalt an den Grenzen herhalten müssen und dass das unmenschliche Grenzregime als solches unangetastet bleibt. Aber immerhin wurde die staatliche und polizeiliche Omerta über die Menschenrechtsverletzungen an der Grenze durchbrochen.
Michael Rössler
[1] Name geändert