PROZESS PINAR SELEK: Keine Verfolgung durch Interpol

von Plattform "Wir sind alle Zeug:innen", 13.05.2025, Veröffentlicht in Archipel 347

Die letzte Anhörung in dem politischen Prozess gegen die Soziologin, Schriftstellerin und feministische Aktivistin Pınar Selek fand am 25. April vor dem 15. Strafgericht in Istanbul statt.

Das kafkaeske Verfahren zieht sich inzwischen seit 26 Jahren hin. Nach vier Freisprüchen wurde sie vor zwei Jahren erneut vor Gericht gestellt. In der vorherigen Verhandlung am 7. Februar dieses Jahres hatten die neu ernannten Richter beschlossen, den Haftbefehl gegen Pinar Selek aufrechtzuerhalten, das Ergebnis des Antrags auf eine «Red Notice»1 (Rote Ausschreibung) bei Interpol abzuwarten und das türkische Justizministerium zum Stand des Rechtshilfeersuchens an Frankreich (wo Pinar Selek lebt) zu befragen.

In der jüngsten Verhandlung am 25. April gab es nur eine – für dieses Mal positive – Neuigkeit: Interpol hat mit einem offiziellen Schreiben das Ersuchen um eine «Red Notice» gegen Pınar Selek abgelehnt. Das bedeutet, dass Interpol die Anklage als unglaubwürdig betrachtet. Obwohl dieses Schreiben in den Akten Eingang gefunden hat, ordnete das Gericht an, weiterhin das Ergebnis des Antrags auf eine «Red notice» abzuwarten. Kafka lässt grüssen! Ausserdem beschloss es, den internationalen Haftbefehl gegen Pinar aufrechtzuerhalten. Der Prozess wurde auf den 21. Oktober 2025 um 10:45 Uhr vertagt.

Wiederum war eine grosse internationale Delegation zur Prozessbeobachtung anwesend. Sie bestand aus Abgeordneten, Bürgermeister·innen, Anwält·innen, Akademiker·innen und Aktivist·innen, Die stellvertretenden Konsule Frankreichs und der Schweiz waren ebenfalls präsent, genauso wie die türkischen Abgeordneten Türkan Elçi, Özgül Saki und Filiz Kerestecioğlu sowie Vertreter·innen von Organisationen der Zivilgesellschaft. Wir rufen alle dazu auf, weiterhin Recht und Gerechtigkeit zu fordern und sich für den endgültigen Freispruch von Pınar Selek einzusetzen.

Plattform «Wir sind alle Zeug·innen»

1.«Red Notice» (Rote Notiz oder Rote Ausschreibung): ein weltweites, an Gesetzesvollstrecker gerichtetes Ersuchen, eine Person mit anhängiger Auslieferung zu lokalisieren und provisorisch festzunehmen. „Red Notices“ werden auf Antrag eines Mitgliedsstaates von Interpol veröffentlicht. Eine „Red Notice“ ist jedoch kein internationaler Haftbefehl. (Nach: www.teichmann-law.ch/rechtsanwalt/interpol-red-notice.html)