Nur wenige Jahre nach dem Systemwechsel 1990 begannen internationale Investor_inn_en, grosse Acker- und Weidelandflächen in Rumänien zu erwerben. Die allgemeine Unsicherheit, die nach dem Zusammenbruch der Ceausescu-Diktatur herrschte, bot eine gute Voraussetzung für den Vormarsch der Landkäufer_innen. Das Phänomen beschleunigte sich mit dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2007. Heute nimmt es besorgniserregende Ausmasse an und bedroht lokale Gemeinschaften und ihre Umwelt. Auch wenn die Landnahme hier nicht durch gewaltsame und andere illegale Prozesse wie in vielen anderen Ländern verläuft, sollte ihre Legalität alleine keine Rechtfertigung für die Skrupellosigkeit des Vorgehens sein.
Das Harbachtal
Wenn man das Harbachtal des zentralrumänischen Siebenbürgens durchwandert, ist man von der unglaublichen Offenheit der Landschaft überwältigt. Die sanften Hügel entfalten sich – frei, gekrönt von ausgedehnten, scheinbar nicht enden wollenden Laubwäldern. Weideland mit Hecken und jahrhundertealten Eichen wechselt sich in der offenen Landschaft mit kleinen Ackerparzellen und Obstwiesen in der Nähe der Dörfer ab. Schafherden durchziehen die Landschaft, begleitet von Hirten und ihren Hunden. Im Hintergrund wachen majestätisch die Fogarascher Berge über die Dörfer und ihre Kirchenburgen. All dies stellt eine Kulturlandschaft dar, wie sie die UNESCO als ein zu schützendes Kulturgut definiert , «das gemeinsame Werk von Mensch und Natur, Ausdruck einer langen und innigen Beziehung zwischen den Völkern und ihrer Umwelt». Das ist es, was Besucher_innen in diese malerische Region lockt, die heute mit Sicherheit als eine der letzten mittelalterlichen Landschaften Europas bezeichnet werden kann und auch für ihre herausragende Artenvielfalt als Natura 2000-Gebiet unter Schutz gestellt wurde.(1) Wenn man jedoch die Hügel hinaufgeht, ändert sich das Bild. Man beginnt etwas zu sehen, was es bis vor einigen Jahren nie in dieser Landschaft gab: kilometerlange Elektro-Zäune. Sie wurden errichtet von Investor_inn_en aus der Agrarindustrie, die Anfang der 2000er-Jahre in die Region kamen und seitdem tausende Hektaren Land kauften und/oder pachteten – als Investment und um im grossen Stil Angusrinder für westeuropäische Verbraucher_innen zu produzieren. Der Prozess verlief zunächst schleichend, doch mittlerweile sind in einigen Dörfern des Harbachtals bereits mehr als 75 Prozent der verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche in den Händen weniger Unternehmen mit überwiegend internationalem Kapital, beispielsweise aus Deutschland, der Schweiz oder Liechtenstein. Was einst durch das Zusammenwirken einer ganzen Dorfgemeinschaft entstand, Frucht jahrhundertalter Traditionen, ist zum Monopol einiger Weniger geworden. Und denen geht es vor allem um Profit.
Eine extrem attraktive Investition
«Rumänien ist das Land, wo es noch sehr viele Landreserven gibt. Wir sollten die Zeit nutzen, solange man zu diesen Preisen noch Flächen kriegt», sagt Theo Häni, ein ehemaliger Investmentbanker der in der Region für reiche ausländische Investor_inn_en grossflächig Land aufgekauft hat, in der 2014 ausgestrahlten Arte-Doku „Die Bio-Illusion“. Er fügt hinzu, dass Investor_inn_en sich auf zwei Gewinnquellen verlassen können: „Auf der einen Seite ist ein Wertzuwachs des Investments praktisch garantiert durch die Preissteigerung der Landflächen. Und zudem, durch die Bewirtschaftung dieser Flächen, werten wir das Land noch zusätzlich auf und erzielen daraus eine Cash-Rendite. Diese Kombination macht das Investment eigentlich attraktiv.“ Zwar sind mittlerweile auch in Rumänien die Bodenpreise gestiegen, gerade durch das Eintreten und den Druck internationaler Investor_inn_en auf den Markt, doch die immer noch bestehende Kluft zu Westeuropa und die niedrigen Betriebskosten garantieren weiterhin hohe Gewinnmargen. Hinzu kommen die hohen Argrarsubventionen, die – so sollte man meinen – die rumänische Landwirtschaft und Landbevölkerung unterstützen sollten. Tatsächlich kassieren aber genau diese Agrarunternehmen den Grossteil der Subventionen. Landnahme bedeutet damit auch Subventionsaneignung. «Direkte Subventionen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik sind sehr ungerecht verteilt. Weniger als 1 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe – Betriebe über 500 Hektar – erhalten 50 Prozent der Subventionen. Die andere Hälfte teilen sich 99 Prozent der Betriebe. (…). Ausserdem hat Rumänien seit seinem Beitritt zur Europäischen Union Anspruch auf Bio-Subventionen. Durch die Umwandlung des gekauften Landes zu biologischer Landwirtschaft kommt also eine zusätzliche Subvention in die Tasche und es wird doppelt lukrativ. Dies erscheint paradox, da ,bevor die grossen Firmen kamen, es kaum Kunstdünger und Pestizide in dieser Landschaft gab. Unter dem Deckmantel ethischer und nachhaltiger Investitionen und ökologischer Landwirtschaft drängen diese Firmen ganzen Territorien ihren Einfluss auf. Die Verbraucher_innen im Westen sind gelassen, weil sie „Bio“ lesen und meinen, es wurde nach Massgaben der Nachhaltigkeit produziert. Die Perversion der Bedingungen, unter denen produziert wird, ist ihnen nicht bewusst. Heute ist die Nachfrage nach Bioprodukten grösser als das Angebot, so dass die Gier der Investoren nicht aufhören wird.
Welche Zukunft auf dem Land?
Die kleinbäuerliche Landwirtschaft wird von der staatlichen und überstaatlichen Politik, die auf die Liberalisierung der Land-, Agrar- und Nahrungsmittelmärkte abzielt, weder ausreichend geschätzt noch unterstützt. In Rumänien haben viele junge Menschen das Land verlassen, um in den Städten und vor allem im Ausland zu arbeiten: Seit 2007 ist mehr als ein Viertel der rumänischen Bevölkerung ausgewandert. Die ländliche Bevölkerung überaltert, ist schlecht informiert und befindet sich häufig in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage, die sie verwundbar macht. In ihrer Perspektivlosigkeit sind die Dorfbewohner_innen froh, über die oft kurzweilige Finanzspritze aus dem Verkauf der Flächen, die sie nicht mehr in der Lage sind zu bewirtschaften. Die Beziehung der Dorfgemeinschaften zu Landschaft und Boden wird dadurch immer schwächer. «Ländliche Gebiete werden allmählich in industrielle Produktionsgebiete für landwirtschaftliche Rohstoffe umgewandelt, zum Nachteil der Landwirtschaft in menschlichen Massstäben, die Arbeitsplätze und hochwertige Nahrungsmittel schafft, die in Rumänien immer noch besonders reichhaltig sind.» Somit trägt die Landflucht zur Landnahme bei, die wiederum die Landflucht nährt. Beide Mechanismen verstärken sich gegenseitig und gefährden die Zukunft ganzer Regionen Mit der Ankunft grosser Kapitalmengen steigen die Grundstückspreise, wodurch der Zugang zu Land für diejenigen, die sich für das Leben als Kleinbäuerinnen und -bauern entscheiden oder darauf angewiesen sind, aufgrund ihres geringen Kapitals stark eingeschränkt ist. Sie können oft nicht dagegen halten und sind nicht konkurrenzfähig. Es steht immer weniger Land zur Verfügung, was auch neue Einrichtungsvorhaben von vornherein verhindert. Darüber hinaus erfordert diese Art der industrialisierten Landwirtschaft sehr wenige Arbeitskräfte. Sie schafft also kaum Verbesserung für die prekäre Lage der lokalen Bevölkerung – keine Arbeitsplätze, keine Dynamik. Ganz im Gegenteil: sie nimmt den ländlichen Regionen Entwicklungsperspektiven. Fast ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe der EU befindet sich in Rumänien. 98 Prozent von ihnen mit einer Fläche unter 10 Hektar. Dennoch produzieren sie zwischen 25 und 30 Prozent der Nahrungsmittel des Landes. Die Subsistenzproduktion ist dabei nicht eingerechnet. Allerdings teilen sich nur 0,5 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe fast die Hälfte der Fläche Rumäniens. «Diese zunehmende Landnahme stellt eine äusserst besorgniserregende Gefahr für die Gesellschaft als Ganzes dar. Das Land, die natürlichen und finanziellen Ressourcen und die Informationen darüber werden allmählich von einer kleinen Zahl von Akteur_inn_en kontrolliert. Diese Machtkonzentration läuft der politischen, wirtschaftlichen und Ernährungssouveränität zuwider.»
David gegen Goliath
Das Verschwinden der Kleinbäuerinnen und -bauern im Harbachtal würde unweigerlich das Aussterben der landwirtschaftlichen Traditionen bedeuten. Nur eine nachhaltige und widerstandsfähige kleinbäuerliche Landwirtschaft, die einen wichtigen Beitrag zur Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität leistet, kann diese Kulturlandschaft lebendig halten, die immerhin eine der artenreichsten Europas ist. Einige lokale und neue Akteur_innen versuchen in den letzten Jahren auch alternative Einkommensquellen aus dem ökologischen Tourismus zu erschliessen. Diese Entwicklung beginnt allmählich einen ernsthaften Platz in der lokalen Wirtschaftsstruktur einzunehmen – es gibt zahlreiche Gästehäuser, Netzwerke kleiner lokaler Produzent_inn_en, Reit- und Radtouren, kulturelle Angebote und noch anderes. Aber auch diese Perspektive droht durch das ungleiche Kräfteverhältnis zerstört zu werden. Es besteht ein klarer Widerspruch in der Art und Weise, wie die Region wegen ihrer landschaftlichen und architektonischen Besonderheiten geschätzt und touristisch vermarktet wird und dem, was von Seiten der Politik erwünscht und subventioniert wird: nämlich riesige eingezäunte Grundstücke von bis zu 500 Hektaren, die Wälder, Bäche, Feuchtgebiete, Obstgärten umfassen, Fusswege und historische Wegebeziehungen blockieren; kleinteilige Landschaften, die zu grossen Mais-Monokulturen zusammengefasst werden, landwirtschaftliche Maschinen, die so breit sind wie die örtlichen Strassen. Diese Praktiken drohen, sowohl den ökologischen als auch den kulturellen Reichtum dieser Region schnell und unumkehrbar zu zerstören. Es kann nicht sein, dass eine der letzten mittelalterlichen Kulturlandschaften Europas mit all ihrem Reichtum und Wissen für den Profit von einigen Wenigen geopfert wird. Wir müssen weiterhin gemeinsam gegen diese Dampfwalze kämpfen, die das Leben in Profit verwandelt und unser Leben zur Wüste macht.
Marie Burgun
- Die mit einem Sternchen gekennzeichneten Zitate stammen aus einem 2013 veröffentlichten Bericht: „Landraub in Rumänien, eine Bedrohung für die ländlichen Gebiete“, Judith Bouniol. Eco Ruralis
[1] Natura 2000: Das Natura 2000-Netz vereint natürliche oder halbnatürliche Gebiete in der Europäischen Union, die aufgrund aussergewöhnlicher Flora und Fauna, die sie beherbergen, von grossem Wert für das Kulturerbe sind. Die Initiative zielt darauf ab, die biologische Vielfalt der Umwelt zu erhalten und die wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und regionalen Erfordernisse dabei zu berücksichtigen.