RUMÄNIEN: Politische Turbulenzen

von Marie Burgun u. Jochen Cotaru, 11.01.2025, Veröffentlicht in Archipel 343

Die politischen Entwicklungen in Rumänien im November / Dezember 2024 haben viele kalt überrascht und erschüttert. Zwar gingen die Wahlprognosen von einem wachsenden Einfluss der Rechtsextremen aus, insbesondere im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen, bei denen eine Stichwahl zwischen Elena Lasconi von der «Union Rettet Rumänien» (USR) oder Marcel Ciolacu von den Sozialdemokraten (PSD) einerseits und dem rechtsextremen George Simion andererseits als ausgemacht galt.

Es war davon auszugehen, dass ein breites demokratisches Bündnis gegen George Simion der «Allianz für die Vereinigung der Rumänen» (AUR) erforderlich sein würde, um ihn zu verhindern. Doch die rechtsextreme Welle, die uns am 24. November 2024 bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen überrollte, löste ein politisches Erdbeben aus. Am 24. November 2024 überraschte das Wahlergebnis nahezu alle: Călin Georgescu, ein bislang weitgehend unbekannter, parteiloser Kandidat, führte von Anfang an das Rennen an. Alle Prognosen liefen ins Leere. Georgescu, Vertreter eines ultranationalistischen und mystizistischen Lagers, überholte die favorisierten Kandidat·innen. Die mediale Aufmerksamkeit fokussierte sich plötzlich auf ihn, obwohl seine Präsenz in den traditionellen Medien nahezu nicht existent war. Stattdessen war seine Wahlkampagne fast ausschliesslich auf TikTok ausgerichtet worden.

Von einem Augenblick zum anderen war die politische Debatte polarisiert. Die Schockwelle des Wahlergebnisses äusserte sich in einem Anstieg offenen Hasses in sozialen Netzwerken, wobei insbesondere LGBT+-feindliche Diskurse dominierten. Dem entgegen formierten sich Proteste in Bukarest und anderen Städten, die meistens unter 1000 Teilnehmer·innen – grösstenteils junge, schockierte Aktivist·innen – blieben. Erstmals wird seither in Rumänien öffentlich über Antisemitismus und die faschistische Legionärsbewegung1 diskutiert. Festzustellen ist dabei, dass viele Menschen nur vage oder gar keine Vorstellung von der historischen Bedeutung dieser Bewegung hatten. Beunruhigend ist es, wahrzunehmen, dass erstmals seit bald zwei Jahrzenten, Journalist·innen ins Visier von mehr oder weniger konkreten Drohungen geraten. Auch von existierenden Listen unangenehmer Medienschaffender ist berichtet worden.

Annullierung der Wahl

Am 6. Dezember 2024 annullierte das Verfassungsgericht in einem nie dagewesenen Urteil den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Begründet wurde dies mit «Wahlmanipulation», der Verwendung undurchsichtiger Technologien und künstlicher Intelligenz im Wahlkampf. Dies habe die Chancengleichheit der Kandidat·innen verzerrt. Das Urteil führte zu einer Neubewertung des Wahlprozesses, der voraussichtlich im Frühjahr 2025 wiederholt werden wird. Die Auswirkungen auf die politische Landschaft Rumäniens sind noch nicht abzusehen, aber der amtierende Präsident Klaus Johannis bleibt – auch dies auf wackliger Verfassungsgrundlage – zunächst im Amt, bis die rechtlichen Prozesse abgeschlossen sind.

Ein gefährlicher Nationalist

Der parteilose Überraschungssieger Călin Georgescu hat eine kontroverse politische Karriere hinter sich. Er stammt aus einem kommunistischen Funktionärshaus und hat in den letzten Jahren immer wieder radikale Positionen vertreten. Als ehemaliges Mitglied der ultranationalistischen AUR (Allianz für die Einheit der Rumänen, Mitglied der EKR im Europa-Parlament) gilt er als Bewunderer des faschistischen Marschalls Ion Antonescu sowie der «Eisernen Garde»[2], einer rechtsextremen paramilitärischen Bewegung aus den 1930er Jahren. Es ist nicht verwunderlich, dass er auf den allen Präsidentschaftskandidat·innen zustehenden staatlichen Personenschutz verzichtete und sich Männer aus dem rechtsextremen und Söldnerumfeld für diese Aufgabe aussuchte. Georgescu hat also ein sehr undurchsichtiges Profil, predigt einen aggressiven Nationalismus, der gegen westliche Institutionen wie die EU und die NATO gerichtet ist, und tritt für eine umfassende Unterstützung russischer Positionen, beispielsweise im Angriffskrieg gegen die Ukraine, ein. Darüber hinaus fordert er eine Wiedereröffnung stillgelegter Fabriken der kommunistischen Periode und einen radikalen Umbau des politischen Systems. Georgescu hat es geschafft, seine Botschaft über moderne digitale Kanäle zu verbreiten, was ihm auch die Unterstützung einer breiten rechten Wähler·innenschaft eingebracht hat. Seine Propaganda fand vor allem auf TikTok statt, was auf seine strategische Nutzung von sozialen Medien hinweist, um jüngere Wähler·innen zu erreichen. Dabei behauptet er bis heute, keinerlei Geld für seinen Wahlkampf ausgegeben zu haben. Recherchen von «Snoop.ro» oder «Rise Project» lieferten jedoch Belege für eine langfristig vorbereitete und finanzkräftige Kampagne, die auf einem riesigen Netz aus Bots und Influencer·innen fusste. Entgegen der geltenden Gesetzeslage war kein einziger Spot von Georgescu oder von anderen, die für ihn warben, als Wahlwerbung gekennzeichnet. Tausende Nutzerkonten, die seine Inhalte verbreiteten, seien erst zwei Wochen vor dem Wahlgang aktiv geworden.

Hintergründe

Die politische Landschaft Rumäniens ist seit den 1990er Jahren von Polarisierung geprägt. Aktuell stehen sich die PSD (Angehörige der SPE im Europaparlament), Mutter der meisten Korruptionsskandale, und die progressiv liberale USR (bei der ALDE beheimatet) gegenüber. Die Nationalliberale Partei PNL (Teil der EVP), Heimat des amtierenden Präsidenten, hat sich in der Koalition mit der PSD der letzten Jahre nahezu ins Abseits manövriert. Die aktuellen Wahlen 2024 zeigen, dass die ultrarechten Kräfte zunehmend an Einfluss gewinnen. Insbesondere die AUR hat sich zu einer echten Bedrohung für die politische Stabilität des Landes entwickelt, was die etablierten Parteien dazu zwingt, sich mit dem Thema Rechtsradikalismus auseinanderzusetzen. Georgescu ist das Beispiel eines Politikers, der die Ängste und Unzufriedenheit vieler Rumän·innen aufgreift, die mit der derzeitigen politischen Elite unzufrieden sind. Mit seinem «souveränistisch» genannten Diskurs, getragen von einer väterlichen Stimme und Phrasen vorgeblicher Fürsorge, scheint er gerade jenen ein Angebot zu machen, die als ungehörte Masse ihren Rücken für das Land krumm machen. Seine Positionen, die auch antieuropäische und anti-westliche Tendenzen beinhalten, finden vor allem bei einem Teil der älteren Wählerschaft und in ländlichen Gebieten Anklang.

Im demokratischen Lager stellt sich wie in Katerstimmung die Frage, ob das Augenmerk sich seit den 1990er Jahren einseitig auf die postkommunistischen Strukturen fokussiert habe. Zu leicht seien antifaschistische Meinungen als kommunistisch denunziert worden. Dabei geriet die Entwicklung im rechtsextremen Lager völlig aus dem Blick und so sei «der rumänische Faschismus (in legionärem oder anderem Gewand), unbehelligt vom ‚Mainstream’ der ‚Intelligenz’, wiedergeboren worden und er begann, sich zu vermehren und Anhänger·innen unter den neuen Generationen zu finden.»[3]

Wie so oft, ist den rumänischen Diensten nur begrenzt zu trauen. Der Chef des Auslandsgeheimdienstes (SIE) amüsierte sich am 8. Dezember 2024, als Verhaftungen militanter Extremisten Hinweise für einen geplanten Staatsstreich boten, bei der Formel Eins in Abu Dhabi. Die Briefings des (oft als Nachfolger der Securitate bezeichneten) Inlandsgeheimdienstes SRI kannten bis Ende November keine relevante rechtsextreme Gefahr; anderslautende Hinweise wurden stets klein geredet und Anzeigen nicht verfolgt. Bei der Notwendigkeit, die entstandene Situation vor einem genuin rumänischen Hintergrund zu betrachten, der auch die Rolle der Orthodoxen Kirche und die miserable Bildungspolitik seit 1990 einschliessen muss, darf nicht die von den Informationsdiensten konstatierte Rolle staatlicher Akteure von ausserhalb Rumäniens vernachlässigt werden. Diese wird wohl von russischen Kräften ausgeübt, wobei die Aufklärung noch im Werden ist. Deutlich aber sind Parallelen zu den destabilisierenden Vorgängen in der Republik Moldau wie auch jenen in Georgien. Dem als Ideologen Putins gehandelten faschistischen Philosophen Alexander Dugin wurden in den ersten Dezembertagen Äusserungen zugeordnet, die eine absehbare Eingliederung Rumäniens nach Russland prophezeiten.

Die Rolle von TikTok als private Datenkrake ist inzwischen Gegenstand von Untersuchungen durch europäische Institutionen. Es wird sich noch zeigen, ob chinesische Behörden in die Wahlkampagne Georgescus involviert waren und somit auch diese Seite unter staatliche Einmischung von aussen fiele. Die politische Frage, wie der zunehmende Einfluss von rechtsextremen Kräften in der rumänischen Gesellschaft langfristig bekämpft werden kann, braucht dringendst Antworten.

Politische Unsicherheit

Rumänien steht vor schwierigen Zeiten. Die grossen politischen Parteien müssen sich entscheiden, ob sie die Herausforderung durch die ultranationalistische Rechte akzeptieren oder sich weiterhin auf ihre traditionellen Koalitionen verlassen wollen. Das derzeitige Fehlen einer breiten, stabilen Zusammenarbeit zwischen den proeuropäischen Kräften könnte zu einer weiteren Fragmentierung der politischen Landschaft führen. Rumäniens Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zur Ukraine und zur Republik Moldau sowie zum Schwarzen Meer schreien jedoch nach Stabilität.

Wie sich die politische Situation bis zu den Neuwahlen im Frühjahr 2025 entwickeln wird und ob es den «pro-europäischen» Parteien gelingen wird, ein starkes, geeintes Bündnis zu bilden, das der zunehmenden Präsenz der Rechtsextremen in Rumänien entgegenwirken kann, ist heute noch offen. Eines ist sicher: Die politische Unsicherheit in Rumänien ist noch lange nicht vorbei, und das Land steht vor einer schwierigen und potenziell gefährlichen Phase in seiner politischen Geschichte.

Jochen Cotaru und Marie Burgun, EBF Holzmengen (RU)

Anmerkung: Dank an eine Vielzahl von analytischen Beiträgen zum Thema an Stefan Bichler, Sibiu/ Hermannstadt.

  1. Von etwa 1933 bis 1938 entwickelte sich die «Eiserne Garde» zur Massenbewegung, auch «Legionärsbewegung» (Mișcarea Legionară) genannt.

  2. Die «Eiserne Garde” war eine faschistische Bewegung bzw. politische Partei im Königreich Rumänien, deren Ideologie von radikalem Antisemitismus, mystisch-orthodoxem Fundamentalismus und rumänischem Ultranationalismus geprägt war.

  3. Andrei Cornea: Sub asediu. Revista 22, 17.12. 20224 (www.revista22.ro/opinii/andrei-cornea/sub-asediu), eigene Übersetzung