In einem Workshop auf der Versammlung für eine solidarische Landwirtschaft «Widerstand am Tellerrand» in Bern am 7. und 8. Februar 2020 ergriff ein Landarbeiter, der als Sans-Papier in der Schweiz lebt, das Wort, um über die erlebte Ausbeutung und den Kampf für seine Rechte zu berichten. «Meine körperlichen Schmerzen vergesse ich manchmal, aber nie den Mangel an Respekt, den ich erlebt habe», sagt der Landarbeiter Kadri B. (1), kosovarischer Staatsbürger um die vierzig Jahre alt, der seit 2013 ohne Aufenthaltsstatus in der Schweiz lebt und für verschiedene Landwirte gearbeitet hat. Er kam in die Schweiz, weil er Geld brauchte, um seine Schulden zu begleichen und um seine Frau und seine Kinder, die im Kosovo geblieben sind, zu versorgen. Sein letzter Arbeitgeber betreibt im Kanton Neuenburg einen 50 Hektar grossen Betrieb mit 180 Tieren, darunter 70 Milchkühe. Kadri musste 98 Stunden pro Woche, sieben Tage pro Woche, ohne Pause, für 5 Franken pro Stunde arbeiten. (2) Sein Chef weigerte sich, ihn zu versichern. Aber 2017, nach mehr als einem Jahr Aktivität, stürzte Kadri durch eine Heuklappe in der Scheune. Er zog sich eine schlimme Rückenverletzung zu. Seit diesem Tag ist er arbeitsunfähig und geht an Krücken. Kadri erzählt: «Der Chef hat mich nicht so behandelt, wie ein Arbeiter behandelt werden sollte. Er hat mich 48 Stunden lang in seinem Haus sitzen gelassen und mich nicht ins Krankenhaus gebracht; vielleicht hatte er Angst vor Schwierigkeiten. Er hat mir nur ein Schmerzmittel und eine Creme gegeben. Als ich ihn bat, mich ins Krankenhaus zu bringen, sagte er mir, dass das mein Problem sei. Als ich dank eines Bekannten dann doch noch ins Spital kam, tauchte der Patron zwei Tage später auf und drohte mir, ich dürfe nicht die Wahrheit sagen, sondern dass ich erst seit zehn Tagen da sei und dass ich vom Küchentisch gefallen sei. Da war für mich das Mass voll und ich erzählte die ganze Wahrheit.» Da Kadri nicht Mitglied einer Gewerkschaft war, suchte er anderswo Hilfe. Kollegen gaben ihm dann die Handynummer eines pensionierten Gewerkschaftssekretärs, der mit der Gewerkschaft l’autre syndicat zusammenarbeitete. Dieser setzte sich mit der Union Ouvrière in La Chaux-de-Fonds in Verbindung und sie unternahmen zusammen Schritte, um einen Anwalt und Zeugen zu finden. Der Prozess fand Mitte 2019 statt. Der Landwirt und sein Sohn wurden verurteilt. Der Landwirt legte jedoch Berufung ein. Die Staatsanwaltschaft sah von einer Verfolgung Kadris wegen Verstosses gegen das Ausländergesetz ab, da er mit diesem Unfall «genug bestraft» worden sei. Wie viele Fälle von moderner Sklaverei in der industriellen Landwirtschaft werden nie entdeckt? In der Schweiz kennen wir nicht einmal die Spitze des Eisbergs! Wir müssen dafür sorgen, dass die ausgebeuteten Menschen aus dem Schatten treten können. Die Versammlung in Bern «Widerstand am Tellerrand» hat Hand dazu geboten und war ein gelungener Beginn.
- Name geändert
- Tageszeitung «24 heures» vom 8.7.2019, Lausanne: «Accusés d’avoir employé un Kosovar 5 fr. de l’heure, 7/7 durant 16 mois.»