SCHWEIZ / FRONTEX: Nein zum Ausbau von Frontex

von Claude Braun, EBF, 10.03.2022, Veröffentlicht in Archipel 312

Am 15. Mai 2022 wird die Schweizer Bevölkerung über die Beteiligung an der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex abstimmen – ein Präzedenzfall in Europa.

An der Beerdigung unseres Freundes Heiner Busch (1) am 21. Oktober letzten Jahres, riefen Pfarrer Andreas Nufer, der durch die Zeremonie führte, und Catherine Weber, seine Lebensgefährtin, dazu auf, statt Blumen zu spenden, kräftig das anstehende Referendum gegen Frontex zu unterstützen. Andreas sagte, es solle im Sammel-Hut vor allem «flocken» statt klimpern. Und siehe da: Es kamen 4000 Franken mit zahlreichen Geldscheinen zusammen. Dies hätte Heiner sehr gefreut. Denn das war der Startbatzen für die Referendums-Kampagne. Was nachher geschah, hätte ihn noch mehr gefreut: Allen Widerwärtigkeiten der politischen und pandemischen Situation zum Trotz kam das Referendum gegen die vom Parlament beschlossene Erhöhung der Schweizer Beteiligung an Frontex zustande. Nachdem wir es geschafft haben, über 62 000 Unterschriften für das Referendum gegen die vom Parlament beschlossene Erhöhung der Schweizer Beteiligung an Frontex zu sammeln, stecken wir jetzt mit Vollgas in der Abstimmungskampagne, denn am 15. Mai 2022 wird – erstmalig in Europa – eine Volksabstimmung über die Beteiligung an Frontex (2) durchgeführt. Beim Unterschriftensammeln für das Referendum war offenkundig, dass die allerwenigsten Leute wissen, was diese Agentur treibt. Nun geht es darum, in möglichst vielen Veranstaltungen und Informationskanälen über deren Mitschuld am Leid von unzähligen Geflüchteten an den Aussengrenzen Europas aufzuklären.

Unverschämtes Wachstum

Zeitgleich mit dieser Ausgabe von Archipel wird ein Sonderbulletin von «Solidarité sans frontières» (Sosf) erscheinen, das explizit diese internationale Grenzagentur zu beleuchten versucht. Es gibt in Europa keine Körperschaft, die einen derartigen Zuwachs an Kompetenzen und Ressourcen erfahren hat, und sich gleichzeitig praktisch jeglicher demokratischen oder parlamentarischen Kontrolle entzieht. Während sich das Gesamtbudget von Frontex im Jahr 2015 auf dem Höhepunkt der Syrienkrise auf 142 Millionen Euro belief, beträgt es heute das Vierfache (543 Mio Euro) und im Jahr 2027 soll es das vierzigfache (!) betragen (5‘600 Mio)! Unzählige Berichte über die mangelnde Transparenz und die Mitschuld an Misshandlungen und illegalen Abschiebungen von Geflüchteten durch diese Agentur existieren bereits. Auch wenn gewichtige Absender wie der Europarat oder das Europaparlament hinter diesen Berichten stehen, zeigen sie kaum Wirkung. Immerhin empfahl das Europaparlament am 22. Oktober 2021 in Strassburg, zunächst 90 Millionen Euro (12 Prozent) aus dem Frontex-Budget für 2022 zurückzuhalten bis die Missstände aufgeklärt sind. Doch was geschieht dann weiter?

Ein Schweizer Volksentscheid als Beispiel

In vielen Ländern wird also mit Neugierde verfolgt, wie sich nun die Schweizer Bevölkerung zu Frontex positionieren wird. Es ist höchste Zeit, dass der Wildwuchs dieser intransparenten und undemokratischen Institution Gegenwind bekommt. Wir sind überzeugt, dass am 15. Mai eine Mehrheit der Abstimmenden ein NEIN in die Urne legen könnte. Bitte melden Sie sich bei uns oder beim Referendumskomitee (www.frontex-referendum.ch), wenn Sie in der Kampagne mitwirken können.

Unsere Gegnerschaft hier in der Schweiz ist keine geringe und Bundesrätin Karin Keller-Sutter hat den Abstimmungskampf bereits am 2. Februar 2022 eröffnet: Am Rande eines Innenminister-Treffens in Frankreich liess sie verlauten, dass ein Nein zum Referendum am 15. Mai katastrophale Folgen und einen unausweichlichen Austritt der Schweiz aus Schengen-Dublin bedeuten würde. Damit verbreitet sie einmal mehr Unwahrheiten, denn ein Austritt wäre mitnichten unausweichlich. Es würde zwar neue Verhandlungen geben müssen, aber für solche existieren Räume und sogar vorgesehene Zeitmargen. Und vor allem lenkt Frau Keller-Sutter vom eigentlichen Thema ab: «Die zahlreichen und häufigen Menschenrechtsverletzungen durch direkte oder indirekte Beteiligung von Frontex, die seit Jahren unter den Augen und mit dem Wissen ihrer Verwaltung stattfinden. Keller-Sutter torpediert damit ein Referendum, das den enormen Verdienst hat, endlich die dunklen Machenschaften der europäischen Grenzschutzagentur ans Licht zu bringen und durch Definanzierung direkt und effektiv gegen das explosive Wachstum von Frontex und damit die Aufrüstung an den Schengen-Aussengrenzen vorzugehen.»(3)

Nun schliessen sich zahlreiche Organisationen und Gruppen zusammen, um diesen Abstimmungskampf zu führen und zu gewinnen. Wir hoffen, dass die Leserinnen und Leser von Archipel sich auch aktiv daran beteiligen. An Möglichkeiten und Wegen dazu mangelt es nicht.

Claude Braun, ch(at)forumcivique.org

  1. Heiner Busch arbeitete mehrere Jahrzehnte für «Solidarité sans frontières» (Sosf) in Bern und für die Zeitschrift Cilip des Komitees «Bürgerrechte und Polizei» in Berlin. Er verstarb viel zu früh an einer Krankheit am 21. September 2021. Er war bei Sosf für das Bulletin und die Dokumentation zuständig. Sein Hauptaugenmerk galt der Kritik vom ständigen Ausbau der Polizeirechte in Europa und so sagte er von sich einmal «Ich habe eigentlich nicht viel gelernt, ausser an der Polizei herumzunörgeln. Das aber gründlich».

  2. Im deutschen Fernsehen ZDF wurde am 1. Februar 2022 die Satiresendung «Die Anstalt» ausgestrahlt. Es handelt sich dabei um eine regelrechte Fundgrube für eine fundierte Kritik am Funktionieren von Frontex – mitsamt weitgehenden Quellenangaben zur Herkunft der Informationen.

  3. Auszug aus dem News-Blog von Sosf vom 8.2.22 (www.sosf.ch)