An Frau Bundesrätin Keller-Sutter, Herrn Staatssekretär Gattiker, an den Nationalrat und Ständerat:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Das «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» ist ein Zusammenschluss verschiedener Beratungsstellen, Organisationen, Anwält·innen und engagierter Einzelpersonen, die Rechtsarbeit im Asylbereich leisten. Aufgrund der aktuellen Lage in Afghanistan richten wir nachfolgend unseren Appell an Sie. Afghanistan ist an die Taliban gefallen, der Präsident ist geflohen. Die Lage im Land ist dramatisch. Die Taliban haben innert kürzester Zeit das ganze Land eingenommen und stehen heute Montag (16. August 2021) im Präsidentenpalast und verkünden ihre Machtübernahme.
In den letzten Tagen und Wochen haben sie fast das ganze Land und alle wichtigen Städte in Afghanistan eingenommen, auch Herat und Masar-i-Scharif, welche bis vor kurzem noch als relativ sicher galten und wohin die Wegweisung aus der Schweiz vom Staatssekretariat für Migration (SEM) beim Vorliegen begünstigender Faktoren noch bis zuletzt als zumutbar eingestuft wurde. Die Folgen der Taliban-Offensive für das afghanische Volk sind verheerend. Besonders Menschen, die sich für demokratische Werte, Frauenrechte und Freiheit eingesetzt haben, aber auch Journalist·inn·en, Künstler·innen und Personen, die sich in anderer Form von den Taliban distanzieren sowie Frauen und Mädchen sind in akuter Gefahr. Sie sind die Hauptziele des Terrors der Taliban. (…)
Als Anlaufstellen für viele Afghan·inn·en, die in der Schweiz Schutz suchen, erhalten wir zahlreiche Anfragen von Personen, welche um die Sicherheit ihrer Angehörigen besorgt sind. Ebenso vertreten und beraten wir nach wie vor Personen, die bereits rechtskräftig aus der Schweiz nach Afghanistan weggewiesen wurden oder deren Beschwerdeverfahren gegen die Wegweisung durch das Staatssekretariat für Migration noch beim Bundesverwaltungsgericht hängig ist. Die Schweiz muss unbedingt ausserordentliche Anstrengungen unternehmen, um auf die dringende Not des afghanischen Volkes zu reagieren. Wir begrüssen die am 11. August 2021 verkündete Aussetzung der Rückführungen nach Afghanistan. Dies ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, welcher jedoch angesichts der Lage bei Weitem nicht ausreicht. Wir fordern daher: 1. Die Aussetzung der Rückführungen ist eine kurzfristige Massnahme. Es zeichnet sich jedoch auch mittel- bis langfristig keine Besserung der Lage in Afghanistan ab und es muss von einer generellen Unzulässigkeit der Wegweisung ins ganze Land ausgegangen werden. Daher müssen alle Personen aus Afghanistan, die sich zurzeit in der Schweiz aufhalten, mindestens eine vorläufige Aufnahme erhalten, und zwar ungeachtet davon, ob sie sich noch im laufenden Asylverfahren befinden oder nicht. Bereits weggewiesene Personen aus Afghanistan haben Anspruch auf eine Neubeurteilung der Wegweisungsverfügung.
2.
Nach dem Vorbild der Aktion für Syrer·innen im Jahr 2013 muss die Schweiz dringend die Erteilung von humanitären Visa für die Familienangehörigen von in der Schweiz lebenden afghanischen Staatsangehörigen erleichtern, unabhängig von deren Aufenthaltsstatus. Diese Möglichkeit sollte dringend auch auf alleinstehende verwandte Frauen und Mädchen ausgedehnt werden, auf Schwestern, Mütter, Nichten, Tanten sowie auf andere besonders verletzliche Familienangehörige.
3.
Der Bundesrat muss in Anbetracht der schrecklichen Notlage eine Nachricht der Solidarität an das afghanische Volk und diejenigen übermitteln, die sich in Afghanistan für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Er muss sich zudem auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft für die Aufnahme von afghanischen Geflüchteten einsetzen und in diesem Bereich mit gutem Beispiel vorangehen.
Das Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich
Für Medienanfragen: Nora Riss, Freiplatzaktion Zürich, 079 586 25 18 Lea Hungerbühler, AsyLex, 079 746 71 82
Für einen Überblick der Appelle und Petitionen in der Schweiz: https://beobachtungsstelle.ch/news/afghanistan-die-schweiz-muss-handeln/
Ähnliche Initiativen gibt es in Deutschland und in Österreich. Wir müssen uns zu Wort melden!