SPANIEN / ANDALUSIEN: Beharrlicher Einsatz für Arbeitsmigrant·innen

von Joanna Moreno, SOC/SAT-Almeria, 12.02.2024, Veröffentlicht in Archipel 333

Wenn wir von unserer Gewerkschaft SOC/SAT-Almeria im südspanischen Andalusien aus einen Rückblick und eine Bilanz auf das vergangene Jahr schreiben sollen, würden wir gerne einfach ein leeres Blatt abgeben. Doch auch im Jahr 2023 waren wir mit der massiven Ausbeutung migrantischer Arbeiter·innen konfrontiert. Dementsprechend intensiv war unsere Arbeit für deren Verteidigung.

Der Fall von Siri ist ein Beispiel für die zahlreichen Missbräuche, welche Migrant·innen erleiden müssen, die an der andalusischen Küste ankommen: Siri aus dem Senegal, ein ehemaliger Fischer, der sich – wie viele seiner Kollegen – gezwungen sah, seine Heimat zu verlassen, weil er Opfer der verheerenden industriellen Fischerei geworden war. Bei seinem Arbeitgeber im Plastikmeer von Almeria musste er für lediglich 900 Euro pro Monat 12 bis 13 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, durcharbeiten – und dies seit drei Jahren ohne jeglichen Vertrag wie ein Sklave. Zum «Mädchen für alles» gemacht, arbeitete Siri abwechselnd in den Gemüsegewächshäusern, als Schäfer und als Putzmann. Sein Chef, ein Gemüseproduzent und Viehzüchter, war selbst mit der äusserst schäbigen Bezahlung mehrere Monate im Rückstand. Als wir von der ganzen Sache erfuhren, setzten wir uns beharrlich für die Rechte von Siri ein: Nach einer Anzeige bei der Arbeitsaufsichtsbehörde und einem Schlichtungsgespräch zwischen dem Arbeitgeber und der Behörde bekam Siri die ausstehenden Entschädigungen und das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und seinem Arbeitgeber wurde offiziell anerkannt. Eine wichtige Voraussetzung war erfüllt, damit Siri früher oder später eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten kann.

«Wesentlich», doch ungeschützt

Siri gehört zu den billigen Arbeitskräften, die zwar während der Covid19-Pandemie als «wesentlich» eingestuft wurden, aber dennoch in prekären Verhältnissen leben und zwar nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesundheitlich, weil sie auch immer wieder Opfer von Arbeitsunfällen werden. Dies ist ein Thema, das öffentlich kaum angesprochen wird, aber uns zunehmend Sorgen bereitet. Bereits Ende 2022, als ein Arbeiter in einer Recyclinganlage für landwirtschaftlichen Plastikmüll von einer Kompressionsmaschine tödlich verletzt wurde, prangerten wir die fehlende Ausbildung für die Sicherheit am Arbeitsplatz und den laxen Umgang der Arbeitgeber mit dieser Frage an. Verletzte Arme oder Beine und ungeschützter Kontakt mit chemischen Mitteln in den Gewächshäusern gehören zum Alltag der ausgebeuteten Migrant·innen. Oft werden kranke oder verletzte Arbeiter·innen von ihren Chefs einfach vor den Toren eines Spitals «ausgesetzt».

Viele billige Arbeitskräfte wie Siri versuchen, bessere Zeiten zu finden und der Prekarität zu entkommen, indem sie in die Baubranche gehen. Doch dies kann sich schnell als Irrtum herausstellen. Auch hier sind wir oft mit traurigen Arbeitsbedingungen konfrontiert und haben mehrere Klagen wegen diversen Missbräuchen gegen Arbeitgeber eingereicht.

Soziale Agrar-Riesen?

Das Jahr 2023 war der Beginn eines langen Tauziehens zwischen unserer Gewerkschaft und dem Salat-Riesen Primaflor/Mimaflor. Das Unternehmen ist ein grosser Empfänger von Fördergeldern der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik der EU) und ein enormer Wasserverbraucher. Während sich der Konzern auf seiner Webseite mit einer sogenannten «Corporate Social Responsibility» (CSR) brüstet und mit den Labels Global Gap und Grasp für soziale Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde, sieht die Realität weitaus weniger rosig aus. Die Praktiken der Firma sind alles andere als sozial gegenüber ihren Angestellten. Nachdem wir einen sehr kritischen Bericht darüber veröffentlicht hatten, besuchte die Arbeitsaufsichtsbehörde den Betrieb. Die Inspektor·innen kamen zu Schlussfolgerungen, die unseren Bericht bestätigten. Sie kritisierten, dass es keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub gibt und auch keinen Stundenplan, d. h. die Beschäftigten können zu Überstunden gezwungen oder je nach den Bedürfnissen des Unternehmens angefordert werden, ohne dafür eine Bezahlung zu erhalten. Die Pausenbereiche und Kantinen reichen nicht aus, um den Bedürfnissen der Beschäftigten gerecht zu werden, und als ob das noch nicht genug wäre, praktiziert der Konzern Repressionen und Einschüchterungen gegenüber Gewerkschaftsvertreter·innen. Vor kurzem wurde eine SOC-SAT-Vertreterin missbräuchlich entlassen, weil sie den Fehler begangen hatte, ihre Rechte einzufordern. Ein Gerichtsverfahren, um die Nichtigkeit dieser Entlassung zu erreichen, wird in Kürze stattfinden.

Die gleiche Auseinandersetzung gibt es mit dem anderen Agrar-Riesen Agrupapulpi, dessen Kapital von Solum Partners gehalten wird, einem amerikanischen Investmentfonds, der sich auf die Übernahme von Unternehmen im Agrarsektor spezialisiert hat. Die 1500 Beschäftigten (Produktion und Verkauf) sehen sich mit verschiedenen Missständen konfrontiert, wie z. B. unbezahlte Überstunden, nicht eingehaltene Pausen und kein vorgesehener bezahlter Urlaub.

Insbesondere in den Gewächshäusern und auf den Plantagen existieren nur unzureichende sanitäre Installationen oder sie fehlen ganz. Ein anderes Problem ist die extreme Hitze im Sommer. Es gibt keine Schatten spendenden oder klimatisierten Einrichtungen, welche die Beschäftigten z.B. während der Einnahme ihres Mittagessens schützen könnten, und keine Zeitpläne, die den Normen zur Vermeidung von Berufsrisiken in Verbindung mit der Hitze entsprechen würden. In den Verkaufsläden sind die Mitarbeiter·innen gezwungen, mehr Stunden zu arbeiten, als in ihren Verträgen festgelegt ist. Ausserdem operiert der Konzern mit temporären Verträgen, die Missbräuchen Tür und Tor öffnen.

Fragwürdiges Business mit Labels

So genannte ethische und naturfreundliche Labels häufen sich für die Unternehmen in der Region. Was sich hinter diesen Qualitätssiegeln verbirgt, steht jedoch oft im Gegensatz zu deren Kriterien. Hier nur eine Auswahl: Mehr als 30 ungerechtfertigte Entlassungen im Juni 2023 bei Natur Place SL (zur Biosol-Gruppe gehörend, CAAE-zertifiziert, Global Grasp), die dank unserer Aktionen in extremis zurückgenommen wurden. Die ECOSUR-Gruppe, die mit den renommiertesten Labels wie Naturland, European Green Leaf, Global Gap und Grasp ausgezeichnet ist, garantierte ihren Angestellten nicht die 40-Stunden-Woche (wie in ihren Arbeitsverträgen vereinbart). ECOSUR liess die Arbeiter·innen willkürlich arbeiten und hütete sich davor, ihnen auch nur ihre 20-minütige Pause zu gewähren. Nach zahlreichen Verhandlungen werden jetzt endlich die Normen eingehalten. Das Arbeitszentrum des Betriebes verfügt nun sogar über einen Bus, um die Angestellten nach der Arbeit so nah wie möglich an ihren Wohnort zu bringen und am nächsten Tag wieder abzuholen. (Tochterunternehmen des Bio-Tomatengiganten Bio Sabor) oder bei El Ciruelo (spanischer Riese für Nussfrüchte). Eine grosse Genugtuung für uns war im Herbst letzten Jahres die Entscheidung des Arbeitsgerichts, das Unternehmen Campo del Levante zu zwingen, die 18 Arbeiter·innen, die der Betrieb hinausgeworfen hatte, wieder einzustellen und zu entschädigen, nachdem das Gericht deren Entlassung für ungültig erklärt hatte. Die Beschäftigten waren also missbräuchlich entlassen worden, nachdem sie ihre Rechte eingefordert hatten. Das Unternehmen hatte nämlich nicht nur zahlreiche Punkte des Tarifvertrages und des Arbeitsrechts nicht eingehalten, sondern auch systematisch Zeitverträge missbraucht.

Unsere Aufgaben waren und sind hier aber nicht zu Ende. Wir protestierten im Januar 2023 gegen die Räumung des Elendsviertels Walili in Nijar und dessen Abriss inmitten eines Grossbrandes, wobei über 450 Migrant·innen ohne alternative Unterkünfte auf der Strasse gelassen wurden. Wir führten Demonstrationen gegen Stromausfälle im Arbeiterviertel El Puche in Almeria durch, wo Kinder kein Licht mehr zum Lernen hatten, Kranke ohne Atemhilfe blieben und wo sich die Familien in ihren Wohnungen nicht mehr mit ihren behelfsmässigen Ventilatoren von der erstickenden Hitze befreien konnten. Auch in diesem neuen Jahr werden wir uns wieder für die Ausgebeuteten und Ausgegrenzten einsetzen und hoffen dabei, ab und zu einen kleinen Erfolg feiern können.

Joanna Moreno, SOC/SAT-Almeria

Medienberichte zum Thema:

Im spanischen Fernsehen (RTVE): «Historia bajo los plasticos en la huerta de Europa»: www.rtve.es/play/videos/en-portada/bajo-plastico/6910773

Im deutschen Fernsehen ARD: www.tagesschau.de/wirtschaft/lieferketten-tomaten-spanien-arbeitsbedingungen-101.html