Der Krieg in der Ukraine hat Sorgen um die Nahrungsmittelsicherheit aufkommen lassen, sowohl in dem vom Krieg zerrissenen Land als auch in anderen Teilen der Welt. Doch der Schlüssel zur Sicherung der Lebensmittelversorgung der Ukraine könnte von einer unwahrscheinlichen Stelle kommen: von kleinen und mittleren Landwirten.*
«Bisher wurden die Kleinbauern von der ukrainischen Regierung zugunsten der grossen Agrarunternehmen weitgehend vernachlässigt», erklärte Mykola Pugachov, stellvertretender Direktor des «Ukrainischen Instituts für Agrarökonomie» auf einer Veranstaltung am 13. April. Diese Situation ändert sich jedoch im Lichte des Krieges schnell. «In einer Zeit des Friedens war das vielleicht eine gute Lösung – während einer Krise ist es jedoch speziell wichtig, die Ernährungssicherheit und Effizienz der privaten Landwirte, der Kleinbauern, zu gewährleisten», sagte er und fügte hinzu, dass ihre Bedeutung «nun zunehmend» sei. «Ihr Beitrag ist wesentlich», so Attila Szocs von der rumänischen Kleinbauernvereinigung Ecoruralis1, die 17.000 rumänische Kleinbauern vertritt und die Situation in der Ukraine analysiert.
Während die ländlichen Haushalte nur 12 Prozent des ukrainischen Agrarlandes auf Betrieben nutzen, deren Grösse von weniger als einem bis zu 100 Hektar reicht, tragen sie nach Schätzungen des Verbands 52,7 Prozent zur Bruttoinlandsproduktion der Landwirtschaft bei. Nach Angaben des Verbands entfallen auf ukrainische Kleinbauern heute 98 Prozent der gesamten Kartoffelernte, 86 Prozent des Gemüses, 85 Prozent vom Obst und 81 Prozent der Milch des Landes. «Wenn man sich die Typologie der Landwirte in der Ukraine ansieht, gibt es wirklich riesige. Aber es gibt auch vier Millionen andere Menschen, die in der Landwirtschaft engagiert sind, darunter viele Kleinbauern», erklärte Attila Szocs. Und nach einem Massenexodus von Agrar- und Lebensmittelunternehmen, die weitgehend von Oligarchen kontrolliert wurden, seien es diese Kleinbauern, die die Scherben aufsammeln müssten, erläuterte er. «Niemand diskutiert wirklich darüber, wer geblieben ist, um anzubauen. Aber wer sind diejenigen, die im Moment in der Ukraine anbauen, und was bauen sie an, wer verwaltet die Ernährungssicherheit des Landes? Es sind die Kleinbauern, die einen Grossteil dieser Lebensmittel produzieren, die im Land bleiben und es wirklich ernähren», sagte er.
Gleichzeitig hat der Zustrom von Millionen von Geflüchteten aus den Städten in die umliegenden, sichereren ländlichen Gebiete die lokalen Nahrungsmittelsysteme zusätzlich unter Druck gesetzt. Zwar haben Nahrungsmittelhilfe und -programme ihren Platz, doch sind sie «aufgrund des Krieges nicht immer ausreichend und schlecht verteilt», erklärte er, was bedeutet, dass die lokalen Bauern die Lücken füllen müssen.
Zusätzlicher Stress
Doch trotz ihrer zentralen Rolle für die Ernährung der ukrainischen Bevölkerung werden Betriebe mit weniger als 100 Hektar von der ukrainischen Regierung nicht anerkannt. Das bedeutet, dass sie historisch gesehen keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung haben, wie Victor Yarovyi, Wissenschaftler am «Institut für Prognoseökonomie der Nationalen Ukrainischen Akademie der Wissenschaften» erläuterte. «Die Unterstützung ist auf Unternehmensfarmen ausgerichtet und echte landwirtschaftliche Haushalte und kleine Farmen bekommen nichts. Das ist das Hauptproblem», sagte er. Dies habe sich auch im Lichte des Krieges nicht geändert, so Szocs von Ecoruralis. «Es ist also ein zusätzlicher Stress für die Kleinbauern, die ohne jegliche staatliche Unterstützung in einer chronischen Situation sind, mit begrenzten Produktionsmitteln und sehr begrenztem Land», schloss er und warnte, dass die ukrainische Landbevölkerung am Rande der Armut stehe, mit 44 Prozent Einkommen unter dem Existenzminimum und 7 Prozent Unterernährung. Gleichzeitig haben, nach der Schätzung von Ecoruralis die grossen Agrarunternehmen, die etwas mehr als zwei Drittel des ukrainischen Agrarlandes kontrollieren, im Jahr 2012 sechzig Prozent aller staatlichen Agrarsubventionen erhalten.
Dies sei ein Muster, das sich mit der internationalen Hilfe zu wiederholen drohe, sagte der Wissenschaftler Yarovyi und erklärte, dass viele Programme, wie das der Weltbank, Kleinbauern nach denselben Kriterien definierten wie die ukrainische Regierung. «Es mag den Anschein haben, dass die Unterstützung auf mittlere und kleine Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe ausgerichtet ist, aber in der Praxis geht sie nicht in die ländliche Entwicklung, sondern in die Unterstützung bestimmter Produzenten von Exportkulturen», und er betont, dass es zwar nicht unbedingt schlecht sei, bestimmte landwirtschaftliche Produkte für den Export zu unterstützen, «aber es trägt nicht zur Beschäftigung auf dem Land bei und auch sonst nicht zu Vielem.»
Gleichzeitig betonte Pugatschow vom Agrarökonomie-Institut auch, dass die Unterstützung dieser Kleinbauern sowohl für die Ernährungssicherheit als auch für die Wiederbelebung der ländlichen Gebiete von grösster Bedeutung ist. «Wir müssen mehr Programme für die Land- und Ernährungswirtschaft fördern. Dazu müssen wir auch Klein- und sogar Kleinstbauern einbeziehen», sagte er und fügte hinzu, dass dies «Beschäftigungsmöglichkeiten für die ländliche Bevölkerung schaffen und gleichzeitig zu einem besseren physischen und finanziellen Zugang zu landwirtschaftlichen Gütern und Technologien beitragen wird. Solche Programme wurden während der Friedenszeiten entwickelt, aber leider wurden sie nie abgeschlossen. Und heute sind sie extrem pertinent.»
Klein und sicher
Kleine landwirtschaftliche Anlagen haben auch andere praktische Vorteile. So betont beispielsweise Pavlo Koval vom ukrainischen Agrarverband, dass es zwar «absolut unmöglich» sei, einige der grössten Verarbeitungsbetriebe aufgrund ihrer Grösse umzusiedeln, kleine und mittelgrosse Unternehmen und Verarbeitungsanlagen hingegen oft «ziemlich effizient und schnell» umgesiedelt werden könnten. Bereits jetzt hätten fast sechzig Unternehmen ihre Verarbeitungstätigkeit auf diese Weise wieder aufgenommen. Szocs fügte ausserdem hinzu, dass die Verwundbarkeit von Grossbauern darauf zurückzuführen sei, dass sie zu «logistischen Zielen» der russischen Aggression würden, und betont, dass eine der ersten Aktionen Russlands darauf gerichtet gewesen sei, die Nahrungsmittelversorgung der Ukraine ins Visier zu nehmen, und dass es im Vergleich dazu «viel schwieriger» sei, mehrere kleine, verstreute Betriebe ins Visier zu nehmen als einen einzigen Grossbetrieb. Diese Feststellung wurde kürzlich vom EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bekräftigt, der hinzufügte, dass dies nicht nur im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit, sondern auch wegen der Frage der Umweltbelastung in den umliegenden Gebieten ein Anliegen sei.
Natasha Foote, EURACTIV.com
*Wir haben die originale, nicht gegenderte Schreibweise in diesem Artikel belassen.
- Zwischen dem EBF und Ecoruralis besteht seit Jahren eine Zusammenarbeit in Rumänien.