Kann man Ökologie zu Politik erheben, ohne Öko-Bürger zu sein? Welchen Typus von politischen Subjekten bringt ökologischer Bürgersinn hervor? Wie stellt sich der Öko-Bürger als von der Natur separiertes Wesen vor? Welches sind die Grenzen einer so gearteten politischen Subjektwerdung? Eine Analyse der Untertöne des Artikels «Tout-à-l’éco» («Alles Öko»), erschienen in der französischen Zeitschrift Z*.
Der Virus Ökologie infiziert in atemberaubendem Tempo alle Bereiche politischer Aktivität. Kein Tag vergeht, ohne dass ein Artikel zu Fragen der Ökologie in der regionalen oder überregionalen Presse erscheint. Die Vorsilbe «Öko-» hat die Funktion eines allgewaltigen Bedeutungsträgers, eines Schlüssels zu öffentlicher Respektabilität übernommen: Öko-Label, Öko-Tourismus, Öko-Quartier etc. «Ebenso parasitär wie eine Kopflaus, kann man sie jedwedem Vokabel anhängen, um diesem das Flair von heutigem Chic zu verleihen». Zyniker sehen darin einmal mehr einen Sieg des Kapitalismus, dem es gelingt, sich das einzuverleiben, was ihn in Abrede stellt. Das Greenwashing1 gibt der Anbeterei von Wirtschaftswachstum neuen Schub, genauso wie die Achtundsechziger Erfolg hatten mit neuen Formen von politischem Management. Große Optimisten nehmen hier denn auch eine neue Etappe in der Propagierung von ökologischen Themen wahr, initiiert von einem mustergültigen Sozialstaat: Anwendung der Umweltcharta von 2005, Unterzeichnung des Umweltschutz-Abkommens, «Grenelle de l’environnement»2 etc. Last but not least, die Gruppierung Europe écologie setzt sich als dritte politische Kraft Frankreichs in Szene, an der Seite von der Regierungspartei UMP und der Sozialistischen Partei. Der Metapher vom Wasserglas vergleichbar sind sie, je nach Betrachtungsweise, entweder halb Grüne oder halb Nicht-Grüne. Es fällt schwer, hier klar zu unterscheiden zwischen neuer Modewelle oder grundlegendem Mentalitätswechsel. Was kommt durch diese Omnipräsenz ökologischer Themen eigentlich mit ins Spiel?
Die Situation verändern?
Ökologischer Bürgersinn, das Herz dieser Welle, umfasst eine Gesamtheit besonderer Praktiken, Zeugnis nachhaltiger Sorge für die Umwelt: Mülltrennung, Einsatz von Energiesparlampen, Haushaltstrom aus erneuerbaren Energien, «sanfter» Tourismus, Verzehr von lokalen oder Bio-Produkten etc. Das für die schlimmen Folgen des Industriekapitalismus «sensibilisierte» Individuum möchte mit seinen Möglichkeiten die Situation verändern, getreu der Maxime von Gandhi: «Werde die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.» Der Öko-Bürger wird zum Modell für alle, ein moderner Stachanow3. «Jeder auf seinem Gebiet und auf seine Weise glaubt an eine andere Art zu handeln, eine ökologisch verantwortliche Art zu leben und zu arbeiten.» Politische und andere gesellschaftliche Akteure sind mit dabei. Den Anstoß zur Einbeziehung von nachhaltiger Entwicklung in das staatliche Bildungsprogramm gab der Rundbrief von Juli 20044, damit auch Schüler schon von früh an für Umweltfragen sensibilisiert werden - in unterschiedlichen Fächern wie auch interdisziplinär. Gleichzeitig geben lokale Verwaltungen das Blatt «écoGeste» heraus; Filmemacher, Dokumentaristen, Politiker klären über die verheerenden Folgen unserer Lebensweise auf: Eine unbequeme Wahrheit von Al Gore, Home von Yann-Arthus Bertrand etc. Zahllose Vereine und Verbände machen sich grüne Anforderungen zueigen, aus Verantwortungsbewusstsein und aus ökonomischem Interesse (Subventionen verpflichten). Jeder bemüht sich, die CO2-Bilanz seiner Aktivitäten zu erstellen, unter Anleitung der Agentur für Umwelt und Energietechnik (Ademe).
Ökologischer Bürgersinn erfasst alle Altersklassen wie ein Fieber, häufig spielen Jüngere die Ratgeber für die Großen. In Troyes zum Beispiel haben Delegierte eines Kinder-Stadtrates Ladenbesitzer aufgesucht, um sie zur Unterschrift der Charta «citoyenne attitude» (Bürgerverantwortung) (sic) zu bewegen. Ein Schritt, der auch zu vertieften Reflexionen zum Thema Umweltschutz bei diesen 49 Dritt- und Viert-Klässlern, 2006 gewählt von ihren Mitschülern, führen soll. Es gibt mannigfaltige und oft recht eindeutige Gründe für einen derartigen Erfolg. Erstens entspricht ökologischer Bürgersinn einem Wandel in der Wahrnehmung unserer speziellen Interessen: Anders konsumieren hieße Verbesserung unserer Lebensbedingungen und die zukünftiger Generationen. «Für unsere Kinder und uns selbst müssen wir den Planeten retten!» Das Gebot eines gesunden Gemeinwesens wird mehr und mehr zum Bewusstseinsinhalt der Bürger. Zweitens ist der Medienrummel rund um das Thema «nachhaltige Entwicklung» auch Motivation für die Wirtschaft. So funktioniert grüner Kapitalismus als Ideologie. Wachstum soll durch Orientierung auf neue Tätigkeitsfelder entstehen, durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Produktion neuartiger Waren. Der Öko-Kapitalist liefert also den Stoff für eine Konsumierung ganz im Sinne der Bürger. Und drittens macht Handeln mit Bürgersinn unseren Alltag wieder politischer in den Ländern, wo politische Aktivität oft auf Zeiten des Wahlkampfes beschränkt bleibt. Wenn ich Müll trenne, habe ich das Gefühl, Gutes zu tun, meine Konsumtriebe zurückzuhalten, und gar teilzuhaben am großen kollektiven Aufbruch zur Rettung des Planeten. Quasi-religiöse Motive sind da nicht mehr weit: Öko-Bürger sind sich innig verbunden in der Hoffnung auf künftiges Heil. Der Erfolg der «Öko»-Welle korrespondiert mit der Artikulation dieser unterschiedlichen Bestrebungen. Gleichzeitig aber hemmt die Sammlung von Argumenten auch, wenn es um eine Praxis geht, die unsere Lebensweise tatsächlich radikal in Frage stellt. Ökologischer Bürgersinn ist Ersatzgewissen. Mit ihm bleiben die Übel bestehen, die er vorgibt, zu geißeln.
Egal ob vom Bedürfnis nach besserem Leben motiviert oder von wirtschaftlichen Erwägungen, der ökologische Bürgersinn legitimiert eine Produktionsweise, die die eigentliche Ursache für die bekämpften Übel ist. Er erweist sich übrigens schnell als widersprüchlich. Warum soll Bio-Konsumierung gut für die Umwelt sein, wenn Bio-Produkte hunderte Kilometer im LKW zurücklegen, bevor sie zu uns gelangen? Kann man noch von einem politischen Akt sprechen, wenn ich untertänig einer Broschüre der Lokalverwaltung folge, die mir die Mülltrennung erklärt? Was nützt es, die Beschäftigungsrate zu steigern in einem Wirtschaftssystem, dem Kapitalismus, der vom Wesen her im Gegensatz zu Ökologie steht 5? Die Menschen fallen auf solche Widersprüche oft nicht mehr herein. Man trennt Müll, ohne sehr daran zu glauben … In einem solchen Klima der Zustimmung ohne Illusionen, werden die kleinen Gesten bald zu einer Sammlung von Idiotien: «Urinieren Sie öko: Wenn der Druck zu groß wird, machen Sie es im Garten.» Das ist das Credo der Bewegung Pee Outside (Draußen Pipi machen), die daran erinnert, dass bei jeder Betätigung der Spülung 12 Liter Wasser verbraucht werden. «Wenn Exhibitionismus an helllichtem Tage nicht geduldet wird, kneifen Sie den Hintern zusammen bis es Nacht wird – denn es ist für den Planeten.» Humor ist durchaus angebracht, sind die Mittel zur Rettung des Planeten doch häufig allzu töricht; ganz nebenbei zerrinnt die Notwendigkeit von politischer Aktion, die sich eben nicht auf der Ebene von individuellen Verhaltensvorschriften entfaltet. Indem er die Gleichgültigkeit der Enttäuschten oder Ungläubigen nährt, pervertiert ökologischer Bürgersinn die politische Dimension von Ökologie, die er eigentlich zu stärken meint.
Ökologie und Politik
Im 19. Jahrhundert geprägt von Ernst Haeckel, umreißt der Begriff «Ökologie» die Wissenschaft von den Beziehungen zwischen lebenden Wesen und deren Umwelt. Ökologie bekommt besonders in den anarchistischen Strömungen jener Zeit eine politische Dimension durch die Infragestellung des Kapitalismus und seiner verheerenden Wirkungen auf Mensch und Natur. Dennoch ist, wie seine Herkunft aus dem Griechischen nahe legt, Ökologie nicht erst im 19. Jahrhundert aufgetaucht. Wenn man sie definiert als die Art und Weise, wie der Mensch sich in die Natur einfügt, um seine existentiellen Bedürfnisse zu befriedigen und seine Art zu erhalten, dann gehört Ökologie unauflöslich zu Politik und Ökonomie. Ohne die Bestimmung und Organisation eines gemeinschaftlichen Territoriums, namentlich in Hinblick auf die Befriedigung von Bedürfnissen der Bevölkerung, gibt es keine Politik. Sie führt einen durch Gesetze geregelten öffentlichen Raum ein, den eine Vision von Allgemeinwohl, gemeinschaftlichen oder nicht gemeinschaftlichen Gütern durchdringt. Dieser öffentliche Raum grenzt sich ab von Hausgemeinschaft (oikos), Ort der Befriedigung von Grundbedürfnissen. Ökonomie ist ursprünglich ein Teilbereich von Politik, wo die Menschen über die Art und Weise des Lebens in Gemeinschaft entscheiden. Öffentlicher Raum ist der jenseits der Hausgemeinschaft gelegene Bereich, in dem die Menschen in Austausch treten und zugleich über ihre gemeinschaftlichen Ideale bestimmen können. In gewissem Sinne beruht jegliche Politik (explizit oder implizit) auf Ökologie. Sie umreißt die Art und Weise, wie die Menschen für ihre Bedürfnisse aufkommen und das Ausmaß, welches selbige annehmen können. Wie Cornelius Costoriadis unterstreicht «kann kein soziales Leben vorkommen, das der Umwelt, in der es sich abspielt, nicht eine zentrale Stellung einräumt.» Der Übergang von unbewusst verhaltensimmanenter zu bewusster Ökologie ist verbunden mit dem Herstellen einer besonderen Art von Verhältnissen in der Gesellschaft, die eine Bedrohung für die Umwelt sein kann, was das offene Verteidigen selbiger einschließt. Dieselbe Logik findet man in Bezug auf die Menschenrechte wieder, wie Engels aufdeckte. Die Menschen haben in dem Moment begonnen, ihre Menschenrechte zu verteidigen, als man sie ihnen nahm. In vergleichbarer Weise sorgen sie sich um ihre Umwelt, wenn das Leben in lebenswerter Umgebung nicht mehr selbstverständlich ist, anders gesagt, wenn die Produktionsweise zum Hindernis für aufblühende soziale Beziehungen wird. «Echte Gemeinschaft ist Wirklichkeit gewordene individuelle Freiheit bedingt durch Produktionsverhältnisse im Schoße einer mit effektiven Produktionsmitteln ausgestatteten Gesellschaft.»
Das Auftauchen eines ökologischen Bürgersinns ist also das Symptom für eine bestimmte Form von Beziehung des Menschen zur Natur. Das willentliche Bekenntnis zu ökologischem Bürgersinn bedeutet, dass der Mensch sich als außerhalb und verschieden von der Natur denkt. Übrigens klingt im Wort «Umwelt» diese Bedeutung schon mit. Sie deutet auf ein Wesen, um welches sich ein Dekor aufbaut, auf eine Form von Außerhalbsein des Menschen gegenüber der Natur also. Diese Einstellung zur Umwelt hat seine Ursache in der so genannten Moderne. Sie entspricht einem von drei möglichen schemenhaften Standpunkten: «Dem, der den Menschen, als Mikrokosmos im Makrokosmos, ins Zentrum der Natur stellt, in eine Beobachtungsposition. Dem, der den Menschen außerhalb der Natur sieht, in der Position des Experimentators, des Beherrschers. Oder dem, der den Menschen wieder mitten in die Natur stellt, ohne herausgehobene Position (…). Diese drei Visionen sind nacheinander aufgetaucht. Die erste ist eine typisch griechische. Die zweite ist unbestreitbar modern: Sie trennt Subjekt und Objekt und eröffnet die Möglichkeit experimenteller und technischer Beherrschbarkeit. Die dritte schließlich ist die jüngste: sie besteht auf unserer Zugehörigkeit zur Natur, sie führt die technische ebenso wie die Erkenntnisrelation ein.»
Die Praktiken im Sinne ökologischen Bürgertums geben dem Menschen die berechtigte Sorge für sein Lebensumfeld zurück, aber sie führen die «moderne» Vorstellung von der Macht über die Natur fort, für die wir von nun an Sorge tragen sollen. Hans Jonas übrigens stützt in Das Prinzip Verantwortung seine Analyse auf das Bekräftigen einer solchen Macht. Wir besitzen die Fähigkeit zur Vernichtung allen Lebens auf der Erde. Also ist diese Macht zugleich Verpflichtung, eine neue Form von Verantwortung. Die Verletzlichkeit des Lebens erlegt uns auf, nunmehr auch die Sorge dafür zu übernehmen: «Du kannst, also musst du.» Eine solche Herrschaftsrhetorik lässt lediglich ein Nachdenken über autoritäre Lösungen der Umweltproblematik zu. Nur ein starker Staat kann die Last dieser neuartigen Verantwortung tragen. «Zunächst sind es die Vorteile der Autokratie, mit denen wir es bei dem kommunistischen Modell des Sozialismus zu tun haben. Die Entscheidungen in den höchsten Machtsphären (…) treffen auf keinerlei Widerstand im Volk. (…) Dies schließt Maßnahmen ein, die die Betroffenen sich selbst nie auferlegt hätten, auch wenn sie ihrem individuellen Interesse entsprochen hätten, die also, selbst wenn die Mehrheit sie angehen würde,schwerlich Gegenstand von Entscheidungen in einem demokratischen Prozess sein können. Genau solche Maßnahmen sind es, die angesichts zukünftiger Bedrohungen erforderlich sind, und das in wachsendem Umfang. Dies sind Vorteile, die das Regieren in jeder Tyrannei hat. In unserem Kontext müsste es lediglich eine wohlwollende, gut informierte und von genauer Sachkenntnis beseelte Tyrannei sein.»
Hans Jonas setzt voraus, dass Individuen niemals fähig sein würden, von sich aus solch radikale Entscheidungen zu treffen, die aber geboten sind, um unsere Lebensweise zu ändern. Nur ein starker, jedoch gutwilliger Staat kann die Widerspenstigen disziplinieren und uns dauerhafte Wohlfahrt bringen. Die «wohlwollende Tyrannei» entspricht, durch ihre Macht, der Belanglosigkeit der kleinen Gesten im Alltag.
In beiden Fällen (ökologischer Bürgersinn und autoritäres Regime) ist politische Ökologie gleichbedeutend mit Unterwerfung. Der Vorteil des ersteren besteht in dem Raum, den er – wenngleich von vornherein eingeschränkt – eröffnet. Jeder ist aufgefordert, Initiative zu ergreifen und erlebt dieses Gebot nicht mehr als puren Zwang.
- Englischer Begriff, der eine Marketingoperation bezeichnet, die dazu bestimmt ist, ein Produkt zu «grünen», um seine Akzeptanz zu erhöhen, ohne seine Eigenschaften zu ändern
- Direkt nach seiner Wahl organisierte Präsident Nicolas Sarkozy einen ambitionierten Umweltgipfel. Mit diesem «Grenelle de l’environnement» versprach er eine «Revolution» im Bereich der Umwelt
3.Der Hauer Alexej Stachanow (1905-1977) überbietet 1935/36 in der Sowjetunion angeblich die Tagesnorm um das 14fache. - Rundbrief Nr. 2004-110 vom 8. Juli 2004: «Die Bewusstwerdung von Fragen der Umwelt, der Ökonomie und der Soziokultur soll mit Hellsichtigkeit statt mit Schwarzmalerei (den Schülern) helfen, die gegenseitige Abhängigkeit der menschlichen Gesellschaften mit der Gesamtheit des Planetensystems besser zu erkennen sowie die Notwendigkeit für alle, die für die nachhaltige Beeinflussung desselben wie auch für die Entwicklung einer weltumspannenden Solidarität geeigneten Verhaltensweisen anzunehmen»
* Die Zeitschrift Z
Wir glauben, dass man Ereignisse besser erzählen kann, wenn man in sie eintaucht. Bei jeder neuen Ausgabe kehren wir dem Büro in Montreuil während einiger Wochen den Rücken und sind mit unserem Kleinbus unterwegs. Z ist weder das Organ einer Partei noch Ausdruck eines monolithischen Engagements. Wir wollen keine Etiketten und stehen zu unseren Stellungnahmen. Wir versuchen, unsere Widersprüche so gut wie möglich zu erklären, wir glauben nicht an die so genannte Neutralität der meisten Medien. Mit dieser Zeitung wollen wir Verbindungen schaffen zwischen all denen, die sich fragen, was sie dort tun können, wo sie sind. In unserem Bus befindet sich ein «Infokiosk», eine kleine Bibliothek mit Zeitschriften sowie theoretischen Schriften. Er steht all jenen zur Verfügung, denen wir auf unserem Weg begegnen.
Revue Z, c/o La parole errante
9, rue François Debergue, F-93100 Montreuil
www.zite.fr - Ein Widerspruch, der aufscheint, sobald man das Ziel unbegrenzten Wachstums auf begrenzte Naturressourcen stützen muss.