«Das Wichtigste ist, die Hoffnung nicht zu verlieren. Das bedeutet nicht, dass man die Augen vor den Schrecken der Welt verschliesst. In der Tat können nur diejenigen, die den Glauben und die Hoffnung nicht verloren haben, die Schrecken der Welt mit echter Klarheit sehen.»
Diese Stelle aus einem Brief, den Václav Havel[1] 1980 aus dem Gefängnis an seine Frau Olga geschrieben hat, zitierte Osman Kavala, als er im Gefängnis erfuhr, dass der diesjährige Václav-Havel-Menschenrechtspreis am 9. Oktober von der parlamentarischen Versammlung des Europarats an ihn verliehen wurde. Mit dieser Auszeichnung wurde er für seine herausragenden zivilgesellschaftlichen Aktivitäten zur Verteidigung der Menschenrechte gewürdigt. Kavala, türkischer Unternehmer, Philanthrop und Menschenrechtsaktivist sitzt seit 2017 im Gefängnis und wurde 2022 u.a. wegen seiner Unterstützung der Gezi-Protestbewegung (im Jahr 2013) zu lebenslanger Haft verurteilt. Trotz der Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), Osman Kavala bedingungslos freizulassen, und Androhungen von Disziplinarmassnahmen gegen die Türkei von Seiten des Europarats, bleibt er in Haft. Doch zur Erinnerung: Der Schriftsteller Václav Havel wurde kurz nach dem Fall der Berliner Mauer am 29. Dezember 1989 durch freie Wahlen zum tschechoslowakischen Präsidenten gewählt. Die Hoffnung Havels und seiner Mitstreiter·innen auf ein Ende des kommunistischen Regimes hatte sich erfüllt.
Für den Widerstand im Iran
Die andere, bekanntere Preisverleihung der letzten Tage könnte uns ebenfalls hoffen lassen, dass den Widerständigen in Ländern wie der Türkei und dem Iran mehr Aufmerksamkeit zuteil wird: Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die iranische Aktivistin Narges Mohammadi «ist in erster Linie eine Anerkennung der sehr wichtigen Arbeit einer ganzen Bewegung im Iran (...)»[1]
Narges Mohammadi, Vizepräsidentin des Defenders of Human Rights Center – DHRC (Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte), kämpft seit vielen Jahren gegen die Unterdrückung von Frauen im Iran, für Freiheit und Menschenrechte. Seit 2010 ist Mohammadi immer wieder zu einer politischen Gefangenen der Islamischen Republik geworden. Zusammengerechnet wurde sie zu 31 Jahren Haft und 154 Peitschenhieben verurteilt. In der Haft führte Mohammadi Interviews mit anderen politischen Gefangenen – während eines Hafturlaubs entstand daraus ein Buch. Ein anderes Mal drehte sie sogar einen Dokumentarfilm über die sogenannte «weisse Folter»[2], während einer kurzzeitigen Entlassung. Beide Werke enthüllen die brutalen Praktiken der Islamischen Republik in der Isolationshaft. Auch aus dem Gefängnis heraus verschafft diese extrem mutige Frau sich Gehör: Seit zwei Jahren ist sie wieder in dem für Folter berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran eingesperrt. Von hier aus konnte Mohammadi einen Bericht über das Ausmass des Einsatzes von Vergewaltigung als Waffe, als Foltermethode und als Mittel zur Einschüchterung, insbesondere von jungen Frauen, herausschmuggeln, der später von der New York Times veröffentlicht wurde. Im September dieses Jahres stieg sie im Gefängnishof auf das Dach eines Fahrzeugs und rief die Parole «Nieder mit der Islamischen Republik». Zum ersten Jahrestag der Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die iranische Sittenpolizei organisierte Mohammadi zusammen mit anderen politischen Gefangenen einen Sitzstreik im Innenhof des Evin-Gefängnisses. Während des Protests nahmen die Frauen ihre Kopftücher ab und verbrannten sie im Gefängnishof. Ihr Ehemann und der Vater ihrer beiden 17-jährigen Kinder, der Journalist Taghi Rahmani, verbrachte selbst 15 Jahre in iranischen Gefängnissen – u.a. im Evin-Gefängnis. Narges Mohammadi hat ihre Kinder seit acht Jahren nicht gesehen und wird auch den Friedensnobelpreis nicht persönlich entgegennehmen können.
Ein neuer, alter Krieg
Während ich über die Anerkennung dieses Widerstands und den damit verbundenen Hoffnungsschimmer schreibe, ist ein fürchterlicher Krieg zwischen der Hamas und Israel ausgebrochen, dessen Tragweite nicht absehbar ist. Die unbeschreibliche Brutalität des Krieges führt uns einmal mehr mit Klarheit vor Augen, dass sich jeder Krieg im Endeffekt gegen die Zivilbevölkerung richtet. Gerade war in Israel eine starke Protestbewegung entstanden – damit ist es jetzt erst einmal vorbei: nationalistische Einheit ist angesagt. Das Grauen, das die Hamas in Israel angerichtet hat, vereint die israelische Bevölkerung in ihrem Entsetzen und ihrer Trauer gegen die Angreifer. Und die Bevölkerung in Gaza? Sie war nie wirklich frei – eingeklemmt und zusammengepfercht zwischen Israel und Ägypten[3] und seit 2006 von der radikal-islamischen Hamas regiert, welche die Macht nicht mehr aus der Hand gegeben hat. Es wird immer betont, dass die Hamas-Regierung, neben dem Aufbau ihrer Armee, nicht nur auf ideologischer, sondern auch auf sozialer Ebene tätig war. Aber hat sie die palästinensische Zivilbevölkerung vor dem fürchterlichen Angriff auf Israel um ihre Meinung gefragt? Jetzt werden in Gaza zahllose Menschen von Israel ausgehungert, verjagt und umgebracht. Ein Ende ist in diesem Moment nicht in Sicht. Dürfen wir überhaupt noch hoffen?
Constanze Warta, Archipel-Redaktion
So die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees Berit Reiss-Andersen.
Als «weisse Folter» gelten Foltermethoden, die vorrangig die Psyche des Folteropfers angreifen, zeitweise oder dauerhaft schädigen oder zerstören. Dazu gehört u.a. die Isolationshaft.
Erst im September 2005 beendete Israel die fast 40-jährige Besatzung des Landstrichs und übergab die politische Kontrolle an die Palästinensische Autonomiebehörde. Damals wurde das israelische Militär aus Gaza abgezogen und die jüdischen Siedlungen geräumt. Seitdem kontrolliert Israel den grössten Teil der Aussengrenzen der Enklave. Ausnahme ist die südliche Grenze, die von Ägypten überwacht wird. (WDR, 10.10. 2023)