ABHOLZUNGEN / UKRAINE : IKEA auf dem Holzweg, Teil 2

von Christoph Lehermayr, 15.11.2020, Veröffentlicht in Archipel 297

Im 2. Teil dieses Artikels (1) schildert ein betroffener Förster den systemischem kriminellen Raubbau in den Wäldern der Ukraine mit Hilfe von «Geisterförstern» und «Maskenbällen». Es wird dargestellt, warum ein angesehenes Gütesiegel daran scheitert, diesen Raubbau zu stoppennd auch in welchem Zusammenhang österreichische Holzgiganten mit IKEA stehen.

Von Geisterförstern und Maskenbällen

Was in den Wäldern der Ukraine geschieht, ist aber weder Zufall, ein Versehen, das Versagen Einzelner noch die sporadische Tat kleiner Gruppen, die sich etwas dazuverdienen wollen. Der kriminelle Raubbau hat nach Ansicht von Earthsight offensichtlich System. Das bestätigt sich bei Einbruch der Nacht, als im Dunkel eines Forstwegs tief in den Karpaten eine Schranke mit Stopp-Schild auftaucht. Dahinter beginnt das Revier eines dieser regionalen Staatsforstbetriebe. Ein Mann, der seit zehn Jahren für sie arbeitet, bittet in eine Blockhütte. Er nennt seinen Namen und seine Funktion, versichert sich erst bei den Anwesenden, dass sie vertrauenswürdig sind, sie ihm Anonymität zusichern, und beginnt dann zu berichten. Ein solcher Whistleblower aus dem Inneren dieser Strukturen ist enorm selten, da er mitunter sein Leben riskiert für die Einblicke, die erst begreifen lassen, was in den Wäldern wirklich vor sich geht. Der Mann schildert, wie bei jeder einzelnen Rodung getrickst wird: „Heisst es etwa, dass wir 200 Kubikmeter einschlagen sollen, machen wir daraus 100 mehr, indem wir einfach die Grenzen des Gebiets erweitert markieren. Von dem, was wir so zusätzlich aus dem Wald holen, bleibt eine Lkw-Ladung bei uns Holzfällern, die andere nimmt sich der Förster.“ Inspektoren würden, wenn sie denn überhaupt auftauchen, häufig geschmiert und das illegale Holz wird schwarz an Firmen weiterverkauft. Die dafür nötigen Papiere gebe es gleich dazu. Um an diese zu gelangen, seien 500 Griwna, umgerechnet 16 Euro, pro Kubikmeter Holz fällig. Wer diese Papiere in Händen hält, hat wie von Zauberhand aus illegal geschlagenem Holz legales gemacht. In den Büchern würden solche Deals auch gern über „Geisterförster“ abgewickelt. Damit sind bereits verstorbene Kollegen gemeint, die weiter in den Personalakten stehen. Eine Lkw-Ladung legalen Holzes umfasst 20 Kubikmeter und kostet 35.000 Griwna (1.160 Euro), dieselbe Menge an Schwarzholz hingegen nur 20.000 (660 Euro). Alle Männer in der Forstgesellschaft seien Teil dieses Systems, weil der Lohn niedrig und der Druck zu gehorchen gross sei. Selbst wenn einer aussteigen wolle, habe er keine Chance: „Jeder fürchtet sich. Sie würden dich rauswerfen und danach auffressen.“ Man sieht dem Mann die Angst an, aber auch das Bedürfnis, all das zu berichten. Warum aber wagt er es? Wieso spricht einer aus der Mitte dieser staatlichen Holzmafia? „Weil ich diese Ungerechtigkeit nicht länger aushalte“, sagt er, „sie sind so gierig, sie kriegen niemals genug, versuchen, so viel wie möglich einzuheimsen. Es ist schrecklich, und es war noch nie so schlimm.“ Der regionale Staatsforstbetrieb, für den der Informant arbeitet, ist wie 90 Prozent der Wälder in den ukrainischen Karpaten FSC-zertifiziert (2). Innerhalb von nur fünf Jahren hat sich die Zahl der FSC-Wälder in der Ukraine verfünffacht. Dieses rasante Wachstum spiegelt den Druck wider, Holz aus der korruptionsverseuchten Forstwirtschaft des Landes mithilfe des Siegels für den Export in die EU unbedenklich zu machen. Ein zentrales Versprechen des FSC-Zertifikats besteht jedoch darin, regelmässig die Einhaltung aller Gesetze zu überprüfen und somit illegales Fällen auszuschliessen. Was das in der Praxis der Staatsforste in den Karpaten bedeutet, umschreibt der Informant mit dem Wort „Maskenball“: „Wenn diese FSC-Inspektion einmal im Jahr stattfindet, wird uns vorher komplett neues Arbeitsgewand ausgeteilt, Handschuhe, Hosen, Helme, und wir stehen da wie Clowns. Alles soll so wirken wie in Europa. Und kaum sind die Inspektoren weg, nehmen uns die Chefs die Sachen wieder ab.“ Allzu viel von dem, was abseits dieser Show im Wald passiert, würden die Kontrolleure des FSC nicht mitbekommen. Eigenständiges Erkunden wird nicht geduldet und auch gar nicht versucht, laden doch die Forstchefs ihre Gäste lieber zum Feiern in die Datscha des Reviers. „Bei Wodka und Schaschlik“, wie der Informant sagt, verschwinde rasch der Wunsch, den Dingen allzu sehr auf den Grund zu gehen.

Das Scheitern des Gütesiegels

Wie gravierend das FSC-Siegel an der ukrainischen Realität scheitert, zeigt die Tatsache, dass sowohl der IKEA-Zulieferer VGSM als auch die regionalen Staatsforstbetriebe, von denen die Firma Holz bezieht, allesamt FSC-zertifiziert sind. Obwohl der Großteil der hier erwähnten Verfehlungen in der Lieferkette von der staatlichen Umweltaufsicht der Ukraine dokumentiert ist, fiel den FSC-Prüfern bei ihren Kontrollen entweder nichts davon auf oder es schien sie nicht sonderlich zu kümmern. Hinterfragenswert erscheint das, da es sich nicht um einmalige Verstösse handelte, sondern sich diese Jahr für Jahr wiederholten. Interessant sind daher die Stellungnahmen der einzelnen Glieder dieser Kette, bei denen sich Widersprüche auftun. Erst beruft sich die Firma VGSM gegenüber Earthsight auf eine unklare Gesetzeslage, die Rodungen auch während der Ruhezeit ermöglicht hätte. Weiter heisst es, dass von der Umweltinspektion, die diese als illegal klassifizierte, ja keine Strafen verhängt worden seien. VGSM halte sich an alle Gesetze und FSC-Standards, verstünde aber, „dass es einen europäischen ökologischen Standpunkt gibt, wonach Holz, das durch Bruch einer Vorschrift geerntet wird, als illegal gilt“. Auf Anfrage von unserer Zeitung „Addendum“ stand IKEA-Österreich-Geschäftsführer Alpaslan Deliloglu für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung. Die IKEA-Zentrale vermittelte stattdessen deren globalen Forstmanager Ulf Johansson für ein Gespräch. Der sieht die Vorwürfe als „aus dem Kontext gerissen“, es gebe „kein Indiz für illegalen Einschlag oder anderes illegales Verhalten”. Auf den Einwand, dass die staatliche Umweltinspektion aber genau solches feststellte, reagiert er ausweichend. Aus seiner Sicht würde das Gesetz der Forstgesellschaft vorschreiben, nur einen Teil des Waldes von Fällungen während der Ruhezeit auszunehmen, überall sonst sei Einschlag möglich. Das würde auch FSC bestätigten, „und das ist das robusteste und glaubwürdigste Zertifizierungssystem auf dem Markt“. Doch genau FSC hält wiederum in einer bereits zuvor an Earthsight ergangenen Stellungnahme fest, dass „die Ruheperiode auf alle Forstgebiete angewendet wird, unabhängig der Verbreitung von Tieren“. Angesprochen darauf, dass selbst FSC seine Argumentation nicht teilt, wirkt Johansson überrascht und sagt: „Ja, wir müssen mit FSC noch einmal darüber sprechen, denn dieses Holz ist FSC-zertifiziert, und es ist das System, dem wir vertrauen.“ Nach diesem Interview langt bei Addendum eine Stellungnahme von FSC ein, worin es eine 180-Grad-Wendung vollzieht und plötzlich erklärt, dass das Gesetz „offen für Interpretationen“ sei, Einschlag erlaubt wäre und daher „die Firma nichts falsch gemacht hat“. Man würde nun weitere Untersuchungen vornehmen, um wegen der Gesetzeslage Klarheit zu schaffen. Skeptisch macht das, weil in der Vergangenheit illegaler Einschlag in der Ukraine so gut wie nie durch FSC-Kontrollen aufgedeckt wurde, sondern der Anstoss dazu immer erst von aussen kam, entweder durch Investigativ-Journalist_inn_en oder Umwelt-NGOs. Was aber bringt eine Prüfung, wenn die Prüfer_innen von alleine kaum etwas finden? Die Zweifel am FSC-System wachsen, da die Prüfer auch keinen Anstoss daran nahmen, als gegen einzelne Mitarbeiter jener Staatsforstbetriebe, die VGSM beliefern, Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts eingeleitet wurden. Trotz der Versäumnisse musste keines der Glieder dieser FSC-Kette, die am Ende IKEA erreicht, befürchten, jenes wertvolle Zertifikat zu verlieren, das ihnen den lukrativen Export des Holzes sichert. Eine mögliche Ursache könnte der Interessenkonflikt sein, der dem FSC-System innewohnt. Denn immerhin sichern hauptsächlich die Firmen, die das Gütesiegel tragen, mit ihren jährlichen Beiträgen die Existenz des FSC. Umgekehrt besitzt FSC jene Prüfgesellschaft, die die unabhängigen Zertifizierer der FSC-Mitglieder überwacht. Die Geprüften bezahlen also nicht nur ihre Prüfer, sondern auch die „Prüfer der Prüfer“ werden letztendlich von den Geprüften bezahlt. Konkret umgelegt auf die Ukraine bedeutet das etwa, dass drei private Zertifizierungsfirmen für die FSC-Prüfungen bei den regionalen Forstgesellschaften des Staates sorgen und von diesen dafür bezahlt werden. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, dass die strengste dieser Firmen nicht unbedingt die mit den meisten Kunden sein wird. Das gilt es zu bedenken, wenn IKEA als Gründungsmitglied des FSC nun verspricht, fortan seinen gesamten Holzbedarf aus zertifizierten Wäldern zu decken. So löblich diese Nachhaltigkeitsinitiative sein mag, so fehleranfällig bleibt das System dahinter. „Denn mit unseren Recherchen stiessen wir vermutlich nur auf die Spitze des Eisbergs“, sagt Earthsight-Direktor Sam Lawson, „VGSM und die dortige Forstgesellschaft sind nicht der faule Apfel im sonst guten Korb, sondern typische Vertreter ihrer Gattung in der Ukraine; vermutlich gibt es sogar weitaus Schlimmere. IKEA kauft im Vergleich zur Ukraine noch viel mehr Holz aus ähnlich korrupten Ländern wie Russland. Es gibt nur einen Grund, warum solche Unstimmigkeiten dort bislang nicht aufgedeckt wurden: Keiner hat dazu noch recherchiert. IKEA weiss sehr wohl, dass FSC Probleme hat. Indem es das Gütesiegel aber zur Expansion in so korrupte Länder trieb, hat es diese eher noch vergrössert und bislang seine Schlagkraft nicht geltend gemacht, um die fundamental nötigen Reformen des FSC-Systems anzustossen.“ Der österreichische Holzverarbeiter Schweighofer verlor 2016 sein FSC-Siegel.

Österreichische Holzgiganten als IKEA-Zulieferer

Was alles erst passieren muss, bevor eine Firma ihr FSC-Zertifikat verliert, beweist das Beispiel eines österreichischen Giganten. Über Jahre hinweg bissen sich Umweltaktivisten in Rumänien an der Holzindustrie Schweighofer die Zähne aus. Sie verfolgten Lkw um Lkw von der Wildnis bis zum Werkstor, sammelten Material, das zeigte, wie illegales Holz aufs Gelände gelangte und filmten gar versteckt einen von deren Managern, als er zusagte, dieses zu akzeptieren. Und trotzdem geschah nichts. Weder in Rumänien, wo Schweighofer mit seinen Werken den Markt dominiert, noch in der Ukraine, von wo er zu Zeiten des autoritären Präsidenten Wiktor Janukowitsch Holz im Wert von 100 Millionen Dollar bezog. Dessen Forstdirektor hatte über Briefkastenfirmen ein Schmiergeldgeflecht installiert, das ausländischen Unternehmen den Zugang zum Holz sicherte, sofern sie entsprechend einzahlten. Schweighofer wurde in Vorermittlungen vorgeworfen, über seine slowakische Subfirma Geld in dieses System gepumpt zu haben. Erst als die Beweise, aber vor allem der öffentliche Druck, derart erdrückend waren, geriet FSC ins Handeln und entzog Schweighofer schliesslich 2016 das Gütesiegel. Bis dahin stand auch eine bekannte Firma auf deren Abnehmerliste: IKEA. Ein weiterer Zulieferer der Schweden ist ebenso ein heimischer Gigant des Holzes und an seinem Standort im Norden Rumäniens ein direkter Nachbar von Schweighofer – die Tiroler Firma Egger. Mit einem Jahresumsatz von 2,8 Milliarden Euro ist sie der zweitgrösste Spanplatten-Produzent der Welt. Von Schweighofer, die neuerdings lieber „HS Timber Group“ heisst, bezieht Egger Holzabfälle in Form von Sägespänen und fertigt daraus Spanplatten, die auch IKEA brauchen kann. Egger liefert sie zur Weiterverarbeitung etwa an die rumänische IKEA-Subfirma Ecolor, die daraus Laden für das beliebte Stauraumsystem Besta herstellt und auch Platten für das Wandregal Algot fertigt. Lange liess sich Egger im Monat bis zu 600 Güterzugwaggons voller ukrainischem Rundholz direkt in seine rumänische Fabrik nahe an der Grenze bringen und hat dafür eigens Gleise der russischen Breitspur verlegt. Egger war zu diesem Zeitpunkt einer der Hauptabnehmer von Beregomet, einem Staatsforstbetrieb aus der Region Tschernowitz in der Bukowina. Ein vom damaligen ukrainischen Premier 2018 in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht wirft diesem Unternehmen vor, solches Rundholz auch nach Inkrafttreten eines Exportverbots weiter nach Rumänien geliefert zu haben – mit gefälschten Dokumenten und als Feuerholz deklariert. Ein möglicher Abnehmer wird in dem Bericht nicht genannt. Beregomet wurde deswegen zu einer hohen Strafe von 8,5 Millionen Griwna (280.000 Euro) verurteilt.

Bestechungen, Gerichtsverfahren, Prozesse

Der brisante Untersuchungsbericht, der nach seinem Erscheinen rasch in einer Schublade in Kiew verschwand, belegt weiters, dass Beregomet für illegale Abholzungen in Naturschutzgebieten verantwortlich war, die allein in den ersten Monaten des Jahres 2018 einen geschätzten Schaden von 25 Millionen Griwna (830.000 Euro) verursachten. FSC erklärt gegenüber Addendum, dass Beregomets FSC-Zertifikat 2018 jedoch verlängert wurde. Bei einer Überprüfung seien Lösungen für die Probleme dort erarbeitet worden, heisst es. Aktuell laufen jedoch weiter Gerichtsverfahren gegen Verantwortliche der Firma sowie den damaligen Forstdirektor der Region. Dieser wurde auf frischer Tat beim Versuch ertappt, Polizisten zu bestechen, damit sie bei illegalen Rodungen wegschauen. FSC sei dies bekannt, und es würde erneut eine Untersuchung stattfinden, um „die Wurzel dieser Sache“ herauszufinden: „Da das ukrainische Justizsystem aber langsam und undurchsichtig ist, kann dieser Prozess dauern“, heisst es von FSC. Für Egger scheint dies keinen Grund darzustellen, deswegen die Beziehung zu seinem ukrainischen Zulieferer zu überdenken. Das österreichische Unternehmen erhält von diesem weiterhin Holz, nun eben in Form von Hackschnitzeln und Sägespänen. Egger hält gegenüber Addendum fest, Holz nicht direkt von Beregomet oder anderen Staatsforstbetrieben, die nebenbei alle FSC-zertifiziert seien, zu beziehen, sondern Handelsorganisationen zu nützen. Der erwähnte Untersuchungsbericht sei der Firma „bedauerlicherweise nicht bekannt. Die daraus zitierten Vorhaltungen wären allerdings auf das unternehmerische Handeln von Egger ohnehin nicht anzuwenden. Denn das von Egger eingekaufte und verarbeitete Sortiment ist vom Export nicht ausgeschlossen.“ Egger habe zudem „geeignete Massnahmen zur Risikominimierung getroffen, kann alle erforderlichen Zertifikate und Dokumente zur Holzherkunft bis zum Wald vorlegen und damit die Einhaltung von gesetzlichen oder privaten Zertifizierungsanforderungen nachweisen“. Für IKEA bleibt Egger jedenfalls weiter ein wichtiger Zulieferer. Erst im Jänner dieses Jahres wurde Egger von den Schweden überprüft, heisst es in der Stellungnahme. Und man habe dies „ohne jegliche Beanstandungen bestanden“. So gelten am Ende alle als Gewinner: IKEA, dessen Umsätze steigen, FSC, das von diesem Wachstum profitiert und seinen Einfluss ausweitet, die Zulieferfirmen, die dadurch gute Geschäfte machen, und die illegalen Strukturen, denen es weiter gelingt, ihr Holz in dieses System zu schleusen – nur einer verliert. Der Wald.

Christoph Lehermayr, Journalist

  1. Dieser Artikel gehört zum Projekt «Holzmafia» der Internetzeitung Addendum (addendum.at) und wurde dort am 23. Juni 2020 erstmals veröffentlicht. Der Autor wurde bei seinen Recherchen von Mitgliedern des EBF-Ukraine tatkräftig unterstützt.
  2. Das FSC-Siegel des Forest Stewardship Council (eine internationale Non-Profit-Organisation) soll gewährleisten, dass das verwendete Holz aus nachhaltiger und umweltgerechter Waldbewirtschaftung stammt.