Adiós, Ascen

09.05.2006, Veröffentlicht in Archipel 137

Der Tod von Ascension Uriarte, die wir Ascen nannten, ist ein großer Verlust für das Europäische Bürgerforum. Sie erlag am 24. Februar mit 47 Jahren völlig überraschend einer Gehirnblutung. Als gebürtige Spanierin war sie von den rassistischen Ausschreitungen gegen marokkanische Tagelöhner im andalusischen El Ejido im Februar 2000 besonders betroffen. Sofort ergriff sie die Initiative, um eine erste internationale BeobachterInnen-Delegation nach El Ejido zu entsenden.

Doch es ging Ascen nicht nur um das Aufzeigen von Mißständen, genauso stark war ihr ein Anliegen, selbst ein solidarisches Leben aufzubauen im Rahmen der Kooperativen von Longo mai. Lourdes Mendez, eine Weggefährtin von ihr seit Jugendtagen, würdigt ihr Leben und Wirken:

Ascen kam im Sommer 1981 nach Longo mai. Sie war gerade 22 Jahre alt und hatte ihr Astrophysikstudium beendet. Der spanische Diktator Franco war im November 1975 gestorben, gerade als sie in die Universität eintrat. Spanien glich damals einem explodierenden Dampfkochtopf. Nach vierzig Jahren der Repression und des Schweigens fielen die Verbote, und die Gesellschaft konnte endlich aufatmen. Damals kannten Ascen und ich uns seit drei Jahren, und wir wollten anders leben. Wir hatten schon diejenigen kennen gelernt, die sich als «politisch» bezeichneten, aber wie Spießbürger lebten, und andere, welche davon redeten, aufs Land zu gehen, aber dabei die Welt um sich herum vergaßen. Ich lernte damals Longo mai in Südfrankreich kennen, schrieb sofort an Ascen, und sie kam. Sie wollte reisen, erst einmal Lateinamerika entdecken. Doch die GründerInnen von Longo mai überzeugten sie davon, dass es wichtig sei, schon hier in Europa die Welt zu verändern. So entschied sie sich zu bleiben. Ascen war zwar in der Großstadt aufgewachsen, doch sie begeisterte sich rasch für das Leben auf dem Land. Sie begann, sich in der Kooperative um die Tiere zu kümmern: Zuerst um die Kühe, Schweine, Kaninchen und Hühner, später kamen Truthühner, Gänse und Perlhühner dazu. Die Geflügelzucht lag ihr besonders am Herzen. Sie bereiste ganz Frankreich auf der Suche nach robusten Hühnerrassen und stellte mit ihren Freundinnen eine beeindruckende Zucht auf die Beine.

Schon bald machte sie sich daran, die Initiativen von Longo mai, des CEDRI 1 und später des Europäischen Bürgerforums in Spanien bekannt zu machen. Nach dem Militärputsch in der Türkei 1980 fand sie an die vierzig Gemeinden in ihrem Land, welche mit der türkischen Stadt Fatsa eine symbolische Partnerschaft eingingen. Das türkische Militär hatte gerade das interessante Experiment einer städtischen Selbstverwaltung in Fatsa brutal zerstört und Hunderte von BürgerInnen ins Gefängnis geworfen, wo ihnen die Todesstrafe drohte.

Danach kam es zur internationalen Kampagne für die Befreiung von Otelo de Carvalho, dem Hauptstrategen der friedlichen Nelkenrevolution in Portugal, die der Herrschaft des Diktators Salazar das Ende bereitet hatte. Er war beschuldigt, einer «terroristischen Vereinigung» anzugehören. Ascen mobilisierte erfolgreich mehrere spanische Juristen für die Beobachtung seines Prozesses. Otelo musste schließlich freigelassen werden.

Als wir dann erfuhren, dass die TagelöhnerInnen in der andalusischen Landwirtschaft schwere Strafen erhielten, weil sie eine Landreform forderten und brachliegendes Land der Grossgrundbesitzer besetzten, mobilisierte Ascen Juristen aus ganz Europa, die bei den Prozessen gegen die LandarbeiterInnen eine internationale Präsenz sicherstellten. Von damals datiert die enge Freundschaft mit der andalusischen Gewerkschaft SOC 2.Aus dieser Verbindung entstanden mehrere landwirtschaftliche Kooperativen in Andalusien. Und als es anfangs 2000 zu den massiven, rassistischen Ausschreitungen in El Ejido kam, erneuerte sich unsere Zusammenarbeit mit dieser Gewerkschaft – dieses Mal, um gegen die Ausbeutung der ImmigrantInnen in den Plastiktunnels des industriellen Gemüseanbaus zu reagieren.

In den Jahren 1988/89 tauchte Ascen mit einer Handvoll FreundInnen in eine Untersuchung über das GAL 3 ein, dieser unheimlichen Todesschwadron, die direkt vom spanischen Staat ausgesendet wurde, um in Frankreich baskische Flüchtlinge zu töten. Das CEDRI veröffentlichte den Untersuchungsbericht als Buch, das auf Französisch und Spanisch erschien – zu einem Zeitpunkt, als noch niemand über diesen Skandal redete. Wenig später prägte die Affäre endlich die Schlagzeilen in der spanischen Presse, und es kam zu Verurteilungen von Staatssekretären und Ministern.

Der Jugendtraum von Ascen, nach Lateinamerika zu gehen, erfüllte sich zum ersten Mal 1985, als sie an einer internationalen Arbeitsbrigade in Nicaragua teilnahm. Danach baute sie den Kontakt mit lateinamerikanischen BäuerInnen-Bewegungen von Kolumbien über Brasilien bis Venezuela auf. Noch in der letzten Zeit hatte sie zwei Reisen nach Venezuela unternommen, um in der Praxis zu erleben, wie sich die Menschen selbst organisieren, begünstigt durch den «bolivarischen Prozess» der Regierung Chavez.

Doch es zog sie immer wieder zurück in die südfranzösische Kooperative von Longo mai, wo ihr Lebenspartner, ihr Sohn und ihre Tochter lebten, und von wo aus sie wiederum häufige Ausflüge nach Spanien unternahm. So half sie einer Gruppe von Jugendlichen, sich in den Bergen unweit von Madrid niederzulassen, um eine selbstverwaltete Utopie auf dem Lande aufzubauen, und sie beteiligte sich am «Blauen Marsch» gegen das größenwahnsinnige Projekt der rechten Regierung, den Flusslauf des Ebro nach Andalusien umzuleiten. In den letzten zwei Jahren folgte sie den historischen Spuren des spanischen Anarchismus, der sie besonders interessierte, und beteiligte sich an einer Forschungsarbeit über den spanischen Bürgerkrieg, ausgehend von den Erzählungen des Anarchisten Antoine Gimenez 3. Noch vor kurzem initiierte sie in der Provence eine regelmäßige Sendung für das Lokalradio Zinzine, das sich auf der Kooperative von Longo mai befindet. Sie interviewte Menschen, die sehr lebendig über die Entwicklung der letzten dreißig Jahre in unserer Region berichten konnten.

All diese Aktivitäten hinderten Ascen jedoch nicht daran, auch weiterhin in der Landwirtschaft und in der Tierzucht präsent zu sein. So spross im Garten der Safran und ein heller, geräumiger Geflügelstall aus Erdziegeln entstand. Sie beschäftigte sich mit homöopathischer Veterinärmedizin und der Herstellung von Brot aus verschiedenen Getreidesorten. Der Aufbau einer Mühle war in Planung.

Die Liste der unzähligen Projekte und Ideen, die verwirklicht wurden oder noch auf ihre Realisierung warteten, muss unvollständig bleiben. Nachdem Ascen uns verlassen hatte, erfuhren wir nach und nach, dass sie eigentlich mit allen, die sie kannte, ein Projekt auf dem Feuer hatte. Wir werden versuchen, das eine oder andere für sie zu verwirklichen.

Überall, wo Ascen entlangging, entstanden tiefe Freundschaften und wunderbare Momente, in denen wir gemeinsam redeten und lachten über eine Welt, die es galt, in den Träumen immer wieder neu zu bauen und dabei doch mit den Füssen auf der Erde zu bleiben. Jetzt müssen wir es ohne sie versuchen. Sie wird uns dabei sehr fehlen.

Hasta siempre, compañera!

Lourdes Mendez *

Longo maï, EBF

*In Zusammenarbeit mit Johanna Bouchardeau

  1. GAL: Groupe Antiterroriste de Liberation / Antiterroristische Befreiungsgruppe

  2. Antoine Gimenez & les Giméologues: «Les fils de la nuit – Souvenirs de la guerre d’Espagne», Edition L’Insomniaque , Montreuil, 2006. Bisher nur auf Französisch.

  3. CEDRI: Comité Européen pour la Défense des Réfugiés et Immigré(e)s – Europ. Komitee zur Verteidigung der Flüchtlinge und ImmigrantInnen.

  4. SOC: Sindicato de Obreros del Campo, andalusische LandarbeiterInnengewerkschaft