Es gibt keine Gentechnik mehr in der Landwirtschaft! Weit gefehlt. An dem internationalen Treffen «Widerstand gegen gentechnisch manipulierte Pflanzen (GMO1)», auf Französisch kurz «RIR OGM», in Lorient, vom 28. bis 30. April, stellten die 150 Anwesenden aus 30 Ländern und vier Kontinenten das Gegenteil fest.
Die Hafenstadt Lorient liegt so ziemlich im nordwestlichsten Zipfel Frankreichs, in der Bretagne, und es waren die bretonischen Feldbefreier_innen, die zu dem Treffen eingeladen hatten. Seit zwanzig Jahren gibt es in Frankreich Aktionen, bei denen Felder mit gentechnisch manipulierten Pflanzen zerstört werden. Ursprünglich waren es vor allem Bauern und Bäuerinnen, die gegen den Anbau von GMO-Pflanzen vorgingen. Als sie durch eine Welle von Prozessen in Schwierigkeiten gerieten, riefen sie die Konsument_innen auf, den Kampf weiter zu führen. So entstand eine breite Bewegung von Feldbefrei-er_innen, die bis heute Felder zerstört, aber längst nicht mehr die gleiche Publizität bekommt wie in den Anfangsjahren. Die Saatgutkonzerne nehmen lieber den Verlust einer Ernte in Kauf, als den Gentechnikgegner_innen durch Prozesse eine Medienpräsenz zu erleichtern. Dafür ist die Sympathie mit den Feldbefreier_innen in Frankreich zu hoch.
Als die Proteste gegen Gentechnikpflanzen in Europa abnahmen, weil die EU darauf mit strengeren Vorschriften für die Zulassung und den Anbau reagiert hatte, machten die Feldbefreier_in-nen darauf aufmerksam, dass sich die Gentechnik in der Landwirtschaft in Wirklichkeit ständig weiter ausbreitet. Dabei sind in den letzten Jahren enge Beziehungen zu Bäuerinnen und Bauern in anderen Kontinenten entstanden. Das erste internationale Treffen hatte 2016 in Burkina Faso stattgefunden, wo im Jahr davor die genmanipulierte Baumwolle von Monsanto nach massiven Protesten verboten worden war. Im Herbst 2016 kamen Teilnehmer_innen des ersten Treffens zum Internationalen Monsanto Tribunal in Den Haag.
Die verborgene Gentechnik
In Europa war die sogenannte «Transgenetik» Grund für die breite Protestwelle, die zu strengeren Regeln geführt hatte. Bei dieser Technik werden Gene eines Organismus in das Erbgut eines nicht verwandten Organismus künstlich eingefügt. Von den auf diese Art manipulierten Sorten ist zurzeit in der EU nur eine Maissorte von Monsanto, der «Mon 810», für den europäischen Markt zugelassen; er wird hauptsächlich in Spanien angebaut. Aber es werden weiterhin Versuche mit «transgenen Pflanzen» durchgeführt. In Belgien fördert die flämische Regierung Versuche mit genmanipulierten Pappeln zur Produktion von Ethanol, und in Zürich wurde in diesem Jahr wieder ein Versuchsfeld mit transgenem Weizen angelegt.
Hingegen breiten sich in Europa genmanipulierte Raps- und Sonnenblumensorten unkontrolliert auf den Feldern aus. Grund dafür ist, dass sie bisher nicht als gentechnisch manipulierte Pflanzen deklariert werden müssen. Sie sind mit einer Technologie entstanden, die man als «Mutagenese» bezeichnet, wobei das Erbmaterial starken Giften oder Strahlung ausgesetzt wird bis die überlebenden Pflanzen sich so verändert haben, dass sie tolerant gegen ein bestimmtes Pestizid sind. Das bedeutet, dass sie das Pestizid aufnehmen können, aber nicht dadurch absterben. Diese sehr viel ältere Technik als die Transgenetik fällt zwar auch unter die Definition von Gentechnik, die alle lebenden Organismen bezeichnet, deren natürliche Eigenschaften künstlich verändert wurden, wird jedoch von der EU bisher nicht als solche eingestuft.
Die Gentechnikforschung hat noch eine Reihe weiterer Technologien entwickelt, wie z. B. die «Cis-Genetik» oder «CRISPR/Cas», die bisher auch nicht unter die Gentechnikregelungen fallen und mit denen die Gentechni-ker_innen hoffen, ihren grossen Traum von selbst geschaffenen Pflanzen und Tieren nun endlich realisieren zu können. Die Konzerne allerdings verbinden damit die Hoffnung, bald auf alle Pflanzen und Lebensmittel Patente anmelden zu können.
GMO sind Pestizide
Ausserhalb Europas breiten sich die hier verbotenen transgenen Pflanzen rasant weiter aus. Grund dafür ist die hohe Nachfrage nach Futtermitteln, Zucker und Energiepflanzen in Europa und China. Betroffen sind vor allem Soja, Mais, Zuckerrohr, Ölpalmen und Baumwolle, die in grossen Monokulturen angebaut werden.
99 Prozent aller genmanipulierten Pflanzen sind tolerant gegenüber einem oder mehreren Pestiziden oder produzieren selbst Pestizide wie die sogenannten BT-Pflanzen. Die Futtermittel aus GMO-Feldern werden billiger verkauft als die von den konventionell gezüchteten Pflanzen, weil die Felder zu jeder Zeit und grossflächig gegen Unkräuter und Schädlinge mit immer grösseren Maschinen oder Flugzeugen gespritzt werden können. Das Problem der Pestizide ist mit der Verwendung von Gentechnik sprunghaft angestiegen, weil der Pestizid-Einsatz sich um ein Vielfaches erhöht hat.
Soweit die Grundinformationen, um verstehen zu können, warum die Teilnehmer_innen teilweise mehrere tausend Kilometer gereist sind, um drei Tage in Lorient zu diskutieren.
Ziel war es, die unterschiedlichen Kämpfe in den verschiedenen Ländern gegen den Vormarsch der Saatgut- und Pestizid-Konzerne besser zu kennen, zu verknüpfen und zu stärken.
Kämpfe gegen Gensoja …
Die Aktionen der Feldbefrei-er_innen in Frankreich richten sich sowohl gegen die «verborgenen Gentechpflanzen» als auch gegen den Import von GMO-Futtermitteln. Im Hafen von Lorient haben sie bereits mehrere Schiffsladungen mit Gen-Soja ungeniessbar gemacht. Der Import von genmanipuliertem Soja ist ein wichtiges Thema auf dem Treffen. Die Bretagne ist in den letzten 20 Jahren zum grössten Fleischproduzenten in Europa geworden, 60 Prozent der Milch von ganz Frankreich werden hier produziert. Schweine, Rinder, Hühner und Puten, die man nie sieht, werden hier in der Nähe der Häfen in riesigen Anlagen gemästet. 3,5 Millionen Tonnen Sojaschrot werden jährlich über die Häfen von Lorient und Brest importiert und in der Bretagne verfüttert. Das bedeutet, dass zu den 1,5 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche der Bretagne eine Million Hektar landwirtschaftliche Fläche in Brasilien bzw. Argentinien dazugerechnet werden müssen. Das System funktioniert seit Jahren und wenn man die Augen verschliesst, sieht man weder den Hunger der Bevölkerung in Brasilien, Argentinien und Paraguay, die für die riesigen Sojafelder von ihrem Land vertrieben wurde, noch all die Krankheiten der vielen Menschen, die durch den hohen Einsatz von Pestiziden auf diesen Feldern verursacht worden sind und werden. So hat die EU die schlimmsten Folgen der Gentechnik auf andere Kontinente ausgelagert und auf diese Weise die Verbraucher_in-nen beschwichtigt. Dass das Grundwasser der Bretagne hochgradig durch die Massentierhaltung verseucht ist, muss man auch nicht unbedingt sehen, wenn man das Wasser im Supermarkt kauft und sich beim Duschen die Nase zuhält.
Sofia aus Argentinien berichtet von der Kleinstadt Malvinas, die mitten in einem Anbaugebiet von «Gen-Soja» liegt und wo «Round-up» mit Flugzeugen auf die Felder gespritzt wird. Nach Regierungsangaben haben von den 6'000 Einwohner_innen 33 Prozent Krebs und 80 Prozent der Kinder haben Agrarchemie im Blut. Als Monsanto 2012 in der Nähe von Malvinas mit dem Bau einer riesigen Anlage zur Produktion von gentechnisch verändertem Mais-Saatgut begann, blockierte die Bevölkerung die Zufahrt zur Baustelle. Tag und Nacht verharrten sie dort in kleinen Zelten, sie legten sich quer auf die Strasse, um die Lastwagen an der Durchfahrt zu hindern, viele wurden von angeheuerten Schlägern verletzt. Nach vier Jahren, am 1. November 2016, hatten sie gegen Monsanto gewonnen. Sofia zeigt beeindruckende Bilder; sie gehörte zu der Bewegung von Müttern, die vier Jahre lang durchgehalten haben. Sofia berichtet nicht von einem Sonderfall; was sie erlebt, ist ein Beispiel für all die Gemeinden, wo sich die Monokulturen dank Gentechnik und Pestiziden ausbreiten. Auf drei Vierteln des brasilianischen Ackerlands (insgesamt 32 Millionen Hektar) werden genmanipulierte Pflanzen angebaut.
… und gegen verborgene Genpflanzen
In Frankreich haben mehrere Organisationen auf die unkontrollierte Verbreitung von Gentechnikpflanzen der neuen Generation reagiert. Vor zwei Wochen haben 120 Feldbefreier_innen ein 5 Hektar grosses Feld mit Gentechnik-Raps des deutschen Saatgutkonzerns KWS niedergemäht. Sie schätzen, dass bereits 30'000 Hektar mit Gentechnik-Raps angebaut werden. Die betroffenen Sorten sind tolerant gegen das Pestizid «Clearfield» von BASF. Sieben Vereinigungen haben in dem «Appell von Poitiers» verlangt, dass die «Mutagenese» als Gentechnik eingestuft werden muss, und sich damit an den «Conseil d’Etat», den französischen «Staatsrat», gewandt.
Nach einer Anhörung von Wissenschaftler_innen kam dieser zum Schluss, dass diese Technologie als Gentechnik gekennzeichnet werden muss, und hat den Europäischen Gerichtshof aufgefordert, sich zu dieser Frage zu äussern. Ein Urteil liegt bisher noch nicht vor.
Welche Landwirtschaft
wollen wir?
Während der drei Tage des Treffens diskutierten wir in fünf thematischen Arbeitsgruppen. Es ging um die Konvergenz zwischen den Widerstandsgruppen, um Pestizide, um Agro-Ökologie, um Saatgut und die rechtlichen Auseinandersetzungen. Zwei der Abende waren belegt mit öffentlichen Veranstaltungen. Die erste war ein Podiumsgespräch zwischen Bäuerinnen aus Brasilien, einem Bauern des konservativen französischen Bauernverbandes FNSOA und einem Bauern der linken Bauerngewerkschaft «Conféderation Paysanne». In dieser Runde ging es eigentlich um die entscheidende Frage: «Welche Landwirtschaft wollen wir?» Der lokale Kontext spricht für sich. Von 200'000 Bäuerinnen und Bauern vor 20 Jahren gibt es in der heutigen Bretagne noch 30'000. Für eine Landwirtschaft in menschlichen und tiergerechten Dimensionen müssten sich in Frankreich 2,5 Millionen Jugendliche entscheiden, Land einzufordern oder zu besetzen. Könnte das nicht eine sinnvolle Perspektive für die heutige Jugend sein? Christina aus Brasilien betont, dass das einzige Hindernis für die Ausbreitung der Gentechnik die kleinbäuerlichen Betriebe sind. Wenn es immer weniger von ihnen in Europa gibt, wird der Widerstand bald gebrochen sein. Ohne eine Antwort der Gesellschaft wird die heutige Entwicklung zu immer grösseren Massentieranlagen und immer mehr Pestiziden auf den Feldern führen, trotz der Schäden, die dadurch angerichtet werden. Der Vertreter der konservativen Bauern und Bäuerinnen lässt sich nur zu der Aussage bringen, dass sie in der Bretagne auch mit gentechnikfreien Futtermitteln leben könnten, wenn diese billiger wären, und stellt die Massentierhaltung nicht in Frage.
Wissenschaftliche Studien
Der zweite öffentliche Abend wurde von zwei Wissenschaftlern des französischen Komitees «CRIIGEN»2 gestaltet, ein Verband von Wissenschaftler_innen, die sich die kritische Forschung und Information der Öffentlichkeit über die Gentechnik zum Ziel gesetzt haben. Christian Velot ist Molekularbiologe und unterrichtet als Professor an der Universität Paris-Sud. Joel Spiroux ist Arzt und hat davor eine Ausbildung in Landwirtschaft gemacht.
Christian Velot ging auf zwei Fragen ein: Die verfälschte Prüfung der Giftigkeit von Pestiziden und die Komplexität der Gene in ihrer Wirkung. Pestizide werden bisher nur auf die Schädlichkeit der von den Firmen angegebenen Wirkstoffe untersucht. So wird zum Beispiel bei Roundup nur der Wirkstoff Glyphosat auf seine giftige Wirkung für Tiere und Menschen untersucht, obwohl das Herbizid noch zahlreiche andere chemische Substanzen enthält. Ihr Verband hat festgestellt, dass die Schädlichkeit von Roundup 1'000 Mal höher ist als die von Glyphosat allein. Alle Studien der EFSA, dem EU-Institiut für Lebensmittelsicherheit, beziehen sich nur auf diesen Wirkstoff.
Die Rolle und Wirkung der Gene in einem Organismus werden von den Gentechnikern als genau festgelegt beschrieben. So kommen sie auch zu dem Schluss, dass ein Gen einer bestimmten Eigenschaft zugeschrieben werden kann. Inzwischen haben die meisten Wissenschaftler_innen aber festgestellt, dass Gene ganz unterschiedliche Funktionen haben können, je nach den Einflüssen ihrer Umwelt. Die Berichte, dass die Gentechnik immer genauer das Erbgut kennt und mit immer mehr Präzision in das Erbgut eingreifen kann, ist eine allgemein verbreitete Lüge. Sie entspricht dem Stand der Wissenschaft am Anfang des letzten Jahrhunderts. Dennoch wird sie aufrechterhalten, damit der Glaube an die «Wunder» der Gentechnik nicht erschüttert wird.
Joel Spiroux geht auf die Wirkung von Pestiziden auf den menschlichen Organismus ein. 70 Tausend Tonnen Pestizide werden im Jahr in Frankreich versprüht, in Brasilien sind es 12 Liter pro Einwohner. Jeder nimmt diese Pestizide auf, sei es mit Lebensmitteln, mit dem Trinkwasser oder aus der Luft. Der menschliche Körper lagert diese Giftstoffe besonders im Fettgewebe ein, also zum Beispiel im Gehirn, was eine Zunahme von Gehirnkrankheiten wie Parkinson oder Autismus erklärt. Die Giftstoffe wirken besonders stark auf den Hormonhaushalt im Körper und auf das Nervensystem.
Alle Studien, die der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit für die Zulassung eines Pestizides vorgelegt werden, werden von den Firmen selbst erstellt und nicht veröffentlicht. Es gibt also kaum eine Kontrolle über diese Studien, und kritische Wissenschaftler_in-nen müssen selbst Studien durchführen und veröffentlichen, wenn sie eine andere Beurteilung haben als die EU-Behörde. Der französische Wissenschaftler Seralini hat mit eigenen Studien nachgewiesen, dass Roundup bei Ratten krebserregend wirkt. Die Folge war, dass seine Studie durch den Druck der Industrie von den wissenschaftlichen Publikationen gestrichen wurde und erst zwei Jahre später wieder veröffentlicht werden konnte.
Verschiedene politische Bedingungen
Es gibt selten Gelegenheiten, in dieser Fülle den Widerstand gegen Gentechnik in der Landwirtschaft kennen zu lernen. Unter ganz verschiedenen politischen Bedingungen leben unterschiedliche Widerstandsformen. Während in Frankreich Felder zerstört werden, ist der Widerstand in Burkina Faso nur durch eine breite Mobilisierung der Bevölkerung möglich. In Kolumbien hingegen werden regelmässig Bäuerinnen und Bauern ermordet, die gegen den Raub ihres Landes protestieren. In Europa bleibt uns die enorme Aufgabe, nicht nur die wenigen verbliebenen Bäuerinnen und Bauern, sondern auch die Verbrau-cher_innen über die Ausbreitung der Gentechnik zu informieren und zu Protesten zu ermuntern. Zum Abschluss des Treffens in Lorient haben wir beschlossen, eine breite Front gegen Gentechnik und Pestizide zu gründen und uns gegenseitig in den jeweiligen Auseinandersetzungen zu unterstützen.
Ieke Decker und
Jürgen Holzapfel, EBF
- GMO/OGM = gentechnisch manipulierte Organismen.
- CRIIGEN: Comité de Recherche et d'Information Indépendantes sur le Génie Génétique.