AGROCHEMIE: Das Rechtsgutachten des Monsanto Tribunals

von Michael Rössler, 06.08.2017, Veröffentlicht in Archipel 261

Am 18. April 2017 übermittelten die fünf Richter_innen des Internationalen Monsanto Tribunals ihr Gutachten über die Tätigkeiten des Konzerns in einer öffentlichen Sitzung in Den Haag. Sie hatten sich ein halbes Jahr Zeit genommen, um ein juristisch gut fundiertes Dokument vorzulegen. Hier eine Zusammenfassung.

Das Internationale Monsanto Tribunal (IMT) ist ein ausserordentliches Meinungsgericht, das von einer zivilgesellschaftlichen Initiative geschaffen wurde, um die Tätigkeiten des Unternehmens Monsanto juristisch zu untersuchen. Am 15. und 16. Oktober 2016 fanden in Den Haag die Anhörungen statt. Die in diesem Rahmen erhobenen Zeugenaussagen sollten dem Tribunal ermöglichen, sechs Fragen zu beantworten.
Das vom Tribunal erstellte Rechtsgutachten beinhaltet eine juristische Analyse der gestellten Fragen und basiert dabei im Interesse der Fortentwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes und des Umweltvölkerrechts nicht nur auf dem geltenden internationalen Recht, sondern auch auf künftigen Rechtsnormen. (…)
Das Recht auf eine gesunde Umwelt
Dabei wurde untersucht, ob die Tätigkeiten der Firma Monsanto mit dem Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt, wie dieses als Menschenrecht international anerkannt ist (Resolution 25/21 des UN-Menschenrechtsrats vom 28. März 2014), vereinbar sind. Berücksichtigt wurde in diesem Zusammenhang auch die Verantwortung von Unternehmen, die sich aus den vom Menschenrechtsrat mit der Resolution 17/4 vom 16. Juni 2011 angenommenen UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ergeben. (…)
Die Zeugenaussagen belegen die insbesondere mit Roundup zusammenhängenden Auswirkungen der Tätigkeiten Monsantos auf die menschliche Gesundheit, namentlich jene von Landwirten und Landarbeitern, die Böden, die Pflanzen, die Wasserorganismen, die Gesundheit von Tieren und die Biodiversität. Die Zeugen berichteten ebenso über nicht bezweckte Wirkungen des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln auf andere Kulturen. Die Anhörungen brachten ferner Einflüsse auf lokale Gemeinschaften und indigene Völker sowie die mangelhafte Information der betroffenen Gruppen zum Vorschein. Aufgrund all dieser Feststellungen kommt das Tribunal hinsichtlich der ersten Frage zum Schluss, dass Monsantos Geschäftspraktiken negative Auswirkungen auf das Recht auf eine gesunde Umwelt haben.
Das Recht auf Nahrung
Bezüglich der zweiten Frage gelangt das Tribunal zur Feststellung, dass Monsantos Tätigkeiten das Recht auf Nahrung negativ tangieren. Monsantos Geschäftspraktiken reduzieren die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln für Individuen und Gemeinschaften und vermindern ihre Fähigkeit, sich selbst unmittelbar oder ohne gentechnisch verändertes Saatgut zu ernähren. (...) Überdies bedrohen gentechnisch veränderte Arten die Biodiversität. Die Tätigkeiten Monsantos beeinträchtigen ferner Böden und Gewässer sowie die Umwelt im Allgemeinen. Das Tribunal erkennt folglich eine Verletzung der Ernährungssouveränität und hebt jene Fälle hervor, in welchen Landwirte aufgrund kontaminierter Felder gezwungen waren, Monsanto Lizenzgebühren zu bezahlen oder gar ihre bis anhin GVO-freien Kulturen aufzugeben. Auch das aggressive Marketing von GVO, die den jährlichen Kauf von neuem Saatgut erfordern, verletzt das Recht auf Nahrung. Die Kritik gilt hierbei dem herrschenden agrarindustriellen Modell, das angesichts bestehender agrarökologischer Alternativen umso vehementer anzuprangern ist.
Das Recht auf Gesundheit
(…) Den Zeugenaussagen zufolge zieht der über die Umwelt vermittelte, direkte oder indirekte Kontakt mit Monsanto-Produkten zahlreiche gesundheitliche Folgen nach sich, so beispielsweise schwere angeborene Behinderungen, Entwicklung eines Non-Hodgkin-Lymphoms, chronische Krankheiten, Vergiftungen oder gar den Tod.
Das Tribunal weist darauf hin, dass Monsanto zahlreiche gefährliche Substanzen produziert und vertrieben hat. Zu erwähnen sind in erster Linie die PCB (polychlorierte Biophenyle), die langlebige organische Schadstoffe darstellen, inzwischen gemäss dem Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe aus dem Jahr 2001 verboten sind und exklusiv von Monsanto von 1935 bis 1979 vertrieben wurden, obschon dem Unternehmen die schädlichen Wirkungen auf die Gesundheit bereits bekannt waren. Diese krebserregenden Produkte verursachen Unfruchtbarkeit, Entwicklungsstörungen bei Kindern und Störungen des Immunsystems.
An zweiter Stelle ist Glyphosat (Wirkstoff des Herbizids Roundup) zu nennen, das in gewissen Studien als krebserregend eingestuft wird, während andere Stellen, namentlich die EFSA, zu einem gegenteiligen Schluss gelangen. Gemäss einer Stellungnahme vom 15. März 2017 bezüglich der Klassifizierung von Glyphosat sieht auch die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) davon ab, Glyphosat als krebserregenden, erbgutverändernden und fortpflanzungsgefährdenden Stoff (CMR) einzustufen. Diesbezüglich weist das Tribunal darauf hin, dass trotz Glyphosatrückständen in Nahrungsmitteln, Trinkwasser und selbst menschlichem Urin die Risiken des Kontakts mit diesem Stoff nicht berücksichtigt werden. Die Vermarktung von GVO, die gegenüber Roundup resistent sind, hat zu einer weiten Verbreitung und Verwendung dieses Herbizids geführt. Es wird von der Internationalen Agentur für Krebsforschung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als «für Menschen wahrscheinlich krebserregend» qualifiziert. Andere Berichte stellen sowohl für Menschen als auch für Tiere eine Genotoxizität fest. Zu beachten sind nicht zuletzt interne Dokumente Monsantos, die im März 2017 aufgrund einer Anordnung des Bezirksgerichts Nordkaliforniens (San Francisco) publiziert werden mussten und aufzeigen, dass das Unternehmen wissenschaftliche Studien manipuliert hat. (…)
An dritter Stelle werfen auch die Vermarktung und Verbreitung gentechnisch veränderter Organismen zahlreiche Fragen auf, zumal kein wissenschaftlicher Konsens über die Unbedenklichkeit von GVO besteht. Die entsprechende Kontroverse ist in einem Kontext zu verorten, der durch undurchsichtige Studien und die Unmöglichkeit gekennzeichnet ist, unabhängige Forschung zu betreiben. Die «Monsanto Papers» haben die systematische Praxis Monsantos zutage gefördert, wissenschaftliche Studien zu manipulieren und Einfluss auf Experten auszuüben. (…) Das Tribunal stellt vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse fest, dass die Geschäftspraktiken von Monsanto das Recht auf Gesundheit beeinträchtigen.
Die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung
Die Wissenschaftsfreiheit ist eng mit der Meinungsfreiheit sowie den Rechten auf freie Meinungsäusserung und auf Information verknüpft. (…) Die Wissenschaftsfreiheit verlangt, dass sich Forschende frei äussern können und im Falle von Whistleblowing einen effektiven Schutz geniessen.
Die Zeugenaussagen von Agronomen und Molekularbiologen belegen Geschäftspraktiken, die teilweise zu Verurteilungen Monsantos geführt haben. Genannt werden können beispielsweise die folgenden Praktiken: illegaler Anbau von GVO; Verwendung wissenschaftlicher Studien, die mangels vollständiger Berücksichtigung aller Inhaltsstoffe von Roundup dessen negativen Auswirkungen verfälscht wiedergeben; massive Kampagnen zur Diskreditierung von Resultaten unabhängiger wissenschaftlicher Studien. Solche Strategien haben etwa zum Rückzug einer in einer internationalen Zeitschrift publizierten Studie sowie zum Stellenverlust eines wissenschaftlichen Mitarbeiters einer Gesundheitsbehörde geführt.
Bezüglich der vierten Frage kommt das Tribunal daher zum Schluss, dass Monsantos Tätigkeiten die zu wissenschaftlicher Forschung unerlässliche Freiheit verletzen. Das Diskreditieren wissenschaftlicher Studien, die ernsthafte Fragen bezüglich des Umwelt- und Gesundheitsschutzes aufwerfen, der Rückgriff auf falsche, von Monsanto in Auftrag gegebene, wissenschaftliche Gutachten, die Druckausübungen auf Regierungen sowie Einschüchterungen sind Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit und umso verwerflicher, als sie mit Risiken für Gesundheit und Umwelt in Verbindung stehen und insofern der Gesellschaft die Möglichkeit rauben, zahlreiche andere Menschenrechte effektiv zu schützen. Die Versuche, wissenschaftliche Arbeiten in Verruf oder deren Urheber zum Schweigen zu bringen, unterwandern die zu wissenschaftlicher Forschung unerlässliche Freiheit sowie das Recht auf freie Meinungsäusserung in missbräuchlicher Weise und beeinträchtigen ebenso das Recht auf Zugang zu Informationen.
Beihilfe zu Kriegsverbrechen1
Zwischen 1962 und 1973 wurden über einer Fläche von fast 2,6 Millionen Hektaren mehr als 70 Millionen Liter dioxinhaltiges Agent Orange versprüht. Dieses Entlaubungsmittel verursachte erhebliche Gesundheitsschäden innerhalb der vietnamesischen Zivilbevölkerung. Geschädigt wurden überdies Militärangehörige der Vereinigten Staaten, Neuseelands, Australiens und Koreas. In diesem Zusammenhang wurden Gerichtsverfahren geführt, in deren Rahmen die Verantwortung insbesondere von Monsanto festgestellt worden ist. Vor dem Hintergrund des geltenden Völkerrechts und mangels klarer Beweise für eine Beihilfe ist das Tribunal nicht in der Lage, abschliessend über die entsprechende Frage zu befinden. Nichtsdestotrotz scheint es, dass Monsanto nicht nur bekannt war, wozu die Produkte dienen würden, sondern auch über Informationen bezüglich der Folgen für Gesundheit und Umwelt verfügte. In diesem Zusammenhang hebt das Tribunal hervor, dass Monsantos Tätigkeiten in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen könnten, sollte dereinst das Verbrechen des Ökozids im Völkerstrafrecht verankert werden.
Das Verbrechen des Ökozids
Entsprechend der sechsten Frage prüfte das Tribunal, ob das Verhalten Monsantos als Verbrechen des Ökozids qualifiziert werden könnte, wobei Ökozid als massive Verletzung oder Zerstörung der Umwelt verstanden wird, die geeignet ist, globale Gemeingüter oder Ökosysteme, von denen bestimmte Gruppen von Menschen abhängen, in schwerwiegender und dauerhafter Weise zu beeinträchtigen.
Die Entwicklung des internationalen Umweltrechts bestätigt, dass Beeinträchtigungen der Umwelt als Verletzung zentraler gesellschaftlicher Werte verstanden werden. Die internationale Gemeinschaft erkennt an, dass der Erhalt der Unversehrtheit der Ökosysteme und einer gesunden Umwelt unerlässlich sind, um heutigen und künftigen Generationen ein würdevolles Leben zu ermöglichen. Davon zeugt auch die Stellungnahme der Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) vom September 2016 bezüglich der Auswahl und Priorisierung der Fälle, wonach die Verfolgung von Verbrechen, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen und mit Umweltzerstörungen, illegaler Ausbeutung von Rohstoffen und illegaler Aneignung von Land in Verbindung stehen, besondere Berücksichtigung finden sollen. Ungeachtet dessen und des immer enger werdenden Netzes umweltschutzrechtlicher Normen verbleibt ein Graben zwischen den entsprechenden Verpflichtungen und dem tatsächlichen Schutz zugunsten der Umwelt.
Das Tribunal hält abschliessend fest, die Tätigkeiten Monsantos könnten Verbrechen des Ökozides darstellen, sollte ein derartiger Tatbestand dereinst im Völkerrecht verankert werden. Tatbestandsmässig könnten diverse Geschäftspraktiken sein, so beispielsweise der Verkauf von glyphosathaltigen Herbiziden an Kolumbien, wo diese Stoffe mit Flugzeugen über Kokaplantagen versprüht werden und dadurch sowohl die Umwelt als auch die Gesundheit der Bevölkerung beeinträchtigen, ferner die massenweise Verwendung von gefährlichen agrarchemischen Produkten in der industriellen Landwirtschaft, wie etwa Roundup, sowie Produktion, Vermarktung und Vertrieb von gentechnisch veränderten Organismen. Schwerwiegende Verschmutzungen von Böden und Gewässern sowie die Beeinträchtigung der Pflanzenvielfalt dürften ebenso als Ökozid zu qualifizieren sein. Dies gilt sodann ebenso für den Einsatz langlebiger organischer Schadstoffe wie den PCB, die erhebliche und dauerhafte Schäden verursachen, die auch die Rechte künftiger Generationen tangieren.
Appell
(…) Das Tribunal ruft dazu auf, nichtstaatliche Akteure im Zusammenhang mit dem Schutz der Menschenrechte in die Verantwortung zu ziehen. Es ist an der Zeit, so das Tribunal, multinationale Unternehmen als Rechtssubjekte anzuerkennen und bei Menschenrechtsverletzungen entsprechend zu belangen. Das Tribunal bemängelt die bestehende Asymmetrie zwischen den Rechten und den Pflichten von multinationalen Unternehmen. Das Rechtsgutachten ermutigt daher die involvierten Stellen, Behörden und Organe, die Menschenrechte und die Umwelt vor bestimmten Machenschaften transnationaler Unternehmen effektiv zu schützen.

  1. Im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs im Zusammenhang mit Agent Orange
    Das vollständige Gutachten ist in mehreren Sprachen auf folgender Webseite zu finden:
    www. monsanto-tribunal.org