AKTUELL: Areva in Indien

von Bertrand Louart* Radio Zinzine, 24.09.2011, Veröffentlicht in Archipel 196

Die Atomindustrie Frankreichs strahlt rund um die Welt. Hier eine kurze Übersicht über deren Projekte und die gängigen Methoden, diese in Indien, einer der bevölkerungsreichsten Demokratien der Welt, durchzusetzen.

Im Moment sind dort zwei Atomprojekte am Laufen. In Haripur (am westlichen Ende von Bengalen, an der Grenze mit Orissa gelegen) hat die lokale Verwaltung das Projekt eines gemeinsam mit Russland zu erbauenden AKW auf Eis gelegt infolge der vielen Konflikte, welche in den letzten vier Jahren durch die Zwangsvertreibungen verursacht wurden. Diese sollten den Bau gigantischer Chemiefabriken (Dow Chemical) und den Ausbau der Automobilindustrie (Tata) befördern. Trotz organisierten Terrors (Vergewaltigungen, Pogrome, in die Menge schießende Polizei) sind die Bewohner nicht gewichen. Da in zwei Monaten Wahlen sind, spricht die Regierung nicht mehr von Haripur. Von welcher Partei auch immer gestellt, die folgende Regierung wird dem Projekt jedoch mit Sicherheit wieder in den Sattel helfen.
Jaitapur (an der Küste der Provinz Maharashtra) hat den Ehrgeiz, «der größte Nuklearkomplex der Welt» zu werden, verlautbart der indische Partner von Areva, die Nuclear Power Corporation of India Ltd. (NPCIL): Sechs Reaktoren des EPR-Typs mit einer Leistung von je 1650 MW sollen gebaut werden.
Zur Erinnerung: EPR ist der erste europäische Reaktor, der «auf Marktprinzipien gründet», das heißt, der für einen Festpreis von 3 Milliarden Euro konzipiert wurde. Nur – die zwei in Bau befindlichen Exemplare (eins davon im französischen Flammanville) sind mit großen Problemen konfrontiert. Besonders der in Finnland hat bisher Mehrkosten von 90 Prozent verursacht und sollte schon vor 42 Monaten am Netz sein.
Das Projekt von Jaitapur ist mitten in einem Erdbebengebiet geplant. Innerhalb von 20 Jahren gab es dort drei Erdbeben, deren Stärke mit jeweils höher als 5 auf der Richterskala bewertet wurden. Dem zum Trotz verkaufte Areva das Projekt mit dem Argument, dass die Japaner bisher keine schwerwiegenden Probleme hätten in ihrem Land, welches mehr als jedes andere unter Erdbeben zu leiden hat… Das war kurz vor Fukushima.

Ein Deal

Dem von den USA und von Areva ausgeübten Druck nachgebend und Hand in Hand mit den großen Unternehmen Indiens (besonders Tata, Larsen & Tubro, Godrej) hat die indische Regierung im November 2010 ein Gesetz verabschiedet (das Nuclear Liability Bill ist fast deckungsgleich mit der Convention de Paris von 1960, diese wiederum vom Price-Anderson Act von 1957 inspiriert), das jeglichen Akteur, einheimisch oder international, Betreiber oder Zulieferer, der Verantwortung gegenüber Dritten enthebt, sollte der Schaden einen nominellen Betrag überschreiten, und dieser liegt noch unterhalb der Kosten für einen einzigen Reaktor.
Damit bleiben auch die Versicherungsprämien für Kernkraftinstallationen «im Rahmen». Im vorliegenden Fall wird der besonders seitens der USA ausgeübte Druck mehr als augenfällig und der sehr offensichtliche «Deal» bestand in folgendem: Die USA setzen sich dafür ein, die Mitgliedsstaaten der Nuclear Suppliers Group (NSG) zu überzeugen, Indien als Partner zu akzeptieren, obwohl es den Vertrag zur Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen nicht unterzeichnet hat und dies auch weiterhin nicht tun wird. Im Gegenzug hat Indien versprochen, AKW-Installationen von «mindestens 20.000 GW» zu kaufen und natürlich ein Gesetz zur Befreiung von Verantwortung zu verabschieden. Dies würde Investitionen gestatten, ohne dass Unternehmen im Katastrophenfall finanzielle Risiken zu befürchten hätten.
In einem Land, in dem die Opfer der Explosion einer der Karbidunion in Bhopal gehörenden Chemiefabrik seit 1984 auf eine Entschädigung warten, hat dies einigen Wirbel erzeugt. Aber so wird die seltsame Art von Sorge um die Sicherheit deutlich, derer sich Akteure der Kernkraft in Indien befleißigen.
In einem Artikel der Aprilausgabe von Le Monde diplomatique klärt uns der atomkritische indische Journalist Praful Badwai1 zudem darüber auf, dass «Jaitapur essentiell für das Überleben der krisengeschüttelten Areva ist, welche dringend auf massiven Kapitalzufluss hofft. Sollte Jaitapur aufgegeben werden, wird sich die Schieflage verschärfen. Demzufolge engagiert sich das französische Unternehmen mit intensivem Lobbying bei der indischen Regierung, damit diese das Projekt auch gegen den Willen der Bevölkerung fortsetze.»
Die lokale Bevölkerung wird also in die Zange genommen, vom Größenwahn der indischen Atomlobby und von der industriellen und kommerziellen Flucht nach vorn der Areva-Gruppe… Das schüchtert die Leute vor Ort jedoch nicht ein und seit 2006 demonstrieren sie in friedlicher Weise ihren Widerstand. In der neuen Regierung der Provinz Maharashtra bekleidet der alte Staatsminister für Atomenergie wieder einen Posten. Dieser betrachtet Gegner und Kritiker als Ignoranten und «entwicklungshemmende Ludditen»2. Mit der letzten Aussage hat er durchaus Recht. Denn innerhalb weniger Jahre haben die Fischer und Bauern der Region gelernt, was Radioaktivität und ihre Folgen sind. In der Tat ist Indien seit 1969 eine «Atom-Nation» (erste Atombombe 1974). Die Uranminen von Jaduguda und die radioaktiven Emissionen des AKW Rajasthan (RAPS) sind bereits Fakten.Es ist klar, dass die Entwicklung dieser Industrie ein strahlende Zukunft verspricht.

Widerstand der Bevölkerung

Tatsächlich leistet die lokale Bevölkerung äußerst starken Widerstand (ca. 40.000 Personen sind unmittelbar aktiv). Die große Mehrheit der Bewohner haben die von der Regierung angebotenen Entschädigungen für ihren Besitz an Boden abgelehnt, auch dann noch, als diese den Betrag versiebenfacht hat. Ganz offensichtlich sind diese Leute davon überzeugt, dass ihre selbstbestimmte und gemeinschaftliche Art zu Leben – sie beziehen ihren Lebensunterhalt aus der sie umgebenden üppigen Natur – «nicht verhandelbar» ist! Die Bewegung sieht sich erbarmungslosen Repressalien ausgesetzt: Hunderte Personen sind im Gefängnis aus unglaublichem Anlass, Versammlungen von mehr als fünf Personen sind verboten, die Region ist eingekreist von zahlreichen Polizeisperren und Beobachter oder bedeutende Persönlichkeiten», die die Bewegung unterstützen, werden daran gehindert, sich an Ort und Stelle zu begeben. Nichtsdestotrotz bleibt der Widerstand gewaltfrei», wie jene Demonstration, die letzten November3 angesichts 250 bewaffneter Polizisten in Kampfausrüstung 3.000 Personen vereinte, die einmütig und schweigend gefordert hatten, … in Gewahrsam genommen zu werden. Die Jail Bharo Protestation («protestiert mit dem Anfüllen der Gefängnisse») ist eine der von Ghandi erfundenen Taktiken des gewaltfreien Kampfes, die in Indien weit verbreitet ist. Und sie ist wirksam, denn die Überlegenheit zur Schau stellende Polizei hat letztendlich die Anführer gebeten, den Zustrom von Dorfbewohnern zu stoppen. Diese Aktion war eine Antwort auf die von der Regierung ausgehenden Lügen und Geringschätzung, wenn diese behauptet, dass Ruhe herrsche und Opposition lediglich von einer handvoll Agitatoren ausgehen würde. Indien, Japan und Frankreich sind Demokratien. Aber die Atommafia wendet überall die gleichen Methoden an, wie Geheimniskrämerei, Lüge, Unterdrückung von Opposition, um ihre Tod bringenden Scheußlichkeiten durchzusetzen: Derjenige, der versucht den Einlagerungsort von Atommüll in Indien in Erfahrung zu bringen – selbst ohne die Art der Lagerung zu thematisieren – landet im Gefängnis, denn diese Industrie kann sich inzwischen mit vollem Recht hinter dem «Official Secret Act» verstecken.
Das was in Indien heute und in der Gegend von Jaitapur geschieht ähnelt in allen Aspekten den Entwicklungen im Frankreich oder Japan der 70er Jahre – damals wurden die Atomprogramme dieser Länder realisiert. Es fehlt auch nicht an sozialdemokratischen oder ökologisch angehauchten Regierungen, die, auf einer Welle der Ablehnung von Kernkraft schwimmend zu Wahlsiegern geworden, umschwenken, wenn sie erst an der Macht sind, so wie z.B. Mitterand. Der gab 1981 das geplante AKW Plogoff in der Bretagne auf, setzte jedoch 1982 die Armee ein, um den Bau eines zweiten Reaktors bei Chooz in den Ardennen durchzusetzen.
Selbst wenn Kernkraft sicher und sauber wäre – was prinzipiell nicht möglich ist – bliebe immer noch ein wesentlicher Grund für deren Ablehnung: wenn derartig viel Macht, gestützt auf gigantische Energieerzeugung, in so wenigen Händen konzentriert ist, dann ist die Demokratie bedroht, denn die Missachtung des Lebens hätte freien Lauf.
Gegenwärtig, da die arabischen Völker revoltieren und einige von ihnen das Ziel einer Demokratie erreichen werden, haben wir vielleicht doch weitgehend vergessen, dass wir im Schatten einer Techniktyrannei leben. Natürlich ist diese eine viel softere und coolere Tyrannei als die der arabischen Diktatoren, aber gleichwohl eine Tyrannei, die sich in aller Stille und all dem Atommüll in unserem Leben und über unserer Gesellschaft einnistet für Jahrhunderte und nochmals Jahrhunderte. Amen.
Man kann nicht frei und glücklich leben im Schatten eines Atomkraftwerkes. Die Solidarität der Kernkraftgegner muss international sein.

* Bertrand Louart ist zudem Redakteur von Notes & Morceaux Choisis, wissenschafts-, technik- und sozialkritisches Bulletin, herausgegeben vom Verlag La Lenteur, 127, rue Amelot, F-75011 Paris

  1. Auf seiner homepage www.prafulbidwai.org findet man die englische, weiter vertiefte Version dieses Artikels und andere Informationen
  2. Der Aufstand der Ludditen wird dieses Jahr im November 200. Jahrestag haben
  3. http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=2385>