AKTUELL: Neue Saatgutgesetzgebung der EU, «alle Macht den Multis»

von Eric D'Haese, 20.05.2012, Veröffentlicht in Archipel 204

Die EU ist dabei, ein neues Saatgutgesetz zu erarbeiten. Im Mai 2011 hat sie eine öffentliche Anhörung für alle Betroffenen organisiert. Die Art und Weise der Anhörung und ihre Vorbereitung haben viele Kommentare ausgelöst. Es stellt sich die Frage, ob das neue Recht tatsächlich eine Antwort zu den Problemen sein könnte, mit denen die Landwirtschaft und die Ernährungsfrage momentan konfrontiert sind. Olivier von Schutter, Spezialreferent der UNO zur Frage des Ernährungsrechts, ist nicht davon überzeugt. Erster Teil.

Unsere Nahrungsmittel, die aus der Intensivlandwirtschaft kommen haben mit allen anderen landwirtschaftlichen Produkten etwas gemeinsam: sie beginnen beim Saatgut. Die Samen, die in der industriellen Landwirtschaft verwendet werden, werden auf dem Weltmarkt ge-und verkauft wie Barbiepuppen oder Laptops. Seit 2009 besitzen zehn Gesellschaften nahezu dreiviertel des Saatgutmarktes. Mehr als die Hälfte wird von nur drei multinationalen Konzernen dominiert, an erster Stelle Monsanto, Erfinder von agent orange*, der allein 27 % des Marktes besitzt. Im Allgemeinen handelt es sich um erdölchemische Unternehmen, die in der Saatgutproduktion ein ideales Mittel finden, um ihre Pestizide und ihren Kunstdünger zu verkaufen, beides ist von Erdöl abhängig. Die meisten EU-Staaten benutzen heute Kataloge, in denen die Pflanzensorten registriert sind. Die Registrierung in einem Katalog ist in diesen Ländern Vorraussetzung, um Sorten verkaufen zu können. Die nichtregistrierten Sorten dürfen nicht gehandelt werden, zurzeit werden sie aber oft toleriert als Sorten mit «emotionalem» aber ohne kommmerziellen Wert. Um die Ungefährlichkeit des Saatgutes zu bestätigen wird verlangt, dass vor dessen Registrierung zwei Testverfahren durchgeführt werden. Die Testkriterien sind, unter anderem, die Homogenität und die Stabilität der Sorten. Es ist die industrielle Verarbeitung und die große Verteilungskette, die diese Kriterien diktiert. Die durch diese Kriterien erzwungene Einheitlichkeit, verlangt eine Art Landwirtschaft, die in hohem Maße von künstlichen Bedingungen und Chemikalien abhängig ist. Diese Kriterien lassen keinen Platz für die Verschiedenheit, Ergebnis einer natürlichen Evolution, welche eine zentrale Bedeutung für das Überleben der Arten in einer unbekannten Zukunft hat. Zusätzlich zu diesen Tests besteht ein System der Zertifizierung des Saatgutes durch Kontrollen. Bei den meisten EU-Mitgliedstaaten werden diese Tests und Kontrollen von amtlichen Stellen organisiert. Die Registrierungstests erlauben den Saatgutproduzenten auch die geistigen Eigentumsrechte an ihren entwickelten Sorten zu erlangen. Das heißt, daß jeder Landwirt, der die Samen einer geschützten Sorte erntet und deren Samen wieder aussät, handelt illegal. Seit 2007 entwickelt die EU eine neue Gesetzgebung, die die Regeln für den Saatguthandel «verbessern“ sollen. Aber was heisst «Verbesserung?“ Es zeigt sich, dass das neue Recht vor allem die Macht der multinationalen Saatgutkonzerne stärken wird.

Ein Gesetz, angepaßt an seine Zeit

Wenn wir uns die Vorgehensweise, die zu diesem neuen Recht führt, genau anschauen, stellen wir schnell erstaunliche Dinge fest. Zur Analyse der aktuellen Situation wurde ein externer Berater herangezogen. Die Nachforschungen über diesen Berater führten uns schnell auf die Internetseite von Arcadia International, die ohne mit der Wimper zu zucken schreiben: «Unsere Berater dienen der weltweiten Ernährungs- und Landwirtschaftsindustrie - von der Produktion über die Verarbeitung zum Handel. Wir arbeiten in all diesen Bereichen, mit besonderem Augenmerk auf die Industrie, führen die Branchenexpertisen zusammen, fördern das Verständnis der Wechselwirkung der diversen Bereiche, um die Wettbewerbsfähigkeit und den Zugang zu den Märkten für unsere Kunden zu verbessern.» Hinter der aktuellen Umstrukturierung des europäischen Saatgutmarktes steckt die Fokusierung auf die Industrie. Die Bewertung durch Arcadia und EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) basiert auf einem Formular, welches von allen EU-Beteiligten ausgefüllt wurde. Sie zeigt, dass die geltenden Rechtsvorschriften ordungsgemäß funktionieren, um den Markt mit hochwertigem und gesundem Saatgut zu beliefern. Das Resultat dieser Bewertung ist zwangsläufig verzerrt durch die Perspektive der am meisten industrialisierten EU-Länder. Es gab mehr Antworten aus ökonomisch starken Ländern die eine längere Erfahrung mit dieser Art Gesetzgebung haben und geografisch und kulturell näher am gesetzgebenden Zentrum sind. Tausende Landwirte z.B. in Bulgarien, riskieren in ein unbarmherziges System gezwungen zu werden, welches ihnen bisher nicht bekannt war. Die Untersuchung, durchgeführt von Arcadia und EFSA wurde von der europäischen Kommission positiv aufgenommen und in einen Aktionsplan umgesetzt, der ein Wegweiser zur Vereinheitlichung des europäischen Saatgutgesetzes sein soll. Dieser Plan von 2009 umfaßt vor allem die Liberalisieung des Marktes, mit der Intension der «Kostenreduzierung» und der «Förderung der Ernährungssicherheit». Um dies zu erreichen, bedarf es der Angleichung der Gesetze und Mittel, die Zentralisierung der Bürokratie und die Zusammenarbeit mit der Industrie. Kurz ein Recht das «bessere Anworten auf die Anforderungen unserer Zeit gibt».

Vereinheitlichung und Privatisierung

Die zirkulierenden Vorschläge sind weitgehend. In ihrem Ergebnis müssen sich überall in der EU die Landwirte und Gärtner an eine zentrale Gesetzgebung halten. Das bedeutet, dass es für die Meisten von ihnen weniger leicht sein wird, diese in Frage zu stellen, auf Grund der großen Distanz und der Größe der EU-Bevölkerung. So werden sich künftig die griechischen Landwirte mit ihren portugiesischen, finnischen und irländischen Kollegen zusammenschließen müssen, um die Regierungen minimal zu beeinflussen. Momentan entwickeln die Staaten noch unterschiedliche Wege zur Regulierung ihres eigenen Saatgutmarktes; die Beseitigung dieser verschiedenen Gesetze könnte jedoch verhängnisvolle Konsequenzen für die europäische Biodiversität haben, in der Natur, wie auf unserem Teller. Europa möchte die verschiedenen Testverfahren, die Kontrollen und die Kataloge auf ein einheitliches System reduzieren. Der Aktionsplan schlägt vor die Tests auszulagern um die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren. Jetzt, zwei Jahre nachdem es die EU wollte, wird es so gemacht.

Saatgutpolizei

Wenn dieses Recht einmal in Kraft tritt, soll laut Aktionsplan eine Art «Saatgutpolizei» eingesetzt werden. Es bedarf einer speziellen Ausbildung für diese Inspekteure unter dem Motto «beste Ausbildung für unsere Ernährung». Wir stellen uns vor, wie deutsche Inspektoren in einem rumänischen Dorf die alten Kopfsalatsorten auf ihre Ungefährlichkeit hin überprüfen. Durch diese Vorgehensweise wurden schon eine ganze Anzahl kleiner Landkäseproduzenten in Portugal, Belgien und Polen gezwungen ihre Produktion einzustellen, weil ihre Produktionsweise mit den Hygienevorschriften unvereinbar war; diese Vorschriften bedeuten enorme Investitionen, die sich tatsächlich nur die kapitalistischen Großunternehmen leisten können. Das neue Gesetz sollte auch mit den anderen großen europäischen Idealen, beispielsweise der Ernährungssicherheit vereinbar sein. Dem verleiht der Aktionsplan der EFSA eine wichtige Rolle. Mit Hilfe wissenschaftlich fundierter Tests soll diese offizielle Agentur der EU, gegründet 2002, die Konsumenten vor der schädlichen Wirkung chemischer Produkte und genmanipulierten Organismen schützen. Obwohl es sie erst seit Kurzem gibt, ist diese Agentur nicht unumstritten. Mehrere Mitglieder des Verwaltungsrates haben auch Funktionen in den größten multinationalen Ernährungsunternehmen oder ihren Lobbys. Dies führt häufig zu Kontroversen und nicht vertrauenswürdigen Empfehlungen, einschließlich über die Frage genmanipulierter Organismen. Der Plan bedeutet eine Erweiterung der Macht des CPVO (EU-Amt für Rechtsschutz von geistigem Eigentum von Pflanzensorten), eine weitere europäische Organisation, deren gegenwärtige Aufgabe es ist, die Urheberrechte auf gezüchtete Pflanzensorten auszustellen. Diese Organisation soll nun, gültig für die ganze EU, alle Kataloge zu einem zusammenfügen. Noch eine unnötige Zentralisierung. Man kann sich fragen, ob die Restrukturierung nicht das Anwachsen der intellektuellen Eigentumsrechte über Pflanzen und Lebewesen erleichtert.

Die Expansion der EU-Regelungen

Dieser Plan beinhaltet auch das Vorhaben das neue europäische Recht in andere Teile der Welt zu exportieren. Diese bilateralen Abkommen und Freihandelsverträge sind eine ausgezeichnete Gelegenheit, um die Prinzipien des neoliberalen Marktes in Ländern einzuführen, in denen die kleinen Landwirte immer noch die Mehrheit der Bevölkerung mit täglichem Brot versorgen. Das bedeutet, dass das Leben von Millionen armen Bauern noch schwieriger, oder sogar unmöglich wird. Die Bauernorganisationen in Ländern wie Indien und der Türkei fürchten schon das Schlimmste, falls dieses neue Recht eingeführt wird. Die EU spielt sich als Schlüsselfigur auf Weltebene auf, vordergründig mit der Absicht, den internationalen Saatguthandel zu erleichtern. Die Konsequenz ist ein System, in dem die Landwirte und die Ernährung von einem komplexen Rechtssystem abhängig sind und ihnen energieaufwendige Transportwege aufgezwungen werden. Die Bauernhöfe verlieren mehr und mehr ihre soziale Funktion und ihre Autonomie. Entsprechend dem Weltmarkt und seinen dominanten Akteuren sind sie gezwungen zu Maschinen der industriellen Produktion zu werden. Der letzte Punkt des Aktionsplans schlägt eine engere Zusammenarbeit aller Betroffenen vor. Das könnte einen optimistisch stimmen, wären die Beteiligten in der Praxis nicht in erster Linie die Industrielobbyisten. Ein Unternehmen wie Monsanto hat 2008 nahezu sieben Millionen Euro für Lobbyaktivitäten ausgegeben und die meisten multinationalen Unternehmen haben ihren Sitz praktischerweise im europäischen Viertel in Brüssel.

Das gegenwärtige Chaos der nationalen Gesetzgebung scheint besonders für die internationalen Großunternehmen problematisch zu sein. Für die Aktivitäten des Lobbyismus ist es freilich einfacher und rentabler alle Tätigkeiten an einem Ort zu konzentrieren.

Mehr Informationen unter:

http://www.seed-sovereignty.org