AKTUELL: Polemiken ums Klima

von Bertrand Louart*, 10.08.2010, Veröffentlicht in Archipel 184

Seit dem Scheitern der Verhandlungen von Kopenhagen über die Reduktion der Treibhausgase im Dezember 2009 tobt in Frankreich eine Polemik über die Realität des Klimawandels. Überspitzungen und Wissenschaftsgläubigkeit der streitenden Parteiungen lassen die Zweifel vergessen, welche die junge «Klimawissenschaft» umgeben und ebenso das, was für Politik und Gesellschaft auf dem Spiel steht.

Trotz vielfältiger Irrtümer und einiger offenkundiger Falschdarstellungen, die unmittelbar nach seinem Erscheinen von der Presse angeprangert wurden 1: Das Buch von Claude Allégre 2 war ein Verkaufserfolg. Es entwickelt eine Anzahl von Kritikpunkten im Hinblick auf die Methoden und die Ergebnisse des Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC 3 und wirft den Klimatologen vor, «vom Schielen nach Geld fehlgeleitet» zu sein, Bürger und Regierung irregeführt und wissenschaftliche Revuen mit Hilfe eines «mafiösen» und «totalitären» Systems an sich gerissen zu haben. Kurzerhand wurde Allègre von Le Monde zum «führenden Kopf von Frankreichs Klimaskeptikern» erklärt. Dieser ist aber kein geringerer als der letzte Vertreter einer Generation von Technikbesessenen und Anbetern der Wissenschaft, den die 50er Jahre des 20. Jahrhunderts hervorgebracht haben.
Als Reaktion darauf machten sich am 1. April [sic] 2010 die in Frankreich den Thesen des IPCC anhängenden Forscher zum Gespött mit der Veröffentlichung einer Petition an die Forschungsministerin und andere «Persönlichkeiten von Rang», in der sie diese auffordern, ihr Vertrauen in die Forschung zu unterstreichen angesichts der «erlogenen Bezichtigungen», die von Allègre und anderen in Umlauf gebracht wurden. Gestützt auf diese Forderung beschwört der Text einen «moralischen Pakt zwischen Gesellschaft und Wissenschaftlern», der diese zur «Genauigkeit [zwingen soll] mittels Prozessen der kritischen Überprüfung, wie kritische Lektüre, Verifikation oder Veröffentlichung der Ergebnisse». Aber handelt es sich hier wirklich um die Gesellschaft – als Ensemble der Mitglieder eines sozialen Organismus – oder doch eher um Institutionen, die diese Gesellschaft dominieren, das heißt Staat, Industrie und Markt? In der Tat, warum wendet man sich ausschließlich an die Ministerin und andere Autoritäten? Warum wurde keine öffentliche Deklaration verfasst, die direkt die unseriöse Verfahrensweise der benannten Personen anprangert? Immer wieder geht Wissenschaftsanbeterei mit derselben Hörigkeit der Macht und demselben Argwohn der Öffentlichkeit gegenüber einher: Die Leute kaufen das Buch von Allègre, können davon nichts verstehen, was wiederum zur Rechtfertigung dient, dass man sich nicht an die Leute wendet, ihnen nichts erklärt. Einzig eine dem gedemütigten Wissenschaftler überlegene Autorität könnte also, so die 600 Unterzeichner der Petition, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Forschung wiederherstellen.
Es ist offensichtlich einfacher, die weniger gut begründeten und in die Irre führenden Kritiken anzuprangern, als denen zu widerstehen, die gerechtfertigt und gut untermauert sind. Zudem kann man so alle gleich setzen und letztere einfach unter den Tisch kehren.

Begriffliche Sackgasse

Dem Mathematiker Benoît Rittaud4 kommt zumindest das Verdienst zu, auf die Kontroversen über statistische und mathematische Methoden des IPCC verwiesen zu haben, die es während der letzten Jahren in der angelsächsischen Welt gab. Bei diesen traten erstaunliche Dinge zutage. Zum Beispiel die vielzitierte «Hockey-Kurve», die die Berichte des IPCC ziert und die Realität der Klimaerwärmung sichtbar machen soll, erweist sich in Wirklichkeit als rein statistischer Kunstgriff : die gleiche Methode, wie zu deren geometrischen Darstellung verwendend, aber von imaginären und willkürlich erhobenen Daten ausgehend, sind die Forscher dem Trugschluss aufgesessen, dass eine Kurve dieser Form ihrer wissenschaftlichen Systematik entspringt! Doch auch die Klimaskeptiker stoßen auf vielfältige Schwierigkeiten beim erhofften Zugang zu den Methoden, die verschiedene wissenschaftliche Institute anwenden, wenn selbige die globale Temperatur anhand vorliegender Daten bewerten. Der Direktor eines dieser Institute hatte folgende Antwort parat: «Wir haben rund 25 Jahre dieser Arbeit gewidmet. Warum sollte ich Ihnen die Daten zur Verfügung stellen, wenn Sie lediglich die Absicht haben, Schwachstellen aufzuspüren?» Offenkundig haben die weiter oben geschilderten Prozesse der kritischen Überprüfung doch recht deutliche Grenzen! Zudem verengt sich die Perspektive, wenn das Erdklima allein durch eine globale Durchschnittstemperatur dargestellt wird. Es gibt kein «globales Klima», so der Klimatologe Marcel Leroux, sondern im Gegenteil eine große Vielfalt von Klimaten, deren jeweilige Eigenart durch den Breitengrad, die geographischen Verhältnisse, die ozeanischen und Windströmungen bestimmt werden. Er bemerkt, dass Meteorologie und Klimatologie sich «seit 50 Jahren in einer regelrechten konzeptuellen Sackgasse» befinden, weil sie nicht über ein Schema der globalen Strömungen in der Atmosphäre verfügen würden. Die Anhänger des IPCC mögen noch so sehr wiederholen, dass der Treibhauseffekt «ein physikalisches Phänomen ist, das sich im Labor reproduzieren lässt» (und sogar in den Gewächshäuschen der Laubenpieper!) – es muss mit Nachdruck festgestellt werden, dass das Klima kein abgeschotteter Laborversuch ist und der Treibhauseffekt nicht das einzige physikalische Phänomen, das eine Rolle spielt. Das Problem besteht also darin, die Gesamtheit der Phänomene zu begreifen, deren Zusammenhang und vor allem deren Dynamik, denn das Klima verändert sich fortwährend mit verschiedenartigen lokalen und regionalen Konsequenzen.

Deterministisches Chaos

Mit dieser Polemik wird ein bedeutendes Moment der Wissenschaft selbst verschleiert. Es handelt sich um das deterministische Chaos. Das Schweigen zu diesem Thema ist umso erstaunlicher, als dies gerade bei Forschungen zur Wettervorhersage ans Licht kam. 1961 entdeckte Edward Lorenz 5 dank stark vereinfachter Modelle der Atmosphäre (zwölf Gleichungen, die er in der Folge zu dreien zusammenfasste, dem grandiosen «Lorenz-Attraktor») die grundsätzliche Instabilität des Wetters. Wenn Wettervorhersagen jenseits dreier Tage nicht mehr zuverlässig sind, dann nicht, weil es an Präzision der Messungen oder an Rechnerkapazität mangelt oder weil die Modelle unzulänglich sind. In der Tat, jedwedes Modell, das vorgibt, Phänomene mit einem Mindestaufwand von drei nichtlinearen Gleichungen simulieren zu wollen, ist mit großer Sicherheit «chaotisch». Nicht dass man dabei etwas unberücksichtigt ließe, aber kaum mehr als einen mathematischen Zugang zu dem Phänomen zu haben erlaubt nicht, es vorherzusehen. Seine Dynamik läuft in bestimmten Grenzen ab (Attraktor), aber seine präzise Entwicklung (Verlaufskurve) kann unmöglich erfasst werden. Das betrifft Phänomene, deren Elemente laufend aufeinander einwirken, agierend und reagierend, wie Turbulenzen in Flüssigkeiten. Rechnungen zeigen, dass diese eine Verstärkung der «Störungen» produzieren, das heißt, dass selbst die kleinste Veränderung einen Einfluss auf das Geschehen im System hat.
Lorenz hat dies mit einem eindrucksvollen Bild, dem Schmetterlingseffekt, illustriert: Der Flügelschlag eines Schmetterlings hier kann in einigen Monaten einen Zyklon am anderen Ende der Welt zur Folge haben. Dieses Bild ist jedoch nicht exakt, weil es sich auf die Idee gründet, eine gegebene Ursache (der Flügelschlag) könne eine bestimmte Wirkung (den Zyklon) haben. Es ist eben nicht eine «Störung» allein, die verstärkt wird, sondern im Prinzip alle, und daraus folgt, dass ein bestimmtes Ereignis keine exakt zu identifizierende Ursache hat: Es wird produziert von der globalen Dynamik des Systems. Die lineare Kausalität der klassischen Physik (eine Ursache – eine Wirkung) wird ersetzt durch einen zirkulären Determinismus, wo die Begriffe von Ursache und Wirkung nicht mehr anwendbar sind.
Weder die Mitarbeiter des IPCC noch die Skeptiker scheinen das deterministische Chaos in Betracht zu ziehen. Der Grund dafür ist einfach: Dieses Phänomen gibt keiner von beiden Parteien recht. Der Anspruch des IPCC, das Klima mit Hilfe von Computermodellen für die nächsten 10, 50 oder 100 Jahre vorherzubestimmen, ist damit zunichte gemacht. Denn selbst wenn die Messungen genau und die Modelle exakt sind (was keineswegs feststeht), ist es strukturell unmöglich, eine Vorhersage für einen derartig langen Zeitraum zu erhalten, auf welchen Ausgangswerten auch immer sie beruht. Andersherum jedoch zu leugnen, dass «menschliche Aktivitäten» keinerlei Auswirkung auf das Klima haben, wie es zahlreiche Klimaskeptiker tun, ist widerlegt, denn jede Aktivität hat einen Einfluss (und zwar einen nicht zu berechnenden) auf die globale Dynamik. Damit sei auch gesagt, dass das Gerede der Apokalyptiker nicht gerechtfertigt ist, wenn sie die «Deregulierung des Klimas» aufs Tapet bringen. Als ob das Klima sich noch nie verändert und als ob jemals eine Regulierung des Klimas stattgefunden hätte. Diese starre Vorstellung entspringt einer Konzeption vom Klima als Maschine, welche Wissenschaftler der unterschiedlichsten Lager propagieren und die das Symptom mangelnder Überlegung zu diesem Thema ist: Im Räderwerk einer Maschine sind die Elemente ein für allemal in einem fest definierten Verhältnis zueinander angeordnet, während sich beim Klima die Verhältnisse zwischen den Phänomenen ändern, sich neu etablieren und zu veränderten Bedingungen führen können.
Von Belang ist also nicht so sehr das Wissen darum, ob das «globale Klima» - das es nicht gibt - sich erwärmt oder abkühlt, sondern vielmehr das Wesen der vor sich gehenden Veränderungen genau zu verstehen. Und kein Computermodell und keine noch so enorme Rechnerkapazität, die heute die Herzen aller Wissenschaftler vor Faszination höher schlagen lassen, kann uns weiterhelfen.

Okkulte Gesellschaft

So sehr die Anhänger des IPCC sich auch verteidigen, wenn sie das Klima einzig auf die globale Temperatur reduzieren ebenso wie die Erwärmung auf die CO2 Konzentration - dies wurde immerhin anerkannt und in den letzten Jahren überall herumposaunt - sie haben es als unnütz erachtet, gegen diese Vereinfachungen etwas zu unternehmen, denn sie garantierten ihnen in Wahrheit Ansehen und Erfolg.
In dieser Polemik wirft jeder dem anderen vor, dass die Argumente «nicht wissenschaftlich» seien, als ob die «Klimawissenschaft» eine gut begründete und exakte Lehre wäre - ist sie doch in Wirklichkeit noch sehr jung. Der Wissenschaftshistoriker Jan Sapp 6 zeigt am Beispiel der Mendelschen Genetik zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass derartige Polemiken Anzeichen für einen Fachbereich sind, der seinen Gegenstand noch nicht klar bestimmt hat und folglich seine Untersuchungsmethoden sowie die Bewertungskriterien seiner Resultate noch nicht aufgestellt hat. Er zeigt auch, dass der Ausgang solcher Konflikte in keiner Weise der Exaktheit oder dem wissenschaftlichen Wert einer schließlich sich durchsetzenden Lehrmeinung vorgreift, und das wiederum ist begründet im Kampf um Einfluss und in der Fähigkeit, schnell eine erkleckliche Zahl Jünger zusammenzubringen. Die Suche nach Wahrheit ist hierbei zweitrangig. Ohne alles relativieren zu wollen und aus der wissenschaftlichen Theorie ein lediglich soziales Konstrukt zu machen, ist es dennoch wichtig, dies zu berücksichtigen, wenn man die Autorität der Wissenschaft beschwört.
Sie hat die Gesellschaft ins Dunkel gerückt, das ist das Bemerkenswerte an einer Polemik, die sich vor allem anderen wissenschaftlich gibt. Und eben jene Gelehrtengemeinde ist augenscheinlich von einer idealen und zivilisierten Gesellschaft weit entfernt, trotzdem wollen uns die Initiatoren der Petition gegen Allègre das Gegenteil glauben machen. Welcher Denkrichtung sie auch angehören mögen, letztend-lich stimmen die Wissenschaftler jeder Couleur darin überein, dass der Mythos einer reinen und von Interessen freien Wissenschaft aufrechtzuerhalten sei, so als seien sie von den drängenden gesellschaftlichen und politischen Problemen losgelöst (auch innerhalb ihrer eigenen Institutionen). Gerade diese Probleme aber stellen nicht zu vernachlässigende Einflussfaktoren auf das Klima dar. Eine «Theorie des Komplotts» - wie Allègre und andere sie vorbringen - ist aber genauso wenig brauchbar, um eine Erklärung zu finden: Das wissenschaftliche ist sicher mehr noch als andere Milieus für das Personal dort undurchschaubar: Konformismus, Klüngelwirtschaft, Kampf um Einfluss in der Bürokratie haben freien Lauf; dies alles wird gedeckt durch eine engelgleiche Ideologie von der «Kontrolle durch Gleichgestellte». Es gibt Forscher, die die Außenbezirke von Riesenstädten oder Völker im Urwald des Amazonas untersuchen, aber hat schon mal einer von ihnen die Gelehrtengemeinde selbst erforscht?
Jedenfalls ist es offensichtlich, dass wir inzwischen ins Anthropozän eingetreten sind, wie die Londoner Geologische Gesellschaft im Februar 2008 offiziell ein neues Erdzeitalter überschrieben hat. Sie wollte damit die Ära bezeichnen, in der wir uns seit dem 19. Jahrhundert, seit der industriellen Revolution befinden, dem Moment also, da die Aktivität der menschlichen Spezies beginnt, eine «geophysikalische Kraft» zu werden, die fähig ist, den Planeten zu verändern. Die Biosphäre in ihrer Gesamtheit, nicht allein das Klima, ist heute von menschlichem Einwirken betroffen. Wir sind zu sehr geneigt, dies zu vergessen.

*Chefredakteur von Notes & Morceaux Choisis, bulletin critique des sciences, des technologies et de la société industrielle

  1. Stéphane Foucart, Le cent-fautes de Claude Allègre, Le Monde vom 28. Februar 2010
  2. L’imposture climatique ou la fausse écologie, éd. Plon, 2010
  3. Intergovernmental Panel on Climate Change ist eine Einrichtung des United Nations Environment Programme (UNEP) und der World Meteorological Organization (WMO), eine Gruppe von Experten verschiedener Regierungen, die sich mit Fragen des Klimawandels beschäftigen. www.ipcc.ch
  4. Benoît Rittaud, Le mythe climatique, éd. Seuil, 2010
  5. James Gleick, Chaos, Making a New Science, New York, Viking, 1988
  6. Beyond the Gene, Cytoplasmic Inheritance and the struggle for Authority in Genetics, New York, Oxford University Press, 1987