BUCH BESPRECHUNG:Russland und den Iran destabilisieren: Ein Ziel der USA?

von Jean-Marie Chauvier (Journalist, Brüssel), 14.09.2004, Veröffentlicht in Archipel 118

Der US-Stratege Zbigniew Brzezinski, auch Zbig genannt, steht an der Spitze internationaler Bemühungen, um Tschetschenien unter ein internationales Mandat zu stellen. Aserbaidschan und Georgien sind bereits ins «euro-atlantische» Lager «gekippt», der Bau einer neuen kaspischen Erdölleitung (BTC) ist im Gang. Der Zerfall Russlands und des Iran wäre nach Darstellungen Zbigs ein Wunschziel, wenn USA, Europäische Union und NATO im Einverständnis handelten.

Die eurasische Kampagne von Zbig

In seinem neuen Buch «Le vrai choix» («Die richtige Wahl», noch nicht auf Deutsch veröffentlicht), welches sich mit den Mitteln zur Sicherung der weltweiten Überlegenheit der Vereinigten Staaten beschäftigt - nicht bezüglich einer «unilateralen» Aktion à la Bush, sondern in enger Kooperation mit der EU - hält der Stratege (der sich damit brüstet, «die UdSSR in Afghanistan durch die Mobilisierung der islamistischen Rebellion in die Falle gelockt zu haben») das «eurasischen Spiel» für ein wichtiges Element, um die Herrschaft und Kolonialisierung Russlands und des ehemaligen sowjetischen Raums aufzubauen. Zbigniew Brzezinski, der sich bereits offen für eine Aufteilung Russlands in einzelne Staaten zeigte, deutet an, dass die kaukasischen Republiken, darunter Tschetschenien im Kriegszustand, den Zerfall der Russischen Föderation einleiten könnten. Nun setzt sich Zbig auch gleichzeitig in den USA für den «Frieden in Tschetschenien» ein und genauer gesagt, für dessen Stellung unter UNO-Mandat. Dazu dient der «Plan Achmadow», der in Europa von der transnationalen radikalen Partei (mit Unterstützung von Endowment for Democracy – USA), den europäischen Grünen, Daniel Cohn-Bendit, André Glucksman und weiteren pazifistischen, Menschenrechts-, russischen und internationalen Organisationen unterstützt wird. Parallel zur Destabilisierung Georgiens und der Ukraine durch die fragwürdige Soros-Stiftung sowie andere amerikanische Institutionen und Stiftungen, gibt es eine Kampagne zur «Expansion der Demokratie» in der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS). Im Gegensatz zu George W. Bush, der kritisiert wird, setzt sich der Demokrat Zbig für ein einvernehmliches Handeln zwischen den USA und ihren NATO-Verbündeten ein, dabei jedoch die Überlegenheit, nicht die «Herrschaft» der Vereinigten Staaten über den Rest der Welt sichernd. «Der Europäischen Union und der NATO bleibt keine Wahl: Sie müssen an ihrer Erweiterung arbeiten oder verlieren den aus dem Sieg des Kalten Krieges gewonnenen Vorteil. (...) Die Ausdehnung der euro-atlantischen Umlaufbahn bedeutet zwingend, die Einbindung neuer unabhängiger ex-sowjetischer Staaten und insbesondere der Ukraine». 1 **

Hauptmotiv: Schwarzes Gold

«Im Laufe der kommenden Jahrzehnte wird die gefährlichste und instabilste Region, welche den gesamten Planeten ins Chaos stürzen kann, der weltweite Balkan sein.» Der Autor schließt in diesen etwas verschwommenen Begriff den Mittleren Osten, Iran sowie die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion, als «eurasischen Balkan» verstanden, mit ein. Er betont, dass diese Region die größten Erdöl- und Erdgasvorkommen besitzt, sehr instabil sei und die USA «keine Wahl hätten». Sie müssten in einer Region von wankelmütigen Staaten eine minimale Stabilität garantieren. Vom Standpunkt amerikanischer Interessen aus gesehen, lässt die gegenwärtige politische Situation in der Hauptproduktionszone von Energie zu wünschen übrig. Im Norden, sei es im Nordkaukasus oder in Zentralasien, erleben die neuen unabhängigen erdölexportierenden Staaten noch die ersten Phasen ihrer politischen Konsolidation. In Erwartung der neuen Pipeline BTC, welche Erdöl vom Kaspischen Meer - unter Umgehung russischer und iranischer Kontrolle - transportieren soll, ist die Region amerikanischen Manövern ausgeliefert, die auf eine Änderung der strategischen Realitäten in dieser Region abzielen. Aber «das Erdbeben» am Persischen Golf könnte alles in Frage stellen, und wenn die Vereinigten Staaten nicht aufpassen, «könnte Russland seine Anstrengungen verstärken, die darauf gerichtet sind, eine dauerhafte politische sowie militärische Präsenz der Vereinigten Staaten in Zentralasien zu untergraben.» 2

Russland seine kaukasischen Republiken wegnehmen?

«Seinerzeit unter die exklusive imperiale Kontrolle Russlands gestellt, umfasst die Region heute drei unabhängige Staaten (Georgien, Armenien, Aserbaidschan), deren Sicherheit nur ungenügend gewährleistet ist, sowie eine Konstellation kleiner ethnischer Enklaven in einem nördlichen Teil unter russischer Herrschaft». 3 Mittels dieser merkwürdigen Worthülsen spricht der Autor von nordkaukasischen Mitgliedern der Russischen Föderation! Stellen wir uns die Benutzung dieses Vokabulars entsprechend in Frankreich «Die ethnischen Enklaven von Korsika und der Bretagne noch immer unter französischer Herrschaft» oder in Spanien: «Die baskischen und katalanischen Enklaven noch immer unter spanischer Herrschaft» vor.

Der Gebrauch der Begriffe «Enklaven» und «noch» zeigen den Willen, diese Länder von Russland loszulösen oder anders ausgedrückt mit dem Kaukasus beginnend, den Zerfall Russlands einzuleiten, wie es Zbig bereits in seinem vorherigen Werk «Das große Schachbrett» beschrieb. Zudem agiert Zbig eifrig im Komitee für Frieden in Tschetschenien und ist - neben Achmadow, dem separatistischen Außenminister Tschetscheniens - als Mitautor des Achmadow-Plans bekannt, welcher zum Ziel hat, Tschetschenien unter UNO-Mandat zu stellen, ein Vorspiel zur Unabhängigkeit. Mit anderen Worten: Bewusst oder unbewusst, spielen die militanten «Pazifisten» dieses Planes mit bei diesem vom US-Establishment und der CIA, mit Zbigniew Brzezinski eng verbunden, inszeniertem Spiel.

Vereinigung der Aseris aus dem ex-sowjetischen Aserbaidschan und dem Iran

«Die Region bildet unter anderem den Schnitt- und Konfrontationspunkt zwischen Russland, dem Iran und der Türkei. Zu diesen traditionellen Reibungen (ethnisch, religiös) kam mit Beginn der postsowjetischen Ära der harte Wettkampf um die Verteilung der Energiereserven vom Kaspischen Meer hinzu. Auf Zeit ist es wahrscheinlich, dass die bedeutende Bevölkerungsgruppe der Aseris im Nordwesten Irans die Wiedervereinigung ihres Territoriums mit dem unabhängigen und relativ blühenden Aserbaidschan erreichen möchte, was einen neuen Brand in dieser Krisenregion entfachen würde». 4

Zbig stellt also die «Möglichkeit»* eines Auseinanderfallens des Iran fest. Ist es eine «Möglichkeit» oder vielmehr eine «Zweckmäßigkeit», * welche die USA ergreifen, um die Staaten dieser Region noch mehr zu schwächen und ihnen ihr Diktat aufzuzwingen. Und dabei kontrollieren sie schon Aserbaidschan und Georgien...

Sich sehr wohl der demokratischen Defizite zahlreicher Länder bewusst, scheint ihnen dagegen das verbündete Regime Aserbaidschans keine übertriebenen Sorgen zu bereiten, obgleich es zu den repressivsten in dieser Region zählt. Halten wir auch fest, dass ein vereinigtes aserisches (türkisches) Land zu einem beträchtlichen Einflussraum der Türkei werden könnte.

Die NATO in der Ukraine und bald auch im Kaukasus

Nach der EU-Erweiterung auf 25, später auf 27 Mitglieder, in der NATO auf 26, erscheint «als nächste Etappe das Definieren eines angepassten Vorgehens, welches die Ukraine ermutigt, ihren Beitritt vorzubereiten (eventuell vor Ablauf dieses Jahrzehnts) vollkommen logisch. In gewissem Maße gelten dieselben Erwägungen auch für den sehr fragilen Kaukasus».

Zudem bedeutet die Entbindung der Ukraine und des Südkaukasus aus dem russischen Einflussbereich, dass «die Verantwortung für die Stabilisierung des Kaukasus - wie sie es müsste - für einen wesentlichen Teil der NATO zufallen könnte» (...) Wenn Russland sich mit dem Unvermeidlichen abfinden wird, dass heißt dem Fortführen der NATO-Erweiterung (...) werden die Widerstände gegen eine Verlängerung des Aktionsradius der NATO bis in den ehemaligen sowjetischen Raum hinein, zusammenbrechen». 5**

Der Autor lobt den «Realismus» von Wladimir Putin seit dem 11. September, aber zeigt deutlich, was bei dieser Schlacht für Eurasien auf dem Spiel steht: Die Energiequellen vom Kaspischen Meer und Sibirien befinden sich zur Zeit unter russischer Kontrolle oder russischem Einfluss. Seit der Yukosaffäre im Jahre 2003 ist das Eindringen von US-Kapital in das Herz der sibirischen Erdölindustrie Russlands an der Tagesordnung. Aber der Widerstand Wladimir Putins gegenüber den Ambitionen des ex-Chefs von Yukos, Michail Chodorkowski, hat vorübergehend etliche gemeinsame Projekte von Exxon-Mobil und Yukos-Sibneft verhindert.

Transnationales Ziel: Die Kolonisierung Sibiriens

«Eine transnationale Anstrengung, um Sibirien zu entwickeln und zu kolonisieren, wäre zur Belebung der euro-russischen Beziehungen geeignet (...). Mit einer verstärkten europäischen Präsenz würde Sibirien gewissermaßen zu einem gemeinsamen eurasischen Vermögen werden, genutzt durch einen multilateralen Vertrag, welcher für die europäische Gesellschaft die Herausforderung einer neuen Grenze überflüssig machen würde. Aber die Zusammenarbeit mit Russland muss von komplementären Initiativen begleitet sein, die darauf ausgerichtet sind, den geopolitischen Pluralismus zu konsolidieren.» 6

Jean-Marie Chauvier

Journalist, Brüssel

  1. Zbigniew Brzezinski «Le vrai choix» (Die richtige Wahl), Verlag Odile Jacob, 2004; siehe auch: «Das große Schachbrett» vom selben Autor, Bayard 1997: «Die Unabhängigkeit der Ukraine verändert selbst den Zustand des russischen Staates. Dieses alleinige Faktum, dieses neue bedeutende Feld auf dem eurasischen Schachbrett, entwickelt sich zu einem geopolitischen Angelpunkt. Ohne die Ukraine, ist Russland in Eurasien kein Empire mehr, und die Ukraine wird währenddessen zum wesentlichen Streitpunkt. Die Expansionsbestrebungen der Europäischen Union und der NATO sind in vollem Gange. Auf Zeit wird die Ukraine, wenn sie es wünscht, darüber entscheiden, der einen oder anderen dieser Organisationen beizutreten.» **

  2. «Die richtige Wahl», 2. Kapitel: «Die neue durcheinander geratene Weltordnung und ihr Dilemma»**

  3. ebenda, Seite 135; siehe auch: «Das große Schachbrett»: «Aserbaidschan (...) befindet sich auf einem neuralgischen Gebiet, denn es kontrolliert den Zugang der Reichtümer vom Kaspischen Becken und Zentralasien. (...) Ein unabhängiges Aserbaidschan, das durch die Ölpipeline, welche die unter russischen Einfluss stehenden Gebiete umgeht, mit dem westlichen Markt verbunden ist, ermöglicht die Verknüpfung von entwickelten Wirtschaftsgebieten mit einem hohen Energieverbrauch und den begehrten Lagerstätten in den zentralasiatischen Republiken». **

  4. «Die richtige Wahl», Seite 135**

  5. ebenda, Kapitel 3: «Die Verwaltung der Allianzen und ihre Schwierigkeiten»**

  6. ebenda, Seite 141

Der «eurasische Balkan»

nach den Vorstellungen Zbig’s

Der Ausdruck «eurasischer Balkan» für die Bezeichnung des nichtrussischen (südlichen) Teils der ehemaligen Sowjetunion wird vom bekannten US-amerikanischen Strategen Zbigniew Brzezinski verwendet und er versteht darunter - gemäß dem europäischen Balkan - eine ausgedehnte Region, die der Aufteilung und den Absichten der Großmächte ausgesetzt ist. Von denen sind diejenigen Russlands anfechtbar, die von den USA werden als legitim und vorrangig beurteilt.

Diese instabile Region reicht von der westlichen Ukraine bis nach Zentralasien über den Kaukasus und das Kaspische Meer. Das an Mineralölen reiche Becken vom Kaspischen Meer und die Transportwege des Erdöls und -gases sind Zankäpfel zwischen der ehemaligen herrschenden russischen Macht (Ex-UdSSR, «degradiert» in die GUS) und den Vereinigten Staaten, welche angesichts ihrer Berufung die Welt zu regieren, die Vorherrschaft in Eurasien fordern. Das ist zumindest die Art, wie es amerikanische Strategen, die Bush nahe stehen, oder Gegner, Liberale wie Demokraten, z.B. Zbig, sehen. Der Trankskaukasus (oder Kaukasus des Südens oder südliche Kaukasus) ist die am stärksten fortgeschrittene Region beim Umkippen ins Lager der Vereinigten Staaten und der NATO. Sie umfasst drei Staaten: Aserbaidschan, wo sich der Ausfluss des Öls aus dem Kaspischen Meer befindet; Georgien, wo die Pipeline hindurchgeht; und Armenien, das bis vor kurzem aufgrund seiner pro-russischen Sympathien diesem Kippen und vor allem den Konflikten mit Aserbaidschan und der Türkei ausweichen konnte. Diese geopolitische Situation ist im Begriff, sich rasant zu entwickeln. Wie Aserbaidschan und Georgien, könnte auch Armenien NATO-Kandidat werden. Die russischen Misserfolge in Tschetschenien bringen die «internationale Gemeinschaft» vielleicht dazu, sich diesem Problem intensiver zu widmen, zumindest seitdem die Vereinigten Staaten dies für angebracht halten.