Im Rahmen der weltweiten Globalisierung versuchen seit 40 Jahren auch in Costa Rica multinationale Aktiengesellschaften sich der rentablen Sektoren wie Telekommunikation, Elektrizität, Gesundheitswesen, Bildung, Trinkwasser- und Abwasserversorgung usw. zu bemächtigen. In Bezug auf die Stromerzeugung drohen einige Dutzend Projekte die attraktiven tropischen Bergflüsse Costa Ricas zu zerstören.
n der Universität von Costa Rica beschreibt diesen Prozess:
«Trotz der scharfen Kritik von Seiten der costarikanischen Elektrizitätsgesellschaft (ICE), der Universitäten, der Procuradoria, der Institution für die Regulierung der öffentlichen Dienstleistungen (ARESEP), des Kontrollgerichtshofes, der Parlamentskommissionen, der sozialen Sektoren und der betroffenen Bevölkerungsgruppen, hat die Regierung von neuem die private Elektrizitätserzeugung zum Mittelpunkt ihrer Energiepolitik erklärt. Zu diesem Zweck verabschiedete sie zwei Gesetze (Nr. 7200 und 7508), die den privaten Stromerzeugern 30 % (140 MW) des Marktes zusichern sollen. Dieser Prozess hat zur Schwächung des staatlichen ICE beigetragen und ist auch für die steigenden Strompreise in den letzten 20 Jahren verantwortlich.
(...) Von den 140 MW sind 100 für eolische und 40 für hydroelektrische Projekte vorgesehen. Neben den 11 Firmen, die ursprünglich um Wasserrechte angesucht haben, gibt es heute eine Unzahl von neuen Ansuchen, die im Sekretariat für Umweltverträglichkeitsprüfung (SETENA) auf ihre Genehmigung warten. Viele dieser Ansucher rechnen mit der totalen Öffnung des Marktes durch Gesetze, die bereits im Parlament liegen. Die privaten Betreiber beeilen sich, denn nach Unterzeichnung des Vertrages haben sie lediglich ein Jahr Zeit die Umweltverträglichkeitsstudie einzubringen und ausserdem wissen sie, dass rund um diese Projekte soziale und ökologische Konflikte zu erwarten sind.
Dieser Vorstoss für die private Elektrizitätserzeugung nimmt seinen Weg ohne das neue Wassergesetz, das bereits ausgearbeitet vorliegt, sowie notwendige Verfassungsänderungen, die Wasser zum öffentlichen Gut zu erklären sollen, zu berücksichtigen. Es gibt zur Zeit keine Richtlinien, eine rationelle Nutzung der Wasservorräte auf nationaler Ebene umzusetzen. Diese Situation hat in vielen Regionen Costa Ricas zu heftigen Konflikten und zur Spaltung von ganzen Dörfern geführt.
Die Universität von Costa Rica hat sich gegen die Gesetzesvorschläge, welche die private Beteiligung zu Ungunsten des ICE erhöhen sollen, ausgesprochen. Die privaten Betreiber haben keine klaren Preisvorstellungen. Ihre Tarifvorschläge liegen weit über den Standards des ICE. Ausserdem lösen die kleinen Wasserkraftwerke auf lange Sicht in keiner Weise das Problem der Elektrizitätsnachfrage in diesem Land. Costa Rica benötigt Energie, die über das ganze Jahr gleich verfügbar ist, und nicht nur in den Regenmonaten, wo die Flüsse ausreichend Wasser führen. In diesem Zusammenhang ist es unverständlich, dass die Regierenden dieses Landes mit großem Überschuss an Sonnenschein, kaum an Solarenergie denken – und auch nicht an Sparmassnahmen wie z.B. klimagerechte Architektur, die Klimaanlagen überflüssig machen würde.
Mit Hilfe der Gesetze 7200 und 7508 wurden bisher 27 private Wasserkraftwerke gebaut. Mehr als 50 weitere Projekte stehen auf der Warteliste. Überall gab es Konflikte mit der lokalen Bevölkerung. In Sarapiqui und Guacimo kam es zu Volksabstimmungen, die negativ für die privaten Ansucher ausgingen. Und hätte vor über zehn Jahren nicht der entschlossene Kampf der Bauern der südlichen Region von Pérez Zeledón stattgefunden, wären die 50 weiteren Projekte längst Realität. Mit einer Eingabe beim Verfassungsgerichtshof brachten sie damals die privaten Projekte zu Fall. Heute stehen dieselben Dörfer wiederum vor denselben Problemen und beginnen sich aufs Neue auf die Verteidigung ihrer Flüsse vorzubereiten.
Die schwerwiegendsten Folgen der Projekte sind nicht nur die sozialen Konflikte, sondern auch die Folgen für die Umwelt: Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung, Bedrohung des biologischen Kreislaufes durch eine Reduzierung der Wassermindestmenge (Caudal ecológico) auf 10% der Durchschnittswassermenge, Möglichkeit von periodisch auftretendem Hochwasser flussab-wärts, Gefahr des Berstens der Dämme bei den hier sehr häufigen Erdbeben, Zerstörung der Schutzwälder durch Wegbau, Umleitung von Flüssen, Umsiedlungen und Entwertung der Attraktivität der Landschaft für Erholung und Tourismus.
Manche Flüsse sollen mit bis zu einem Dutzend Projekten verbaut werden. Das führt zu kumulativen Schäden. Die Instrumente der Schadensbegrenzung und die Umweltverträglichkeitsstudien beziehen diese kumulativen Schäden in keiner Weise mit ein.
Mit den aktuellen Gesetzen können sich die privaten Betreiber zunächst einmal die 30 % des Marktes sichern. Die Bestrebungen gehen aber eindeutig in die Richtung einer totalen Marktöffnung. Das Gesetz der Kontingentierung der Elektrizitätserzeugung wartet im Parlament auf die Abstimmung. Damit sollen auch die grossen Klienten für den privaten Markt erschlossen werden. Das sind die Kooperativen, Industriebetriebe und das ICE. Damit würde auch ein Tor geöffnet, um Elektrizität zu exportieren. An den Anlagen der elektrischen Interkonektion (SIEPAC) wird bereits gearbeitet. Auch diese Arbeiten an den Hochspannungsleitungen stossen überall auf den Widerstand der lokalen Bevölkerung. Gleich wie beim Sektor Mobiltelefon, wo dem ICE durch die Benutzung seiner Infrastrukturen durch die privaten Betreiber bisher ein Schaden von 600 Millionen $ entstanden ist, ist schon jetzt abzusehen, dass wiederum die mit öffentlichen Mitteln errichteten Infrastrukturen des SIEPAC dem privaten Sektor zu Gute kommen sollen. Schon jetzt erklären Vertreter des ICE, dass die grossen Staudammprojekte wie Reventazon und El Diquis, sobald sie in Produktion gehen werden, Überschüsse an Elektrizität schaffen werden. Mit diesen Projekten könne Costa Rica in den zentralamerikanischen Markt eintreten und die Rentabilität enorm steigern. Aber das ICE sagt nicht, dass damit die Umwelt und die betroffenen Dörfer auf der Strecke bleiben werden. Die Gewinne würden transnationale Aktiengesellschaften wie UNION FENOSA und ENDESA, die Partner von SIEPAC und multinationale Banken einstreichen, während die Schäden lokal «sozialisiert» würden.
In diesem Sinne ist es ganz klar, dass diese Konzepte von Energieexport nicht ohne große soziale Probleme, beträchtliche Umweltschäden und die Bedrohung der energetischen Eigenständigkeit Costa Ricas möglich sein werden (…)1»
Die Dörfer in der südwestlichen Region wehren sich Beinahe jede Woche treffen neue Ansuchen für die Nutzung der Flüsse für Elektrizitätsgewinnung im gesamten Territorium von Costa Rica bei der zuständigen Genehmigungsstelle (SETENA) ein. Speziell betroffen sind die westlichen Abhänge der Kordillerenbergkette Talamanca im südlichen Costa Rica. In dieser attraktiven Bergregion erreicht der höchste Berg, Chirripo, 3800 m. Hier ist das grösste Schutzgebiet Costa Ricas anzutreffen: el Parque de la Amistad Costa Rica-Panama. Diesem Nationalpark wurde von der UNESCO der Status des Erbes der Menschheit und der Biosphäre verliehen, unter anderem wegen seiner weltweit einmaligen Dichte an Artenvielfalt.
Auf einer Fläche von nur ca. 5.000 Quadratkilometern sind hier an die 20 Projekte vorgesehen. Manche Flüsse sollen gleich mit zwei oder mehreren Kleinkraftwerken verbaut werden.
Die Dörfer Rivas und San Gerardo, am Rio Chirripo gelegen, die sich seit 15 Jahren erfolgreich gegen die Projekte wehren, haben sich, unterstützt von der katholischen Kirche, erneut in Komitees zur Verteidigung ihrer Flüsse zusammengeschlossen. Bürgerkomitees, Organisationen für den Erhalt der Biodiversität, Universitäten, Lehrer_innen und Gruppen, die sich um die Trinkwasserversorgung kümmern, koordinieren Informationen und Aktivitäten, um dieser Zerstörung ihrer Region und Lebensbasis entgegen zu wirken.
Speziell erwähnenswert ist der Fall des Dorfes Quizarrá, am Fluss Peñas Blancas gelegen. In diesem Dorf war der weltweit bekannte Ornitologe Alexander Skutch ansässig. Seine Finca, ein Waldschutzgebiet, ist nach seinem Tod der Organisation für tropische Studien (OET) überschrieben worden. Zusammen mit der Bevölkerung von Quizarrá entstand das Projekt des Biokorridors Peñas Blancas. Der Fluss Peñas Blancas macht einen wichtigen Teil des Projektes aus. Hier haben Biolog_in-nen endemische Fischarten und gefährdete Arten, wie zum Beispiel Fischotter, entdeckt. Die wissenschaftlichen Forschungen und Studienarbeiten werden vor allem von der Universität von York (Kanada) finanziert und durchgeführt.
Ein anderes Beispiel von Bedrohung eines Schutzgebietes ist das Dorf Longo Maï. Gegründet als Flüchtlingskooperative Finca Sonador von der Europäischen Kooperative Longo maï Ende der 70er Jahre und weitergeführt als Dorf mit der Option Landwirtschaft, Weiterverarbeitung der Produkte wie Kaffee und Zuckerrohr, ländlichen Tourismus und Umweltschutz in einem Wirtschaftsmodell zu verbinden. 452 Hektar tropischer Wald, mit Baum- und Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind bilden das Refugio Nacional de Vida Silvestre Longo Mai. Die wichtigsten Flüsse, die diese Schutzflächen begrenzen, sind der Rio Convento und der Rio Sonador. Beide sind durch Kleinkraftwerke bedroht. Die Projekte Monteverde I und Monteverde II würden über eine Strecke von ca. 5 km lediglich eine Restwassermenge von 10 % belassen, was einer Austrocknung gleichkommen würde.
Die von den Betreibern vorgelegten Umweltverträglichkeitsstudien sind äusserst ungenau recherchiert und weisen grobe Vernachlässigungen und Ungereimtheiten auf. Ganze Kapitel beziehen sich auf andere Projekte und andere Regionen. Eine hydrogeologische Studie wurde bisher nicht vorgelegt.
Die negativen Auswirkungen auf die drei betroffenen Dörfer, Longo Maï, Christo Rey und Convento sind folgende: Das biologische Schutzgebiet Longo Maï würde in seinem Gleichgewicht schwer beeinträchtigt. Viele wichtige biologische Ketten würden durch den Wasserentzug unterbrochen und viele Pflanzen- und Tierarten würden aussterben.
Die zahlreichen Quellen für die Trinwasserversorgung der drei Dörfer, die sich in unmittelbarer Nähe des Rio Convento befinden und offensichtlich Filtrierungen des Flusswassers sind, würden zumindestens in den Sommermonaten versiegen. Viele Bauern und Bäuerinnen, die heute das Wasser des Rio Convento für die Landwirtschaft nutzen, sei es zur Bewässerung ihrer Kulturen, sei es zum Tränken ihrer Tiere oder für ihre Fischzucht, sähen sich in einer ausweglosen Situation.
Geschickte Propaganda macht es möglich, dass selbst einige im Ökobereich Berufstätige zu glauben scheinen, dass derartige Energiegewinnung Etiketten wie "sauber" oder "grün" verdient.2
Longo Maï praktiziert seit 30 Jahren erfolgreich eine Form des ländlichen Tourismus. Fast alle Bauernfamilien bieten Zimmer zur Beherbergung an. Das erlaubt ihnen mit diesem Zusatzeinkommen auch in schwierigen Zeiten, wenn die Kaffeepreise wieder einmal im Keller sind, zu überleben. Die erfrischenden Flüsse sind für die Besucher_innen ein wichtiger Ort der Erholung und ein Naturerlebnis ersten Ranges. Das Tourismuskomitee von Longo Maï informierte, dass 2012 das Einkommen durch Tourismus der Dorfgemeinschaft 80.000.- $ einbrachte.
Für die originelle Form eines sozial verantwortlichen Tourismus bekam Longo Maï 2004 den internationalen To-do-Preis3.
Costa Ricas Stärke auf internationaler Ebene ist sein enormer Naturreichtum. Der Tourismus stieg in diesem Land nach der Landwirtschaft zur zweitwichtigsten Aktivität und Quelle für Devisen auf.
- erschienen in der Monatszeitschrift AMBIENTICO Nr.237/38 Sept./Okt. 2013
- Juri Spendlingwimmer, Anthropologe: Efectos de los Proyectos hidroelectricos Monteverde I y Monteverde II, La Nacion, April 2013 www.nacion.com/foros
- http://to-do-contest.org/preistraeger/finca_sonador01.html
Information unter: www.riosvivos.com und www.sonador.info
Dokumentarfilm: http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=cXzi3-4cBNc
Spendenkonto : PC 40-8523 CH Vermerk : RIOS VIVOS / Costa Rica