DEUTSCHLAND: Pegida - Simpel geht die Welt zu Grunde

von Roy Sommer, 09.03.2015, Veröffentlicht in Archipel 234

Zum 12. Mal in Folge trafen sich am 12. Januar in Dresden «Patriot_innen», um dem Aufruf von Pegida1 zu einem ihrer montäglichen «großen Abendspaziergänge» zu folgen.

25.000 laut der «Lügenpresse»2, fast doppelt so viele laut Veranstalter. Beruhigend nur, dass Dresden eine Ausnahme darstellt und es bundesweit um die 100.000 Menschen gab, die gegen Pegida auf die Straße gingen. Um die soll es hier aber nicht gehen. Es gilt, besser zu verstehen, wer da so in Dresden aufspaziert. Klar ist, da gibt es ein paar hundert Nazi-Hooligans, die dafür sorgen, dass sich Flüchtlinge gerade an Montagabenden beson-ders in Acht nehmen müssen. Die Rechtseadikalen sind aber nicht erst seit Pegida bestens vernetzt und eine große Gefahr für alle, die nicht in ihr Weltbild passen. Laut einer Studie der TU Dresden3 entstammt der «typische» Pediga-Demonstrant der Mittelschicht, ist gut ausgebildet, berufstatig, verfügt uber ein für sachsische Verhältnisse leicht überdurchschnitt-liches Nettoeinkommen, ist 48 Jahre alt, männlich, gehört keiner Konfession an, weist keine Parteiverbundenheit aus und stammt aus Dresden oder Sachsen. Überraschenderweise gaben nur 5% der Befragten an, aus Protest gegen religiös oder ideologisch motivierte Gewalt teilzunehmen. Hauptanliegen sind generelle Unzufriedenheit mit der Politik, vor allem mit Asyl-, Zuwanderungs- und Integrationspolitik. Andere Sozialwissenschaftler_innen sehen bei Pegida eine Mittelschicht mit Abstiegsängsten agieren. Der bürgerliche Hintergrund vieler Organisatoren ist ebenfalls bekannt. Die Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) in Sachsen (9,7%), Thüringen (10,6%) und Brandenburg (12,2%) sprechen eine ähnliche Sprache, und da im Westen wohl ähnliche Ergebnisse zustande gekommen wären, ist die AfD und damit Pegida kein rein ostdeutsches Problem. Sie ist der um Privilegien bangende Parteiarm einer rechtsbürgerlichen, bundesweit gut vernetzten außerparlamentarischen Bewegung, die noch immer Fahrt aufnimmt.
Was proklamiert wird Zum einen soll der durch Leistung vermeintlich rechtens erworbenen Wohlstandsvorsprung gegen die Ansprüche von Transfer-empfänger_innen, seien es Inlän-der_innen, Ausländer_innen oder andere Staaten verteidigt werden. Zum anderen soll unsere «Kultur» gegen die Anderen geschützt werden. Dass die «Altparteien» dies nicht täten, sondern aktiv «ausverkaufen» ist Konsens. Die selbst ernannten Leistungs-träger_innen würden zur «Minderheit im eigenen Land» gemacht.
Ein elitärer Kulturkampf im Fahrwasser der Sarrazin-Thesen4 und anderer Ideologien der Ungleichwertigkeit und Menschenfeindlichkeit sei also zu führen. Es gilt die Verteidigung tradierter Lebensweisen, Familienbilder, Werte und Normen gegen eine auch mehr und mehr rechtlich geschützte Pluralität moderner Gesellschaften, gegen «Kriminalität» und «Überfremdung». Ob diese durch den Islam, durch «Gendermainstreaming» oder «Minderheitenschutz» verursacht wird, ist in der Szene umstritten. Zu allen Thesen gibt es einschlägige und sehr gut verkaufte Literatur.
Vieles, was an der AfD heute reaktionär und spießbürgerlich wirkt und ist, war zu Kohls Zeiten noch klare Linie der Union.
Wer heute noch diese «klare Linie» vertritt und für sich beansprucht (sich z.B. gegen Abtreibung ausspricht), gehört nicht mehr unbedingt zu der umworbenen Mehrheit in der Gesellschaft, und der daraus entspringende Zorn entfacht das Gefühl, gegen den Abstieg zur Minderheit eine «Identität» verteidigen zu müssen. Da gibt es dann in konkreten Bürgerprotesten auch keine Berührungsängste mit der NPD. Das ständige Gefühl, zum Beispiel in Flüchtlingsfragen, nicht gehört zu werden, führt zum vermeintlichen Recht auf Selbstermächtigung, das sich dann nicht selten in Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte oder Moscheebauten niederschlägt. Bereits im Jahr 1991 wurde nach rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda5 das Asylgesetz durch den so genannten Druck von der Strasse ausgehöhlt. Auch bezüglich der Homoehe, Sexualkundelehrplänen oder Gender Studies gibt es gemeinsame Agitationsfelder die eine alte Rechte durch neue Allianzen neu erscheinen lässt. So klangen die Stellungnahmen zu den Attentaten gegen Charlie Hebdo von Jean-Marie Le Pen (Front National) und AfD-Vizechef Alexander Gauland nur in der Mundart verschieden.
Eine rassistische Parallele Viele der Aussagen von Pegidarist_innen stammen aus dem Internet. Hervorheben möchte ich «politically incorrect» (PI)6, mit mehr als 50.000 Besucher_innen täglich einer der größten deutschsprachigen Blogs. Die Artikel stammen vor allem von rechten Intellektuellen, die sich als Konservative sehen. PI sieht sich als Vorkämpfer gegen die «Islamisierung» Deutschlands und Europas, gegen die «Überfremdung». In der dort vertretenen Weltsicht wird diese Entwicklung in der öffentlichen Debatte und in den Medien zu Gunsten einer «politischen Korrektheit» und eines «Multikulturalismus» verschwiegen. Obwohl sich PI betont USA- und Israel-freundlich gibt und sich damit von Nazis wie der NPD abgrenzen will, stellt der Historiker Wolfgang Benz in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau fest: «Es gibt strukturelle Ähnlichkeiten: Gesteuert und angetrieben aus der Mehrheit mit Überfremdungsängsten werden Minderheiten mit negativen Eigenschaften belegt. Die deutlichste Paral-lele ist das religiöse Argument: Im 19. Jahrhundert wurden Juden als Feinde stigmatisiert, weil ihre Religion ihnen angeblich gebietet, aggressiv gegenüber Nichtjuden zu sein. Da haben selbst ernannte Talmud-Experten dem Publikum vorgefaselt, was alles an bösen Dingen im Talmud stehe. In der heute gängigen islamophoben Literatur und im Internet finde ich genau dasselbe Argument. (…) Das ist eine rassistische Parallele. Der kulturell-religiöse Vorwurf lässt ja die meisten Leute in einer so säkularisierten Gesellschaft wie unserer eher kalt. Aber wenn das gleichzeitig mit genetischen Eigenschaften vermischt wird und der Behauptung, dass Muslime mindere Menschen sind, die gar nicht integrationsfähig seien; dass sie nicht assimilationswillig seien – auch eine Parallele zum Antisemitismus – das ist die klassische Feindbildkonstruktion.»7
Um der Dummheit und der Angst nicht diese schöne Welt zu überlassen, muss diesen Entwicklungen auch weiter argumentativ und auf der Strasse begegnet werden!

  1. Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Siehe Archipel Nr. 233
  2. In der Zeit des Nationalsozialismus diente dieses Schlagwort unter anderem zur Denunziation der Kritiker des Nationalsozialismus als Kommunisten und Juden und der Behauptung einer Steuerung der Presse durch das «Weltjudentum«.
    Neben «Wir sind das Volk» ist «Lügenpresse» einer der immer wieder gerufenen Slogans bei den Pediga -Demonstrationen. Gemeint sind alle Medien, die sich z.B. kritisch mit Pegida beschäftigen.
  3. http://tu-dresden.de/aktuelles/news/Downloads/praespeg
  4. T. Sarrazin, Starautor der neuen Rechten
  5. Kleinstadt in Sachsen. Im September 1991 kam es während mehreren Tagen zu rassistischen Ausschreitungen. Anwohner_innen klatschten Beifall und die Polizei griff erst spät ein und schob die Opfer der Angriffe umgehend ab. Dieses erste rassistische Pogrom nach 1945 war der Auftakt von einer ganzen Reihe von Übergriffen u.a. in Rostock, Mölln und Solingen.
  6. http://www.pi-news.net/
  7. http://www.endstation-rechts-bayern.de/rechte-szene/politically-incorrect/