Am 21. und 22. September fand in Bure (Meuse) eine feministische, antinukleare Versammlung von 450 Personen der FLGBTQ sowie eine lautstarke Demonstration gegen ein Projekt der Bodenlagerung von nuklearem Müll statt. Wir waren bei diesem Treffen mit dabei und hatten Lust, unsere dortigen Erfahrungen zu teilen.
Ein Blick auf Bure
1993 akzeptierten die Vertreter•inn•en von La Moselle die Errichtung eines Labores, um die Bodenlagerung des hochradioaktiven Mülls der zentralen Atomkraftwerke Frankreichs vorzubereiten. 40 Jahre nach Inbetriebnahme des ersten französischen Atomkraftwerkes wurde keine Lösung gefunden, um dessen Abfälle zu verarbeiten oder zu lagern. Sie 500 Meter unter der Erde zu vergraben ist also der effizienteste Weg, um mit diesem Problem umzugehen? So zumindest bestimmte es die Nationalversammlung 1991 in dem Gesetz Bataille, ohne die technische Machbarkeit zu kennen noch die Risiken evaluiert zu haben. Dieses Gesetz erlaubt des Weiteren, sich über die Befragung der Bewohner•innen hinwegzusetzen und so wurde entschieden, in Bure das Labor von „Andra“ zu errichten (ein Projekt namens „Cigeo“). Um dessen Vorantrieb durchzusetzen, wurde eine starke Polizeikontrolle Vorort eingesetzt, mit dem Ziel, die Proteste der Anwohner•innen zu beschränken. Dennoch gibt es seit den 1990er Jahren Ansässige sowie Bürger•innen, die von weither anreisen, um gegen das Projekt anzukämpfen und um es auszubremsen. Erstmalig in Frankreich wurde ein feministisches Anti-Atom-Treffen am 21. und 22. September 2019 gegen Labo-Minable organisiert. Der mediale Deckmantel des Kampfes und die sehr starken Repressalien von Seiten der Polizei, die er ertragen muss, wurden stets verkürzt dargestellt. So auch dieses Mal. Die Artikel der nationalen Presse beleuchten bei der Aktion, an der wir teilgenommen haben, lediglich die Frage der selbstgewählten FLGBTQ und des Geländeverbotes von Journalisten, die der Gruppe von cis-Männern angehören. Sollten wir mal die Anzahl der Demonstrationen aufzählen, bei denen ausschließlich Männer mitlaufen?
Die selbstgewählte FLGBTQ
Die Wahl der FLGBT ohne cis-Männer ist nicht unbedeutend. Das Erbe der zweiten feministischen Bewegung besteht darin, einen Platz für Personen zu schaffen, die Erfahrungen der Unterdrückung teilen, um sich gemeinsam zu organisieren. Eine strategische Selbst-Organisation erlaubt es zum einen, sich frei äußern zu können, ohne dass dabei Menschen anwesend sind, die der dominierenden sozialen Gruppen angehören. Zum anderen wird dadurch den Teilnehmenden die Möglichkeit eröffnet, sich zu politisieren, was unter anderen Umständen vielleicht sonst nicht stattgefunden hätte. Die selbstgewählte FLGBTQ dieser Aktion definierte sich durch die Abwesenheit von cis-Männern. Demnach waren Menschen willkommen, die sich als Transgender, gouines, cis-Frauen definieren sowie alle anderen, die sich außerhalb der normativen Kriterien der Binärität sehen.
Gute Atmosphäre
Bei dieser Versammlung konnten die Teilnehmer•innen Energie und Kraft schöpfen. Manche unter ihnen waren stolz an einer Aktion der Umweltbewegung teilzunehmen, die zu 100% von Feministen organisiert wurde, wodurch eine niedrigschwellige Logistik abgesichert sowie eine beruhigte und effiziente Wahl des Kampfes vorgesehen wurde, andere erlebten wiederrum Momente, in denen alle Gefühle der Furcht verschwanden und sie sich in einer willkommen heißenden und inklusiven Stimmung wiederfinden konnten.
Das Programm vom Wochenende
Für die beiden Tage war ein reiches und vielfältiges Programm vorgesehen: -diverse Workshops sowie Diskussionen wurden während des gesamten Wochenendes angeboten: feministische Selbstverteidigung, Auto-Gynäkologie, Diskussionen über Ökofeminismus (siehe Rahmen) sowie über den Kampf in Bure -ein Theaterstück mit dem Titel „Punctum Diaboli“ von der „Companie des oubliettes“ bezüglich der Hexenjagd vom Mittelalter bis hin zur Renaissance. Dieses politisch engagierte Stück hat uns durch seinen anfänglich humoristischen und dann dramatischen Stil tief ergriffen. -des Weiteren wurden mehrere Filme und Sendungen angeboten. Im Besonderen notierten wir eine Dokumentation mit dem Titel „Ni les femmes, ni la terre“ (frei übersetzt: „Weder die Frauen, noch die Erde“), die Zeugnisse von Frauen aus Südamerika zeigt, die gegen das Patriarchat, den Rassismus, den Neokolonialismus kämpfen, Letzterer v.a. repräsentiert durch multinationale Konzerne wie Monsanto oder auch dem Extraktivismus. Dieser Film legt die Überkreuzungen all dieser Systeme der Unterdrückung offen. -Konzerte und eine Feier haben den Samstagabend ebenfalls belebt. Der Höhepunkt der Versammlung war die Demonstration am Samstagnachmittag gegen Labo-Minable, d.h. gegen das Labor von Andra*, dem Sitz von Experiment-Projekten zur Bodenlagerung von radioaktiven Müll. 85 Autos haben sich an die Spitze des Marsches begeben und um die 450 Personen liefen gemeinsam durch Felder und Wälder, während sie Lieder sangen und Slogans riefen. Rießige Marionetten von radioaktiv-mutierten Tieren wurden für den Anlass angefertigt, bevor sie beim Zielort des Marsches verbrannt wurden, 500 Meter vom Labor entfernt. Eine improvisierte Farandole (provenzalischer Tanz) drehte sich um das Feuer und endete in einem energischen Tanz. Außer einer Gendarmen-Sperre, die wir subtil verdrängen konnten, gab es keinerlei Repressionen durch die Polizei, was für so eine Demonstration in Bure eine Ausnahme ist, da die Letzten eine besonders extreme und schockierende Repression ertragen mussten. Es war also ein fröhlicher Moment, der es uns erlaubte, unseren Willen zu stärken, gegen solchartig zerstörerische Projekte anzukämpfen und sich zukünftig eine Vielfalt von Formen des Kampfes vorzustellen, die den verschiedenen Empfindlichkeiten der sich engagierenden Personen angemessen ist.
Ökofeminismus
Die Versammlung war durchdrungen von dem Gedanke des Ökofeminismus und ermöglichte ein gegenseitiges Kennenlernen der Umweltaktivist•inn•en und der Feministen für einen gemeinsamen Kampf. Entstanden in den 1980er Jahren in den angelsächsischen Ländern, verband der Ökofeminismus, initiiert durch die Feministen, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und die Ausbeutung, die sie als Frauen erlitten. Die demütigende Logik des Kapitalismus anprangernd, schlugen sie vor, u.a. die Pflege des Lebens und die Beziehung zur Natur aufzuwerten und sie als ein Ökosystem zu betrachten, von dem wir ein Teil sind und eben nicht als eine Ressource, die ausgebeutet werden kann. Gleichermaßen kritisieren sie die sexistische Organisation der Gesellschaft, die Männer und Frauen auf eine dualistische Art und Weise gegenüberstellt und die Rolle sowie die Arbeit der Letzteren abwertet (einige Literaturvorschläge diesbezüglich: „Reclaim, anthologie de textes écoféministes“ Emilie Hache und Cambourakis; „Ecofeminismus“ Vandana Shiva und Maria Mies sowie die exzellente Starhawk mit „Rever l’obscur, femmes, magie et politique“).
Wörterklärungen
Andra: nationale Behörde für die Verwaltung von radioaktiven Abfall.cis-gender: diejenigen, die sich dem Gender zugehörig fühlen, mit dem sie geboren wurden. transgender: diejenigen, die sich nicht dem Geschlecht zugehörig fühlen, mit dem sie geboren wurden.gouine: politische Identität von bestimmten Lesben. Binarität: Konzept, das definiert, dass es ausschließlich zwei Gender gibt. Heutzutage ist es eine sehr kritisierte Idee, da das Gender mit einem Kontinuum, einem Spektrum korrespondiert, in dem man sich positioniert, wie man sich fühlt und in welchem man sich entwickelt.Patriarchat: System der Dominierung und Unterdrückung der sozialen Gruppe Mann über die soziale Gruppe Frau, das sich in den gesellschaftlichen Strukturen manifestiert. Rassismus: System der Unterdrückung, die auf der Zugehörigkeit einer Person zu einer spezifischen Gruppe von Menschen, angesichts seiner Herkunft, ob real oder angenommen, begründet ist. Er stützt sich generell auf die illusorische Idee der Existenz von Rassen, im biologischen Sinn des Begriffs und auf die Hierarchie unter ihnen.Neokolonialismus: System der imperialistischen Dominierung der einstigen Kolonialmächte über Länder und Bewohner von ehemaligen Kolonien. Dieser Begriff erlaubt es, die Kontinuität und die Mutation der Formen der kolonialistischen, kapitalistischen sowie rassistischen Ausbeutung der Vergangenheit und der Gegenwart sichtbar zu machen. *Extraktivismus: bezeichnet alle Formen und alle Mittel der massiven und industriellen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen sowie die der Biosphäre.