Die Krone der Globalisierung

von Josef Lang, 05.02.2003, Veröffentlicht in Archipel 102

Das Tankerunglück vor der galizischen Küste ist ein Paradebeispiel für die negativen Folgen der neoliberalen Globalisierung. Und in der Stadt Zug in der Schweiz liegt sein Epizentrum.

"Bis hier reicht die Inkompetenz der Globalisierer." Das ist die Botschaft einer der ersten Karikaturen der spanischen Tageszeitung "El Pais" über die Tankerkatastrophe. (...) Die GalizierInnen sind sich bewusst, dass sie Opfer einer wirtschaftlichen und politischen Logik wurden, die den Namen "Globalisierung" trägt. Wie weit der Vorwurf des El Pais-Karikaturisten Forges, der Untergang des Öltankers "Prestige" sei die Folge von "Inkompetenz" zutrifft, ist eine andere Frage. Allein die Tatsache, dass die Besitzerin des Schweröls, die Handelsfirma Crown Resources AG 1, ihren Steuersitz in Zug hat, spricht eigentlich für betriebswirtschaftliche Kompetenz. Offensichtlich unfähig aber ist die Politik, solche Katastrophen zu verhindern und, sind sie einmal passiert, mit ihnen umzugehen. Diese Kombination von privater Geschäftstüchtigkeit und öffentlicher Hilflosigkeit wiederum ist ein typisches Merkmal der neoliberalen Globalisierung.

Ausnützung

globaler Nischen

Dass Gewinne privatisiert und Kosten sozialisiert werden, geschieht, seit es den Kapitalismus gibt. Die Globalisierung ermöglicht es, diese ungleiche Verteilung von Vor- und Nachteilen weltweit zu systematisieren. Für die Profitmaximierung werden die billigsten Nischen, für die Kostenabwälzung die gröbsten Maschen gesucht. Die Crown Resources chartert alte Schiffe mit günstigen Besatzungen und logiert in Steuerparadiesen. Ihre globalen Nischen heißen: Liberia, wo die Besitzerin der alterschwachen "Prestige", die Mare Shipping Inc., angemeldet ist; Panama, wo der einwandige Schrotttanker registriert wurde; Griechenland, wo der griechische Reeder-Clan und eigentliche Schiffseigner Kuluthos ansässig ist; Gibraltar, wo die Firma 1996 gegründet wurde; Zug, wohin sie 1999 zog, um dem britischen Fiskus auszuweichen. Und aus den Philippinen stammen die durch den hohen Seegang völlig überforderten Matrosen, die pro Monat 400 Euro - achtmal weniger als ein Europäer – verdienen. Liberia und Panama bieten den Vorteil, dass es in diesen Ländern kein Personal gibt, das die Seetüchtigkeit von Schiffen zuverlässig kontrollieren kann. Griechenland ist auch unter sozialdemokratischer Regierung ein Staat, der die Reeder-Lobby verteidigt und schützt. Im Inselreich Philippinen gibt es ein Überangebot von Seeleuten. (...) Die gewichtigste Spezialität des Kantons Zug – die Kategorie der sogenannten "gemischten privilegierten Gesellschaften" – ermöglicht global tätigen Gesellschaften, ihren Gewinn zu einem kleinen Teil und ihr Kapital zu einem rekordtiefen Satz zu versteuern. Gemäß Informationen aus der Steuerverwaltung dürfte die Crown Resources mit einem Umsatz von fünf bis sieben Milliarden Schweizerfranken in den letzten drei Jahren insgesamt dem Kanton und der Stadtgemeinde Zug höchstens 300.000 Schweizerfranken bezahlt haben. Allein Crown-Verwaltungsratspräsident Jost E. Villiger 2 hat da wohl das Mehrfache eingesackt. (...)

Die Crown hat gute Chancen, beim Tankerunglück ungeschoren wegzukommen. Sie kündigte an, "keinen Euro zu bezahlen". Denn sie sei nicht verantwortlich, wenn ein "von ihnen bloß gemieteter Kahn kaputtgeht." Das internationale Seerecht nämlich nimmt die Schiffseigner, aber nicht die Ölgesellschaften in die Pflicht. Die Ölgesellschaften haben deswegen nach den ersten großen Ölverschmutzungen, die sie oft viel Geld kosteten, die eigenen Flotten aufgegeben. Sie betreiben jetzt ein klassisches Outsourcing, indem sie die riskante Transportaufgabe Reedern übergeben, die sich hinter einem undurchsichtigen Firmengeflecht verstecken. Deren Konkurrenzkampf senkt die Kosten für die Ölbesitzer und erhöht die Risiken für die KüstenbewohnerInnen und Meerestiere. Das Verbot von einwandigen Schiffen in den USA nach der Großkatastrophe der "Exxon Valdez" 1989 in Alaska hatte zur Folge, dass die Reedereien alte und unsichere Schiffe nach Europa verlagerten. Die Europäische Union hatte unter dem Druck der – vor allem griechischen und britischen – Lobbys das Obligatorium für zweiwandige Schiffe erst ab 2015 vorgeschrieben. Die Crown versuchte aus der Gesetzesverschärfung, die für einmal aus den USA kam, besonders bedenkenlos zu profitieren. Ihre Schiffe sind im Durchschnitt sieben Jahre älter als die der Konkurrenz. Für die "Prestige" zahlte sie mit 13.000 Pfund etwa einen Drittel weniger, als eine vergleichbare Fahrt normalerweise kostet. (…)

Mit Antiterrorismus Ölpest verdrängen

Dass der Untergang der "Prestige" die Küsten bis in die französische Gironde verseucht, hat auch mit den unglaublichen Versäumnissen und gigantischen Fehlentscheidungen der galizischen Autonomie- und spanischen Zentralbehörden zu tun. Die regierenden Konservativen haben eine radikale Privatisierungspolitik betrieben und den öffentlichen Versorgungsbetrieb völlig vernachlässigt. So erklärt sich, dass die Fischereimacht Spanien trotz ihrer langen Küste kein einziges Spezialschiff zum Absaugen von Öl hat. Die Niederlande verfügen über eine ganze Flotte solcher Schiffe. Das Versagen der spanischen Behörden hat aber auch mentale Gründe. Die zentralistischen Postfrancisten unter Aznar und dem ehemaligen Franco-Minister Fraga sind von ihrem Kampf gegen die baskische Souveränität und die ETA besessen. Sie reden deshalb jedes Risiko klein, das davon ablenkt.

Als Ministerpräsident Aznar drei Tage nach dem Tankerunfall in Paris auftrat, verlor er darüber kein Wort. Stattdessen beschwor er den Kampf gegen den Terrorismus. Damit spielt "Klein-Bush", wie Aznar auch genannt wird, genau jene Rolle, die ihm der große Bruder global vormacht: Die existentiellen Probleme der Menschheit, die durch die neoliberale Globalisierung verschärft, wenn nicht geschaffen wurden, sollen mit martialischer Rhetorik und militaristischer Politik verdrängt werden.

Das große Schweigen im Ölzentrum

Die Zuger Bürgerlichen betreiben eine ähnliche Verdrängungspolitik wie die spanischen Rechten. Sie wollen über das Schiffsunglück und erst recht über die hiesige Ölbesitzerin möglichst wenig reden und schreiben. Wenn sie wegen der alternativen Parlamentsvorstöße nicht darum herum kommen, werfen sie – ähnlich wie Aznar und Fraga – den KritikerInnen vor, dem Standort Zug Schaden zuzufügen. (…) Im Provinziellen wiederholt sich, was im Globalen gang und gäbe ist: Die Mächtigen und Reichen versuchen, sich in den zentralen und vitalen Fragen der Öffentlichkeit zu entziehen. Dabei wäre die Crown Resources ein zusätzlicher Anlass, sich weitergehende Fragen zu stellen. Hat doch der Umzug der russischen Firma von der Finanzmetropole London nach Zug auch damit zu tun, dass der Innerschweizer Kleinkanton der viertgrößte Erdölhandelsplatz der Welt ist. So befinden sich hier die Shell Switzerland, die Shell Finance Luxemburg und die Glencore, die größte Rohstoffhandelsfirma der Welt. Letztere, Nachfolgefirma der Marc Rich 3, hat einen Umsatz von etwa 70 Milliarden Franken. Bekanntlich ist das Erdöl der wichtigste Roh- und Treibstoff der Globalisierung. Mit seinen umweltschädlichen Folgen, schon vor dem Transport auf den Weltmeeren und erst recht danach beim Verbrauch, verkörpert es das Gegenteil von nachhaltigem Wirtschaften. Erdöl ist auch ein gefährlicher Kriegstreiber. Wenn George W. Bush den Irak erobern will, hat das vor allem mit den zwölf Milliarden Fässern Öl zu tun, die unter dem dortigen Wüstensand lagern.

Josef Lang*

Zug (CH)

*Kantonsrat der Sozialistisch-Grünen Alternative (SGA),

  1. Die Crown Resources AG gehört der Moskauer Alfa-Gruppe, ein Produkt der besonders wilden Privatisierungen im Russland der frühen 90er-Jahre. Zur Alfa-Gruppe, welche die besten Beziehungen zu Jelzin hatte und zu Putin hat, gehören neben Ölfeldern in Sibirien eine Supermarktkette, eine Zuckerfabrik, die Wodka-Marke Smirnov, Telekomfirmen, eine Großbank und vieles mehr. Nettogewinn im Jahr 2000: 1 Milliarde Dollar. Boss der Crown Resources seit Juli 2002 ist Steven Rudofsky (vorher bei Marc Rich und bei Glencore).

  2. Jost E. Villiger: Schweizerischer Verwaltungsratspräsident der Crown Resources. Er gehört der nobelsten Luzerner Zunft, der "zu Safran", an. Eine Mitgliedschaftsbedingung der "zu Safran" ist ein "guter Ruf". Villiger kommt aus der gleichen Firma wie Marc Rich, der Phibro, einer der ersten Ölfirmen, die in den 50er-Jahren nach Zug gekommen sind.

  3. Marc Rich: Rohstoff- und Waffenhändler, einer der reichsten Männer der Welt, mit Wohn- und Firmensitz im Kanton Zug. Sein Reichtum rührt u.a. von illegalen Öllieferungen an das Apartheidregime von Südafrika her, ebenso lieferte er Waffen an das Milosevic-Regime unter Umgehung des Embargos. Er hat auch sehr stark von den wilden Privatisierungen in Russland profitiert, kennt vermutlich aus dieser Zeit die Moskauer Alfa-Gruppe. Rich war in den USA wegen 51 Delikten des illegalen Rohstoff- und Waffenhandels angeklagt und zur Fahndung ausgeschrieben. Als letzte Amtshandlung begnadigte ihn Präsident Bill Clinton. Marc Rich war bis im Sommer 2002 Berater der Crown Resources.