DOSSIER LANDWIRTSCHAFT : Wo die Saat aufgeht

17.09.2003, Veröffentlicht in Archipel 108

Im Januar 2003 veröffentlichte Archipel einen Artikel von Dominique Guillet über die Entwicklung der Saatgutherstellung seit 100 Jahren. Dominique Guillet ist Leiter von Kokopelli, einem französischen Patenschafts- und Tauschring für bedrohte Gemüse-, Kräuter- und Blumensorten. Heute kämpft Kokopelli um sein Überleben.

Die Ernährungssicherheit der ständig wachsenden Weltbevölkerung und die Bekämpfung von Hungersnöten sowie Unterernährung sind die Hauptargumente in der Auseinandersetzung über die Anwendung neuer Techniken und Anbaumethoden (GMO etc.) der industriellen Landwirtschaft. Die Meinung, dass Hungersnöte vor allem durch ungenügende Produktion entstünden, war während langer Zeit weit verbreitet und so orientierte sich die wissenschaftliche Forschung in den letzten Jahrzehnten vor allem auf das Erzielen höherer Ernteerträge durch die Züchtung von Hochleistungssaatgut und die Entwicklung chemischer Dünger und Pestizide.

Zweifelsfrei hat die "Grüne Revolution" z.B. in Asien die Ernteerträge kurzfristig massiv gesteigert und die Importe verringert. Elend und Hunger konnten jedoch nicht verhindert werden. Ganz im Gegenteil hat die Verbreitung der industriellen Landwirtschaft die Gewinne der multinationalen Konzerne des Nordens gesteigert, einige wenige Großbauern bereichert, jedoch die große Mehrheit der Kleinbauern im Süden immer mehr in Armut und schlussendlich zur Landflucht getrieben. Für die Gewährleistung der Nahrungssicherheit ist der freie Zugang zu fruchtbaren Böden, zu Wasser und die freie Verfügbarkeit von keimfähigem Saatgut von ausschlaggebender Bedeutung. Die Einführung von geistigen Eigentumsrechten, insbesondere auf Saatgut und lebende Organismen und die Konzentration im Bereich der Saatgutherstellung (heute kontrollieren 10 multinationale Konzerne 50 Prozent der Saatgutherstellung) haben verschiedene Auswirkungen auf die Nahrungssicherheit:

Das Jahrtausende alte Recht der Bauern, aus ihrer Ernte Saatgut zu gewinnen oder mit anderen Bauern zu tauschen, wird durch Patente und Sortenschutzrechte außer Kraft gesetzt. Anbaugebühren und der jährliche Ankauf von Saatgut gefährden die Überlebensfähigkeit von Klein- und Subsistenzbauern. Sie haben die Kontrolle über die Vielfalt und die Weiterzüchtung von Nahrungsmittelpflanzen, das Recht selbst zu bestimmen, was angebaut und gegessen wird, an die Agrokonzerne verloren. Die Entwicklung neuer Pflanzensorten richtet sich immer weniger nach der Anpassung an lokale Gegebenheiten und der Erhaltung der Biodiversität, sondern strebt vor allem nach höherem Gewinn. Die Industrialisierung und Kommerzialisierung der Landwirtschaft fördert die Großbauern, den Klein- und Subsistenzbauern in den südlichen Ländern - ein großer Teil der Weltbevölkerung - wird die Existenzgrundlage zerstört.

Einer der größten Saatguthersteller der Welt ist Frankreich. Unter dem Einfluss der mächtigen Agrarlobby werden hier die Europäischen Rahmengesetze besonders restriktiv ausgelegt. In den letzten Jahren sind in Frankreich mehrere Gruppen und Vereine entstanden, die sich für die Erhaltung des Rechts der Bauern einsetzen, Saatgut selbst zu züchten, anzubauen, zu tauschen und zu verkaufen. Im Bereich der Produktion und Konservierung der Vielfalt von Gemüsepflanzen ist der kleine Verein Kokopelli besonders aktiv. Bisher konnte er dank der engagierten Teilnahme seiner Mitglieder und ohne öffentliche Unterstützung arbeiten. Heute ist sein Weiterbestehen in Gefahr.

Der Verein Kokopelli

Kokopelli ist ein südamerikanisches Fruchtbarkeitssymbol, verkörpert in der Gestalt eines buckligen Flötenspielers, der singend und spielend das in seinem Buckel versteckte Saatgut verteilt. Es ist auch der Name des französischen Vereins, den wir hier vorstellen möchten und der sich für die "Befreiung des Saatgutes und des Humus" einsetzt. Er entstand 1999 als Nachfolgeorganisation des Vereins "Terre de semence". Dieser musste in Folge des 1997 in Frankreich eingeführten Erlasses, der die Einschreibung der Gemüsesorten in ein offizielles Register im Rahmen der Sortenschutzrechte auch für Amateursorten vorschrieb, seine Arbeit einstellen (siehe auch Archipel Nr. 101). Seither vertreibt und konserviert Kokopelli im Rahmen eines Tauschrings Saatgut von traditionellen und vom Aussterben bedrohten Kulturpflanzen in Frankreich, Europa und in Entwicklungsländern.

Der Verein Kokopelli hat kein eigenes Land, und so sind es professionelle Produzenten, welche die für den Verkauf bestimmten Sorten herstellen. Sie haben auch den Auftrag, den Fortbestand mehrerer Hundert Sorten alter Gemüsepflanzen zu gewährleisten. Diese Arbeit ist sehr arbeitsintensiv und bereitet den Produzenten einiges Kopfzerbrechen. Dennoch sind alle von der Notwendigkeit ihrer Arbeit überzeugt und nehmen aktiv am Vereinsleben teil. Nach und nach haben sich aber auch die einfachen Mitglieder an die Züchtung und Erhaltung von Kulturpflanzen gewagt. In Familien- und Kleingärten konnte so das Sortiment erweitert und den Berufsproduzenten ein Teil ihrer Arbeit abgenommen werden. Ein beträchtlicher Anteil der weltweiten Kollektion von Kokopelli kommt aus Amerika und Kanada, dort entstanden bereits vor Jahren Tauschringe, die sich als Reaktion auf die massive Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft zusammenschlossen. Viele dieser Sorten, die heute auf diesem Wege nach Europa zurückfinden, stammen ursprünglich vom alten Kontinent und wurden mit der Auswanderung nach Amerika gebracht.

Seit diesem Jahr übernehmen Mitglieder des Vereins Patenschaften für Kulturpflanzen, die vom Aussterben bedroht sind. In ihren Gärten vermehren sie die Pflanzen und züchten sie weiter. Dieses Saatgut wiederum wird dem Tauschring zugeführt und kann kostenlos von allen Vereinsmitgliedern bezogen werden.

Gleichzeitig organisiert der Verein mehrere Saatgutseminare. Neben der theoretischen Ausbildung geht es vor allem darum, alte einfache Techniken einem größeren Kreis zu vermitteln und so das Wissen über die Saatgutherstellung zu entmystifizieren. Jeder soll ermutigt werden, selbst etwas Konkretes in seinem Garten zu tun und so das Aussterben der alten Nahrungsmittelpflanzen zu verhindern. Diese Seminare sind auch eine gute Gelegenheit, die Vereinsmitglieder, neue Projekte und Ideen kennenzulernen.

Die Aktion "Samen ohne Grenzen"

Von Anfang an verschickte Kokopelli Saatgut kostenlos in Entwicklungsländer. 15.000 Päckchen gelangten so in Dorfgemeinschaften armer Regionen. Im Jahr 2002 konnte Saatgut, das in den Familiengärten in Frankreich produziert worden war, nach Senegal, Marokko, Afghanistan und Brasilien verschickt werden. Der Verein erhält zahlreiche Anfragen aus der ganzen Welt. Gerade in den Entwicklungsländern sind die Familiengärten für die Nahrungssicherheit sehr wichtig. Für Bauern und Bäuerinnen des Südens wird es aber immer schwieriger, Saatgut zu finden, das sie auch selbst wieder aussäen und weiterzüchten können. In einigen Ländern Westafrikas z. B. stammt fast das gesamte Saatgut aus Frankreich und ist hybrid. Die Initiative "Samen ohne Grenzen" benötigt immer mehr Mittel, damit sie dem Bedarf nach Saatgut gerecht werden kann. Deshalb ruft Kokopelli alle Gärtner auf, in ihren Gärten Saatgut für die Entwicklungsländer zu züchten. Die Erhaltung der Familiengärten und der Autonomie im Bereich der Saatgutherstellung sind Grundsteine zu einer neuen Weltordnung: Die beste Art, den Einfluss der Großkonzerne zu vermindern, ist noch immer, sie überflüssig zu machen!

Die Gründung des Zentrums für genetische Ressourcen im Süden Indiens im Oktober 2000 hatte zum Ziel, Produktions- und Tauschringe in südlichen Ländern zu entwickeln. Das Zentrum in Anndana produziert auf mehreren Hektar Saatgut und ist ein Ausbildungszentrum für Dorfgemeinschaften in tropischer, nachhaltiger Landwirtschaft. Die Erhaltung und Weiterzüchtung der traditionellen Kulturpflanzen ist eines seiner Hauptarbeitsgebiete.

Aufruf zur Unterstützung

Der Verein Kokopelli hat zur Zeit große finanzielle Schwierigkeiten. Seitdem er sich geweigert hat, die nationalen Sortenschutzrechte anzuerkennen, erhält er keine öffentliche Hilfsmittel mehr und muss mit administrativen Behinderungen oder der Auflösung des Vereins unter dem Druck der Behörden rechnen. Damit der Verein weiterarbeiten kann, benötigt er eine große Anzahl von aktiven Mitgliedern und Mitgliedsbeiträgen oder Spenden. Es fehlen 4.000 neue Mitglieder, die mit 20 Euro Mitgliedsbeiträgen oder mit Spenden den Fortbestand von Kokopelli gewährleisten können. Gärtner, Bauern und alle, die etwas gegen die "Biopiraterei" unternehmen wollen, sind hier gefordert.

Eine weitere Möglichkeit, Kokopelli zu unterstützen, besteht im Kauf oder Vertrieb des Lehrbuches für Saatgutgewinnung und Katalogs des weltweiten Sortiments von Gemüsepflanzen (Manuel de production de semences, collection planétaire de variétés potagères: les semences de Kokopelli ) von Dominique Guillet. Dieses Buch eignet sich auch sehr gut als Geschenk für interessierte Kreise. Es erschien bisher auf französisch und englisch. Eine deutsche und italienische Ausgabe sind in Arbeit.*

Martina Widmer

Sylvie Seguin

Longo maï

* Zum Preis von 40 Euro erhältlich bei: Association Kokopelli,

Oasis impasse des Palmiers,

F-30100 Alès, Tel.: 0033/4/66 30 64 91

E-mail: kokopelli.semences@wanadoo.fr,

Internet: www.kokopelli.asso.fr

Mitgliedsbeitrag: 20 Euro, Aktivmitgliedsbeitrag 60 Euro, Unterstützungsbeitrag: 150 Euro

Kontonummer:

FR-76300030151100036534960

Weitere Initiativen in Europa, die sich für die Erhaltung der Biodiversität und den Vertrieb von Saatgut einsetzen:

Schweiz: Pro Specie Rara, Pfrundweg 14, CH-5000 Aarau.

Sativa-Genossenschaft Chartreusestr. 7, CH-3626 Hünibach.

Biosem, S.& A. Jutzet, CH-2202 Chambrelien, www.biosem.ch E-mail: biosem@bluewin.ch.

Österreich: Arche Noah, Obere Strasse 40, A-3553 Schloss Schiltern, http://www.arche-noah.at, E-mail: info@arche-noah.at.

Deutschland: Dreschflegel, Postfach 1213, D-37202 Witzenhausen, www.Dreschflegel-saatgut.d