DOSSIER SAATGUT/ BRÜSSEL:Freiheit für unser Saatgut

von Jürgen Holzapfel EBF-Deutschland, 15.07.2011, Veröffentlicht in Archipel 194

Der europaweite Protest gegen die geplanten europäischen Saatgutgesetze wird nicht mit den zwei Aktionstagen am 17. und 18. April in Brüssel enden. An den beiden Tagen kam die Tragweite der Saatgutgesetze und die verschiedenen Formen des Widerstandes zum Ausdruck: Die Saatguttauschbörse, das Forum «Freier Zugang zu Saatgut ist ein Menschenrecht», die Solidarität mit Bauern in Indien und der Türkei, die Anti-Lobby-Demonstration, und die Übergabe der Petition «Zukunft säen - Vielfalt ernten» mit 58.000 Unterschriften an Abgeordnete des Europäischen Parlamentes.

Vor zwei Jahren hat das Europäische BürgerInnenforum mit der BUKO-Kampagne gegen Biopiraterie, der Österreichischen Bergbauernvereinigung ÖBV, und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL die Saatgutkampagne gegen die von der Europäischen Kommission geplanten Saatgutgesetze begonnen. Innerhalb weniger Jahre haben einige transnationale Chemiekonzerne viele regionale und nationale Saatgutunternehmen aufgekauft, um mit ihren chemieabhängigen Sorten den Saatgutmarkt zu beherrschen und die Ausrichtung der Landwirtschaft zu bestimmen. Die von ihnen geforderten geistigen Eigentumsrechte auf Saatgut und die Behinderung, wenn nicht gar das Verbot bäuerlicher Sorten, werden in dem Plan der Europäischen Kommission für ein europaweit einheitliches Saatgutgesetz unterstützt. Mit der Petition «Zukunft säen – Vielfalt ernten» verlangen wir die Förderung regionaler und weniger chemieabhängiger Sorten sowie das bäuerliche Recht, Saatgut aus eigener Ernte zu gewinnen und weiterzugeben.
Nach und nach erreicht die Information über die Pläne der EU-Kommission immer mehr Organisationen und die Petition wird in Polnisch, Griechisch, Niederländisch, Türkisch, Portugiesisch und Spanisch übersetzt und verbreitet. Unser Schwerpunkt ist nicht, in kurzer Zeit möglichst viele Unterschriften zu sammeln, sondern die Gefahren dieser Entwicklung bewusst zu machen und Partner zu finden, die sich langfristig für einen anderen Umgang mit Saatgut einsetzen.
Aktionstage
Mehr als 60 belgische Organisationen haben gemeinsam mit der «Saatgutkampagne» zu den Aktionstagen aufgerufen. Die Teilnehmer kamen aus ganz Europa und viele hatten Samen mitgebracht, um sie auf der internationalen Saatguttauschbörse im Kulturzentrum Molenbeek vorzustellen, zu tauschen oder zu verschenken: Red de Semillas aus Spanien, Kokopelli aus Frankreich, Pelliti aus Griechenland, die Seed Heritage Library aus England, die Irisch Seed-savers usw. Wie viele Menschen die Tauschbörse besucht haben, ist schwer zu sagen, dreihundert Mahlzeiten wurden am Abend von der Volksküche verteilt, 1000 Samentütchen wurden allein an dem Stand von Longo Maï vergeben, es war ein buntes Treiben, neugieriges Fragen, Filmen und Basteln, in dem selbst die Clowns sich nur mühsam Gehör verschaffen konnten. In Brüssel ist das Interesse an diesen Fragen groß, erzählt José vom Jardin des Pomonnes. Rund 30 Prozent der Haushalte haben einen Garten und die Tageskurse, die er jede Woche in seinem Garten anbietet sind regelmäßig mit 150 Teilnehmern überbelegt.
Samentauschbörsen sind besonders in England innerhalb von zehn Jahren zu der populären Bewegung Seedy-sunday gegen die Kommerzialisierung und Monopolisierung von Saatgut geworden. Am Nachmittag stellte Neil Cantwellin aus Brighton sie an dem Forum «Freier Zugang zu Saatgut ist ein Menschenrecht», vor. Der nicht-kommerzielle Umgang mit Saatgut an einer Tauschbörse entspricht den bäuerlichen «Saatgutverkehrsvorschriften», die in vielen Ländern noch bestehen, verstößt aber gegen die Gesetze der EU.
Rechtsanwältin Shalini Buthani und Frau Vanaja Ramprasad aus Indien schilderten auf dem Forum wie indische Bauern Saatgut vermehren, erhalten und weitergeben. Die Teilnehmer der Aktionstage gaben eine gemeinsame Erklärung gegen ein geplantes Freihandelsabkommen ab (siehe unten «Erklärung von Brüssel»).
Abdullah Aysu, der Präsident der (nicht legalen) türkischen Bauerngewerkschaft Ciftci-Sen, hat die breite biologische Vielfalt in der türkischen Landwirtschaft geschildert, die von den rund 17 Millionen türkischen Bauern erhalten wird. Sie ist die Voraussetzung für das Fortbestehen der Landwirtschaft in den zahlreichen Bergregionen der Türkei. (s. Archipel Nr. 187) Im Jahr 2008 hat die türkische Regierung eine neue Saatgutgesetzgebung eingeführt, die von dem Bund Deutscher Pflanzenzüchter im Auftrag der EU ausgearbeitet worden war. Diese Gesetze können zurzeit nicht angewendet werden, weil der Widerstand der Bauern zu groß ist, sind aber eine ständige Bedrohung.
Die Rolle der EU für die Saatgutgesetze weltweit beschrieb der UNO-Sonderbeauftragte für Ernährungsfragen, Olivier de Shutter, in einer Video-Botschaft, in der er aufzeigt, wie wichtig der bäuerliche Umgang mit Saatgut für das Recht auf Ernährung ist. (Sein Beitrag wird auf der Internetseite www.saatgutkampagne.org abrufbar sein.)
Bäuerlicher Widerstand
Hier in Europa ist die zentrale Bedeutung des Saatgutes für die Existenz von Kleinbauern nur wenigen bewusst, weil die Subventionen den Einsatz von Energie, Kunstdüngern und Spritzmitteln in der Landwirtschaft finanzieren. Die Beispiele der Türkei und Indiens machen aber deutlich, dass der Widerstand gegen die in der EU geplanten Gesetze für die Bauern in diesen Ländern sehr wichtig ist, weil die EU mit kolonialistischer Arroganz anderen Ländern ihre Saatgutgesetze aufzwingt.
Deshalb haben wir den internationalen Tag des bäuerlichen Widerstandes gewählt, um gegen die europäische Saatgutpolitik zu protestieren. Gleichzeitig fanden in mehreren Ländern Aktionen zu diesem Thema statt. Besonders in Polen, wo die Existenz von einer Million Kleinbauern seit dem Beitritt zur EU gefährdet ist, gab es hundert verschiedene Aktionen. In Portugal, Deutschland, Frankreich und Österreich fanden Proteste in verschiedenen Städten und Dörfern statt.
In der Schweiz wurde bereits am 15. April eine Kopie der 25.000 Unterschriften von Schweizern der Petition «Zukunft Säen – Vielfalt Ernten» dem Bundesrat in Bern übergeben. Dabei wurde ein öffentliches Gelände vor dem Bundeshaus mit 80 verschiedenen biologischen und bäuerlichen Getreidesorten eingesät.
Die Übergabe aller 58.000 Unterschriften in Brüssel haben wir mit einer Anti-Lobby-Demonstration am 18. April verbunden. Entgegen zahlreichen Medienberichten war es keine Bauerndemonstration, obwohl sie von einem Traktor, vielen Fahnen von Via Campesina und dem Präsidenten der belgischen Kleinbauern-Organisation FUGEA begleitet war.
Die meisten Teilnehmer waren jung und leben in der Stadt. Mehr als 600 Demonstranten sind mit Transparenten und begleitet von Clowns und einer Sambaband durch das Europa-Quartier von Brüssel zum Europaparlament gezogen und haben an verschiedenen Büros und Gebäuden der Saatgutindustrie Halt gemacht. Drei Abgeordnete, der Belgier Marc Tarabella, die Vizepräsidentin des EU-Parlamentes, Isabelle Durant, und der Grieche Kriton Arsenis sind vor dem Hochhaus des Bayer-Konzerns dazugestoßen, um die Kartons mit Petitionen in Empfang zu nehmen und in Schubkarren zum Parlament zu bringen.
Untersuchung von
Gesetzen
Wir erwarten von den Abgeordneten, dass sie eine kritische Diskussion im Parlament über die Gesetzesvorhaben der Kommission beginnen, bevor die Saatgutgesetze zur Abstimmung kommen. Stimmt das EU-Parlament den Gesetzen zu, so werden diese für alle EU-Länder bindend, ohne dass die nationalen Parlamente darüber abstimmen können. Wir verlangen eine Untersuchung darüber, ob die europäischen Saatgutgesetze dem Grundrecht auf Ernährung entsprechen.
Eigentlich richten wir uns gegen Gesetze, die es längst gibt. Die bisherigen Gesetze in Europa haben die schnelle Konzentration der Saatgutproduktion in den Händen weniger Chemiekonzerne ermöglicht, die Kriterien für die Marktzulassung von Saatgut schließen bäuerliche Sorten aus, lassen aber instabile und nicht reproduzierbare Sorten, wie z.B. die Hybridsorten zu. Geistige Eigentumsrechte auf Sorten sind längst Gesetz und haben eine Laufzeit von 25 Jahren – die einer ganzen Bauerngeneration. Diese Regelungen sind bereits in internationalen Abkommen festgelegt und werden Ländern aufgezwungen, in denen die Bauern noch heute die wichtigsten Produzenten von Saatgut sind.
Ihre verheerenden Auswirkungen auf die Biodiversität, die Böden und Lebensmittel aber auch auf die Existenz von Kleinbauern werden heute immer mehr Menschen bewusst und wurden in den letzten Jahren wissenschaftlich mehrfach belegt.
Allerdings sind diese Argumente in der EU-Kommission bisher nicht angekommen, weil die Lobby der Chemiekonzerne bei der Ausarbeitung der Gesetze der wichtigste Gesprächpartner der Kommission ist. Allein die Tatsache, dass die derzeitige Vereinheitlichung und Verschärfung der Saatgutgesetze von der Generaldirektion für Gesundheit und Konsumentenschutz vorbereitet wird, anstatt von der Landwirtschaftskommission, ist ein Skandal. Natürlich hat die Chemieindustrie in der Kommission am meisten Einfluss, in welcher ihre chemischen Spritzmittel zugelassen werden.
Angefangen hat die Auseinandersetzung 2008 mit drei «EU-Direktiven für Erhaltungssorten», eine für Getreide und Kartoffeln, eine für Gemüse und die dritte für Obst. Schon diese Direktive hat heftige Auseinandersetzungen unter den Betroffenen ausgelöst. Auch wenn sich alle darin einig sind, dass die Richtlinie nicht zur Rückgewinnung der Biodiversität in der Landwirtschaft beiträgt, so enthält sie doch kleine Verbesserungen wie auch Verschlechterungen. Diese werden allerdings nur verständlich, wenn man sich intensiv mit den Texten beschäftigt und selbst dann bleiben noch genügend Interpretationsmöglichkeiten. Im Grunde genommen ist die Direktive ganz einfach bürokratischer Unsinn und nicht umsetzbar, dennoch scheinen die Betroffenen sich in endlosen Diskussionen über das Für und Wider zu verlieren. Genau die gleiche Situation schildert die Rechtsanwältin Shalini aus Indien, wo die Einführung von Saatgutgesetzen zu heftigen Auseinandersetzungen unter den Bauern geführt hat.
Der Widerstand in Europa wird von Städtern mitgetragen, die zwar keine Fachleute sind, sich aber der Folgen der Privatisierung unserer Lebensgrundlagen bewusst geworden sind.
Die englische Bewegung Seedy Sunday ist ein Vorbild dafür, wie viele Städter sich daran beteiligen können, den freien Zugang zu Saatgut wieder herzustellen. In Brüssel haben wir die Tauschbörse den Gesetzen der EU entgegengestellt.