DOSSIER VOGELGRIPPE: Fowl play - Falsches Spiel Zweiter Teil

von GRAIN*, 12.05.2006, Veröffentlicht in Archipel 138

Grain ist eine internationale, regierungsunabhängige Organisation, die nachhaltiges Management und das Nutzen von agrarwirtschaftlicher Biodiversität unterstützt.

Dieses Dossier mit dem Untertitel «Die zentrale Rolle der Geflügelindustrie in der Vogelgrippekrise» ist in seiner vollständigen Version auf ihrer Website zu finden.*

Im September 2004 haben die Behörden in Kambodscha über einen anderen Ausbruch der Vogelgrippe in einem der wenigen kommerziellen Masthähnchen-Unternehmen berichtet. Dieses Mal identifizierten die Behörden die Quelle des Ausbruchs: Küken, die an diese Farm von Charoen Pokphand (CP) geliefert wurden, einem Thai-Unternehmen, das Asiens größter Produzent von Geflügel und Geflügelfutter ist.

Die Seuchenfabriken

Die Vogelgrippeausbrüche in Kambodscha waren jeweils begrenzt auf den kommerziellen Geflügelsektor des Landes, und alle kambodschanischen Unternehmen sind auf die eine oder andere Weise mit CP verbunden, entweder haben sie Verträge oder sie kaufen Bestände wie Eintagsküken und Futter, das CP aus Thailand importiert.

CP wies die Vorwürfe aus Kambodscha zurück, aber in Laos gab es ebenfalls Ausbrüche der Vogelgrippe, die auf Geflügelfarmen begrenzt waren, die Futter und Küken aus Thailand bezogen hatten. Das gleiche scheint in Birma der Fall zu sein, wo es eben-falls Berichte von einem Ausbruch in einer Geflügelfarm gab, die durch CP mit Küken versorgt worden war.

CP ist in der Tat überall da präsent wo die Vogelgrippe ausgebrochen ist. In Thailand, dem Hauptsitz des CP-Imperiums, und dem Land, wo es zuerst seine vertikal integrierten Produktionssysteme eingeführt hatte, existieren Verträge mit über 10.000 Produzenten, die die gesamte Kette kontrollieren, vom Futter bis zu einzelnen Geflügelverkäufen. Es ist ebenfalls der größte Lieferant für Masthühnchen nach China mit einer Brüterei in der Vogelgrippe-verseuchten Lanzhou-Provinz, die jährlich ca. 9 Millionen Küken produziert. In Indonesien beherrscht CP die Hühnerfutterindustrie und ist der Nr.1-Lieferant für Mastgeflügel und Brutfarmen. CP kontrolliert ebenfalls die Hälfte des Geflügelsektors in Vietnam, wo im Februar 2004 die Armee mobilisiert wurde, um 117.000 Vögel zu töten, die in einer der CP-Farmen in der Ha-Tay- Provinz an Vogelgrippe erkrankt waren. CP ist auch in der Türkei, dem aktuellen Zentrum der Vogelgrippeausbrüche, stark vertreten und hier liegt der Anteil von CP bei ca. 12% der Landesproduktion.

Das heißt nun nicht, dass CP allein verantwortlich wäre für die derzeitige Vogelgrippe-Krise. Auch wenn diese Gesellschaft ein Hauptverdächtiger ist, geht das Problem als solches doch tiefer – es liegt im System. Der internationale Geflügelhandel ist völlig außer Kontrolle geraten. (…) Allein in die Ukraine wurden 2004 ca. 12 Millio-nen lebende Hühner importiert. Die tatsächlichen Zahlen sind mit Sicherheit höher, angesichts des wohlbekannten Untergrundhandels mit Geflügel, der in der Region betrieben wird. Die Hastavuk Company in der Türkei betreibt Europas zweitgrößte Brüterei, mit einer Kapazität von über 100 Millionen Bruteiern pro Jahr, einem bedeutenden Anteil von dem, was nach Osteuropa und in den Mittleren Osten importiert wird. Bruteier sind bekannt dafür, dass sie Vogelgrippe verbreiten. Jedoch, ungeachtet der klaren Risiken, gibt es keinerlei Vorschriften oder Kontrollen beim Geflügel- und Eierhandel in der Region!

Der internationale Geflügelhandel funktioniert nach demselben Muster. Die Medien warfen sich vorschnell auf Zugvögel, als die ersten Berichte über Vogelgrippeausbrüche in einem abgelegenen Dorf in der Osttürkei kamen. Später, als die Dorfbewohner dann ihre Seite der Geschichte erzählten, kam zu Tage, dass eine große Geflügelfarm in der Nachbarschaft regelmäßig Lastwagen voll mit alten Vögeln zu niedrigen Preisen zu Markte fährt. Ein solcher Lastwagen war einige Wochen, bevor der Ausbruch entdeckt wurde, losgefahren. Die FAO bestätigt, dass der Geflügelhandel das H5N1 Virus bei Puten verbreitet hat und hob sogar die gewöhnliche Praxis der kommerziellen Geflügelfarmen hervor, größere Wagenladungen mit minderwertigen Vögeln billig an arme Farmer zu verkaufen.

Der Welthandel bei Geflügelfutter, ein weiterer Faktor in dem ganzen Durcheinander, wird von den gleichen Unternehmen beherrscht. Eines der Standardbestandteile in indu-striellem Hühnerfutter, wie auch im Übrigen industriellen Tierfutter, ist «Geflügelabfall». Das ist ein Euphemismus für alles, was auch immer man auf dem Boden der Geflügelfarmen findet: Ausscheidungen, Federn, Einstreu etc 1. Geflügelfleisch, unter dem Etikett «Mehl aus tierischen Nebenprodukten» 2 wandert ebenfalls ins industrielle Hühnerfutter. Die WHO gibt an, dass der Virus der Geflügelgrippe in Ausscheidungen bis zu 35 Tagen überlebt und, in der neuesten Version ihres Datenblattes zur Vogelgrippe, wird Futter als mögliches Medium zur Ausbreitung der Grippe von Farm zu Farm erwähnt. Russische Fachleute wiesen auf Futter als eine der wahrscheinlichsten Ursachen des H5N1-Ausbruchs in einer großen Geflügelfabrik in der Provinz Kurgan hin, wo 460.000 Tiere getötet wurden. Bislang ist jedoch noch nichts unternommen worden, um Regelungen zu finden oder die Futtermittelindustrie zu kontrollieren. Stattdessen sieht es oft so aus, dass die Industrie, nicht die Regierungen, den Ton angeben.

«Vertraut uns»

Während gegen Ende des Jahres 2005 in Indonesien die Vogelgrippe wütete und Menschen tötete, teilte der Agrarminister den Medien mit, dass die 11 größten Geflügelfarmen sich Gesetze zunutze machten, um Betriebsinspektionen zu verhindern.

CP wies diese Anschuldigungen natürlich zurück.«So lange sie sich an unsere Abläufe halten, sind sie immer willkommen», sagt Sudirto Lim, Sprecher der CP Indonesien. Kleinfarmer haben natürlich nicht den Luxus, Inspektionsvorgänge zu diktieren. Die Behörden dringen einfach in ihre Höfe ein und erfassen ihr Geflügel, ob sie nun willkommen sind oder nicht.

In Thailand wussten Industrie und Regierung von den Vogelgrippeausbrüchen bereits Monate bevor der öffentliche Druck die Regierung zwang, den Ausbruch für Januar 2005 zuzugeben. Die Industrie nutzte die Zeit, ihr Inventar zu säubern und sich um ihre Profite zu kümmern. Arbeiter der Centaco Geflügelfarm nahe Bangkok erzählten den Forscherinnen Chanida Chanyapate und Isabelle Delforge, dass in den Monaten vor der offiziellen Bekanntgabe der Geflügelgrippe sehr viel mehr Überstunden als sonst anfielen. «Vor November haben wir pro Tag mehr als 90.000 Tiere verarbeitet. Aber von November bis 23. Januar mussten wir über 130.000 Vögel pro Tag töten». Sie sahen sehr viele kranke Hühner, die in der Fabrik ankamen, und wurden angewiesen, diese zu verarbeiten, selbst wenn sie schon an der Krankheit gestorben waren. «Wir wussten nicht, was für eine Krankheit das war, aber wir gingen davon aus, dass das Management unter Zeitdruck war, die Hühner zu verarbeiten, bevor eine Veterinärkontrolle erfolgte».

In der Zwischenzeit weigerte sich die Regierung der Ukraine – auf Anweisung ihrer großen Geflügelproduzenten, die pflichtgemäßen Impfprogramme oder Quarantänen in der Krimregion durchzuführen, wo die Vogelgrippe seit September 2005 gewütet hatte, um die potentiellen Verluste an Exporten in die EU zu verhindern. Die Regierung ignorierte zunächst die Berichte der Dorfbewohner, die begannen, sich über mysteriöses Geflügelsterben zu beschweren, und dann, als sie endlich etwas unternahm, wurde der Öffentlichkeit versichert, dass die Geflügelgrippeausbrüche sich auf Hinterhöfe beschränkt hätten, und dass Hühner von den großen Fabriken vollkommen unbedenklich seien. Unmittelbar danach erschienen die Nachrichten über drei Ausbrüche in großen Produktionsstätten auf der Krim.

Die Geflügelindustrie brüstet sich mit der «Biosecurity» ihrer Produktionsbetriebe. Ihre Rede ist, dass es einfach sei, ihre integrierten Systeme gegen die Vogelgrippe abzuriegeln. Aber wieder und wieder findet die Vogelgrippe ihren Weg in dieses System und löst massive Ausbrüche in Massentierhaltungen aus 3.

2004 gab es eine Reihe von Ausbrüchen in diversen ultra-modernen Hühnerfarmen in Japan. Eine der größten Farmen im Land informierte die Behörden nicht, als ihre Hühner in großer Zahl zu sterben begannen. Stattdessen wurde eine Ladung von 15.000 Vögeln vorzeitig ins Schlachthaus geschickt. Die Regierung erfuhr lediglich durch einen anonymen Hinweis von der Seuche.

Das Gleiche geschah in der Ukraine, wo eine der Geflügelfarmen auf der Krim von der Vogelgrippe befallen wurde und es eine Woche dauerte, bis die Behörden davon erfuhren. In der Zwischenzeit waren auch keine Vorsichtsmassnahmen getroffen worden. Und erst kürzlich berichteten Behörden in Indien, dass kurz zuvor in einem Geflügelbetrieb des größten Geflügelunternehmens des Landes H5N1 ausbrach und sich von da aus weiter ausbreitete. Die Distriktsverwaltung reagierte zwar prompt mit einer Anzeige der Venkateshwara Brüterei, wegen Verstoßes gegen das Polizeigesetz Bombays wegen «Erregung öffentlichen Ärgernisses und Bedrohung der Gesundheit», aber das Unternehmen behauptet weiterhin, sein Betrieb sei «biologisch sicher» und leugnet seine Beteiligung an der Verbreitung der Seuche.

Der Vogelgrippe auf den Leib rücken

Sogar vor dem Auftreten der derzeitigen Vogelgrippe-Krise waren Geflügelfarmen bereits ein sozio-ökonomisches sowie ein ökologisches Desaster. In den vergangenen Jahren war diese Industrie in der Lage, in Entwicklungsländern zu wachsen, jedoch nur durch die Auslagerung der Kosten und durch die Nutzung von monopolistischer Macht, um Arbeiter auszubeuten und Zulieferer durch Verträge zu binden. Die örtliche Bevölkerung muss die Kosten tragen, und die Profite gehen woanders hin, im gleichen Maße wie das Produkt selbst in reichere Länder exportiert wird.

Jetzt, nach den H5N1-Ausbrüchen, sterben Menschen als Folge dieser Produktionspraktiken, und das Problem wird sich nicht lösen, so lange sich industrielle Geflügelfarmen weiterhin ausbreiten und ohne Übernahme von Verantwortung arbeiten.

Die Vogelgrippe ist nur ein weiterer Skandal von denjenigen, die immer wieder auch auf anderen Sektoren der transnationalen Nahrungsmittelindustrie aufgetreten sind, von BSE bis zu Star Link im Mais. Es ist einfach beschämend, dass die Geflügelindustrie sich weitere Wachstumsmöglichkeiten auf dem Rücken der kleinen Farmer erobert.

In der Zwischenzeit ist die FAO, die sehr genau weiß wie wichtig Geflügelproduktion für die lokalen armen Kleinfarmer ist, bereits ein Komplize der industriellen Strategie geworden. Es wurde wenig unternommen, die kleine Geflügelhaltung vor grundlosen Anschuldigungen zu schützen. Und was noch schlimmer ist, sie stützt sich auf schwache Indizien, wenn sie uns glauben machen will, die kleinen Hinterhofhaltungen seien Teil des Problems. Die meisten Regierungen, im Norden wie im Süden, sind sehr häufig eng mit der mächtigen Industrie verbunden.

Es handelt sich hier um kein kleines Problem. H5N1 ist Realität, ebenso die Furcht vor einer menschlichen Pandemie. Wenn wir jedoch die Zugvögel- und Hinterhofhaltungs-Theorie akzeptieren und die Rolle der transnationalen Geflügelproduktion ignorieren, öffnen wir einer solchen Pandemie erst recht Tür und Tor. Die Strategie, H5N1 dadurch aufzuhalten, indem man genetisch vielfältige «Hinterhofbestände» zerstört und nur noch intensivere Geflügelproduktionen entwickelt, wird die Möglichkeit einer von Mensch zu Mensch übertragbaren Version der tödlichen Vogelgrippe absurderweise nur noch verstärken. Diese wird von den großen Massentierhaltungen ausgehen, dem Herz der modernen globalisierten Geflügelproduktion und des Geflügelhandels.

Die FAO hat in letzter Zeit den guten Willen gezeigt, etwas von der Zugvogeltheorie abzulassen und sich mehr mit der Rolle der industriellen Geflügelproduktion zu befassen. «Es ist sehr einfach, den Zugvögeln die Schuld zu geben, denn dafür ist niemand verantwortlich. Es ist möglich, dass Wildvögel den Virus einführen, aber er verbreitet sich durch menschliche Aktivitäten, wie dem Handel und dem Verkehr», sagt Juan Lubroth im Januar 2006. Es wird jedoch nicht genug getan, um diese «menschlichen Aktivitäten» gezielt anzugehen oder zu identifizieren, die der Vogelgrippe-Krise zugrunde liegen.

Wenn die Vogelgrippe so ernstzunehmend ist, wie die WHO angibt, wenn Millionen von Menschen möglicherweise an einer H5N1-Pandemie sterben könnten, warum arbeitet die Industrie dann weiter-hin mit so wenig Voraussicht, völlig ungestraft und mit einer solchen Unterstützung durch die Regierungen? Was die Menschen wirklich brauchen, ist ein adäquater und verstärkter Schutz vor der transnationalen Geflügelindustrie. Diesen wird es nur geben, wenn die zivile Gesellschaft einen starken und gemeinschaftlichen Druck ausübt, der den Medienrummel (od. auch Schwindel) und die Hysterie durchdringt. Die zivile Gesellschaft (die Verbraucher) muss/müssen sich auf die Seite der kleinen Produzenten, der «Hinterhofhalter» stellen und eine Nahrungsmittelproduktion fördern, bei der die Menschen und die Tiere vor dem Profit kommen.

GRAIN*

Februar 2006

*Aus dem Englischen übersetzt von A. Baumann, B. Langrehr und

D. Maennle. Dossier inklusive aller Quellenangaben finden Sie auf www.buendnis-gegen-keulung.de

1.«Die Einstreu des Geflügels besteht aus den Einstreumaterialien, ausgeschüttetem Futter , Federn und Ausscheidungen. Dies sind geläufige Bestandteile im Tierfutter» (nach US Food and Drug Administration).**

  1. In Indonesien besteht das industrielle Hühnerfutter im Durchschnitt aus 3% «Mehl von tierischen Nebenprodukten».

  2. Australien (1976, 1985, 1992, 1997), USA (1993, 2002, 2004), GB (1991), Mexiko (1993-1995), Hong Kong (1997), Italien (1999), Chile (2002), Niederlande (2003), und Kanada (2004). Um nur einige Beispiele abseits von der gegenwärtigen Vogelgrippe-Krise aufzulisten.