Endstation Bosnien- Einrichtung eines flüchtlingslagers auf einer Mülldeponie

von Claude Braun, EBF Schweiz, 01.11.2019, Veröffentlicht in Archipel 286

Die Lage auf der von der Stadt Bihac zu einem Flüchtlingscamp umfunktionierten Mülldeponie Vucjak im Nordwesten Bosnien-Herzegowinas spitzt sich dramatisch zu. Mit einer zunehmenden Anzahl unterversorgter Flüchtender, dem nahenden Winter und der Ausweisung des einzigen medizinischen Teams ist mit einer humanitären Katastrophe zu rechnen. Wir berichteten bereits über diese notdürftig eingerichtete Lagerstätte im Archipel 284. Von Vucjak, das nur zwei Kilometer von der kroatischen Grenze entfernt ist, versuchen die Flüchtenden in die EU zu gelangen. Meist enden ihre Versuche allerdings in den Fängen der kroatischen Grenzpolizei. Diese misshandelt systematisch die schutzsuchenden Menschen und schickt sie nach Bosnien zurück, bevor sie in Kroatien ein Asylgesuch hätten stellen können.

Die Einrichtung des Lagers auf der Mülldeponie, die zu diesem Zweck kurzfristig zugeschüttet wurde, geschah überraschend und ohne Absprache mit internationalen Institutionen wie der IOM (International Organization of Migration), die an anderen Orten in Bosnien-Herzegowina präsent ist, wenn auch nur minimal und völlig ungenügend für die Versorgung der Ankommenden. Die IOM und andere grosse Organisationen weigern sich, auf der ehemaligen Mülldeponie Vucjak tätig zu werden, weil sie angeblich das menschenverachtende Vorgehen der Behörden von Bihac nicht kautionieren wollen.

Eskalation des Elends

Lediglich Freiwillige des lokalen Roten Kreuzes teilten in den letzten Monaten täglich Bekleidung und mehrere Hundert Mahlzeiten aus. Das freiwillige medizinische Team mit dem deutschen Journalisten Dirk Planert, das die dringendste Notversorgung leistete, wurde vor kurzem gezwungen, seine Hilfeleistungen einzustellen. Alle ausländischen Freiwilligen, ausser Dirk Planert, der noch mit den Behörden verhandelte, wurden von den lokalen Behörden angezeigt, zu Geldstrafen verurteilt und des Landes verwiesen. Ein Skandal und ein Fall von massiver Kriminalisierung der Solidarität. Inzwischen sind die Geflüchteten in Vucjak in einer absolut katastrophalen Lage – und dies vor dem nahenden Winter. In den Tagen, in denen dieser Bericht geschrieben wird, droht der Bürgermeister von Bihac, nun auch noch die Wasserversorgung und die Müllabfuhr im Lager zu streichen und die inzwischen 2‘000 Menschen im Camp komplett ihrem Elend zu überlassen. Er gibt vor, damit die Zentralregierung in Sarajevo in die Pflicht nehmen zu wollen. Zum Glück bleibt das zynische Spiel der Behörden im Ausland nicht unbemerkt. So kam es in Wien zu mehreren Kundgebungen, bei denen es darum ging, nicht nur Bosnien an die Einhaltung der Menschenrechte zu erinnern, sondern auch die Hauptverantwortung der EU für dieses Elend sichtbar zu machen.

Kritische Fragen, hohle Antworten

Das EBF organisierte im Sommer in der Schweiz eine Briefaktion an die Schweizer Regierung, in der diese aufgefordert wurde, keine Flüchtlinge nach Kroatien und Bosnien zurückzuschicken, dem gebeutelten Land Bosnien und Herzegowina bei der Aufnahme von Flüchtenden materiell und logistisch beizustehen und vor allem sich dafür einzusetzen, dass die grausamen illegalen Misshandlungen durch kroatische Grenzbehörden sofort beendet werden. 1‘000 Menschen schrieben in diesem Sinn der zuständigen Bundesrätin Karin Keller-Suter vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Auf einer anderen Ebene kam eine starke Rückendeckung für diese Aktion, indem die zwei Nationalrätinnen Samira Marti und Mattea Meyer sowie Nationalrat Balthasar Glättli mehrere Fragen und Interpellationen formulierten, um einen konkreten Beitrag zur Lösung dieser Krise durch die Schweizer Behörden einzufordern. Die Antworten des EJPD, dem Frau Keller-Suter vorsteht, waren aber völlig unbefriedigend und weitere Schritte im Parlament sind in Vorbereitung.

Trotzdem positive Zeichen

Immerhin kam es am 12. Juli zu einem Aufsehen erregenden Bundesverwaltungsgerichts-Entscheid, in dem das Staatssekretariat für Migration (SEM) gerügt wurde und eine nach Dublin-Verordnung geplante Rückschaffung eines syrischen Asylbewerbers nach Zagreb suspendiert wurde. Das SEM muss demnach eine genauere Prüfung der Menschenrechts-Situation in Kroatien vornehmen. Auch bürgerliche Nationalräte mussten eingestehen, dass abgewiesene Asylbewerber·innen in Zukunft nicht problemlos nach Kroatien ausgeschafft werden könnten. Die Gesamterneuerungswahlen des Schweizer Parlaments vom 20. Oktober 2019 führten zu einer spürbaren Schwächung der rechtspopulistischen SVP und der rechtsliberalen FDP und einer enormen Stärkung der weiblichen und grünen Vertretung in beiden Parlamentskammern (National- und Ständerat). Es ist zu hoffen, dass mit dem neuen Parlament in Zukunft humanitäre und menschenrechtsrelevante Überlegungen nicht mehr systematisch hinter reinem Wirtschaftsdenken zurückgestellt werden.

Wichtiger Termin!

Einladung nach Bern Die Schweizer Leser·innen finden in dieser Ausgabe des Archipels beiliegend die Einladung für eine Informationsveranstaltung «Endstation Bosnien» am 27. November 2019 in Bern zur Situation der Flüchtenden an der Grenze zwischen Bosnien und Kroatien. An diesem Anlass wollen wir einerseits Aktivist·inn·en aus beiden Ländern eine Plattform geben, damit sie über ihren Einsatz für die Geflüchteten berichten können, und andererseits die europäische und schweizerische Verantwortung an der katastrophalen Situation aufzeigen sowie menschenwürdige Lösungen einfordern. Wir laden Sie alle herzlich zu dieser Veranstaltung ein!