FRANKREICH: Proteste und Streiks

von Bernard Schmid, Paris, 28.11.2017, Veröffentlicht in Archipel 264

Die Auseinandersetzung um die derzeit ablaufende «Reform» im französischen Arbeitsrecht geht weiter. Der Konflikt vom vergangenen Jahr und somit auch die Proteste und Streiks werden fortgesetzt. Unser Korrespondent aus Paris berichtet.

Im Frühjahr und Sommer 2016 kämpfte eine soziale Bewegung – mit Streiks, Demonstrationen, Platzbesetzungen und Strassenkämpfen – fünf Monate lang gegen das so genannte «Arbeitsgesetz». Dieses «Loi Travail» wurde unter dem letzten Präsidenten François Hollande dennoch verabschiedet und trat am 8. August 2016 in Kraft. Zuvor wurden rund 2‘000 Menschen bei Demonstrationen verletzt, und weitere 2‘000 in Polizeigewahrsam genommen und/oder mit Strafverfolgungen überzogen. Unter dem massiven Druck des sozialen Protests musste das Gesetz damals jedoch an einigen Punkten entschärft werden.
Unter dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron zielt die jetzige «Reform» darauf ab, die damals abgeschwächten Bestimmungen nun doch noch in verschärfter Form durchzusetzen. So hatte die Regierung 2016 die Einführung einer Obergrenze für rechtswidrige Kündigungen, durch die deren Preis für den Arbeit«gebenden» von vornherein berechenbar wird, einem Kompromiss mit dem «gemässigten» Teil der Gewerkschaften (besonders der CFDT, einem der Dachverbände) geopfert. Nun soll diese Obergrenze doch noch eingeführt werden. Die neue «Reform» unter Macron, die in den Tagen ab dem 20. November dieses Jahres in der letzten Stufe verabschiedet werden soll, beinhaltet aber auch Neues. So sollen die gewählten Instanzen, über die eine «Interessenvertretung» für die Lohnabhängigen in den Unternehmen gewährleistet werden soll, zusammengelegt und drastisch reduziert werden.
Ab September 2017 kam es also erneut zu Protesten. Beispiels-weise fanden am 12. und 21. September sowie am 19. Oktober gewerkschaftliche Aktionstage mit Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen statt. Wie im vergangenen Jahr gehörte zu den Protestzügen als mittlerweile ständige Erscheinung auch ein schwarz-bunter Block an der Spitze («cortège de tête»). Die Polizeistrategie hatte sich gegenüber der Hollande-Ära verändert und soll weniger provokativ wirken, dennoch kam es erneut zu Festnahmen und Strafverfolgungen.
Im Moment (Ende Oktober 2017) scheint jedoch so viel fest zu stehen: Auf zentraler Ebene dürfte es der sozialen Protestbewegung in Frankreich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gelingen, die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron und Premierminister Edouard Philippe zum Rückzieher bei der geplanten Arbeitsrechts«reform» zu zwingen. Am dritten branchenübergreifenden gewerkschaftlichen Aktionstag zum Thema, am19. Oktober, war die Mobilisierung erkennbar rückläufig1. Gleichzeitig allerdings sah die Regierung sich schon zuvor gezwungen, mehrere soziale Gruppen von der künftigen «Reform» auszuklammern. Ausgenommen von ihr bleiben bislang voraussichtlich solche Berufsgruppen, die entweder gut organisiert sind und/oder deren Arbeitsniederlegung Konsequenzen weit über ihre Branche hinaus entfaltet. Dadurch hat sich die Auseinandersetzung in gewisser Weise in die Branchen verlagert – wobei jedoch nicht alle Branchen eine vergleichbare Kampfkraft und Kampffähigkeit aufweisen.
Einige Erfolge
Als Erste waren es die LKW-Fahrer und -Fahrerinnen, welche die Regierung zu einem solchen Zugeständnis zwingen konnten. In ihrer Branche begann am 25. September dieses Jahres ein Arbeitskampf, der sich erklärtermassen gegen die Arbeitsrechts«reform» richtete.
Am 5. Oktober wurde bekannt, dass Arbeitgebende und Regierung bei den tripartistisch geführten Verhandlungen in der Fernfahrerbranche – der Staat sass also bei den Gesprächen mit am Tisch – der zentralen Forderung der Streikenden nachgegeben hatten. In diversen Medien wird ein «Einknicken» der Regierung gegenüber den Forderungen der Fernfahrenden konstatiert. In ihrer Branche hatte die Regierung nun akzeptiert, dass spezifische in einem Dekret festgeschriebene Regeln das Abweichen «nach unten» – etwa bei Lohnzulagen – gegenüber dem Branchentarifvertrag in den einzelnen Unternehmen verhindern. Dadurch wird just eines der Kernstücke der Arbeits-rechts«reform» konterkariert und für diesen Sektor faktisch ausser Kraft gesetzt.
Am 10. Oktober fand ein Streik- und Aktionstag der Staatsangestellten in mehreren öffentlichen Diensten statt, welcher mit rund 400‘000 Demonstrierenden in ganz Frankreich auch ein Erfolg wurde. Die linken Gewerkschaftsflügel versprachen sich von einem Agieren in verschiedenen Sektoren an diesem Tag eine Bündelung der Kämpfe («convergence des luttes»).
Eine zweite Berufsgruppe, die inzwischen ein identisches Zugeständnis erreicht hat, sind die französischen Hafenarbeiter und -arbeiterinnen. Infolge von Streikdrohungen, vor allem in der Normandie – mit Schwerpunkt Le Havre – und mehreren Verhandlungsrunden wurde auch ihnen zugesagt, dass von ihrem Branchentarifvertrag in den einzelnen Transportunternehmen nicht nach «unten» abgewichen werden kann. Dies wurde am Montag, den 16. Oktober, bekannt. Daraufhin hat sich nun die Chemie-Branchengewerkschaft der CGT 2 dem Zug angeschlossen und fordert dasselbe für ihren Sektor; widrigenfalls droht sie mit einem Arbeitskampf. (…)
Mobilisierungen
Unterdessen wird der Ton zwischen dem Linkssozialdemokraten und Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon einerseits und den Gewerkschaftsvorständen auf der anderen Seite rauer und schärfer. Bei einem von ihm – ausserhalb der Gewerkschaften – veranstalteten Demonstrationstag am 23. September forderte der Ex-Präsidentschaftskandidat dieselben dazu auf, zu einer Zentraldemonstration im November «eine Million Menschen auf den Champs-Elysées» zu mobilisieren. Am 20. November beginnt die Parlamentsdebatte über die Regierungsverordnungen zum Arbeitsrecht und damit die allerletzte Etappe der «Reform». Auch von Seiten der Gewerkschaften gibt es einen neuen Aufruf zu einem gemeinsamen gewerkschaftlichen Aktionstag. CGT, Union Syndicale Solidaires und Force Ouvrière einigten sich darauf, für den 16. November einen Protesttag zu organisieren, wobei sich der Protest allgemein gegen die unsoziale Politik unter Emmanuel Macron und nicht spezifisch gegen die Arbeitsrechts«reform» richten soll. (…) Wie sehr die verschiedenen Kräfte zusammenspannen und durch den Widerstand etwas erreichen können, wird sich im November zeigen – jedenfalls wird die jetzige Auseinandersetzung Spuren hinterlassen.

  1. In Paris demonstrierten an diesem Tag laut Polizeizahlen 5‘500 Menschen, nach Angaben der CGT(1) 25‘000 Personen gegen die Arbeitsrechts«reform». Bei den vorherigen beiden Aktionstagen der Gewerkschaften, am 12. und 21. September, hatten sich laut Polizei zuerst 24‘000, laut CGT 60‘000 und dann 16‘000, respektive 55‘000 Protestierende in der Hauptstadt beteiligt.
  2. CGT = Confédérationgénérale du travail, linke französische Gewerkschaft der Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter