GESTERN - HEUTE - MORGEN: Das Ende der Einzäunungen

von Simon Fairlie, 12.11.2015, Veröffentlicht in Archipel 242

Imfünften und letzten Teil der Reihe über «Die Einzäunung von Allmenden»* geht es zuerst um das Ende dieser Entwicklung. Danach werden die verschiedenen Lehrmeinungen zur Bedeutung der Einzäunungen für die Landflucht, die Urbanisierung und Industrialisierung von Grossbritannien erörtert.

Das Enclosure Movement fand sein Ende, als es anfing das Bürgertum zu verärgern. In den 1860er Jahren bemerkten einflussreiche Stadtbewohner_in-nen, dass es immer weniger Raum für Freizeit und Erholung gab. Im Jahre 1869 sahen Gesetzesentwürfe 6.916 Morgen Land zur Einzäunung vor, von denen nur drei für Freizeit und Erholung und sechs Morgen für Kleingärten vorgesehen waren. So wurde eine Gesellschaft zum Schutz der Landflächen gegründet: die Commons Preservation Society, welche Lord Eversley anführte und später zur Open Spaces Society mutierte. Diese Gesellschaft beteiligte sich auch an der Entstehung des National Trust. Die Initiative scheute sich nicht, direkte Aktionen zu unterstützen, wie zum Beispiel das Ausreissen der Zäune. Wegen derartiger Vorkommnisse im Epping Forest und auf der Berkhampstead Common kam es zu gerichtlichen Verfahren, welche die Aufmerksamkeit erfolgreich auf die Anliegen der Gesellschaft lenkten. Diese konnten nach nur wenigen Jahren eine grosse Unterstützung im Parlament verbuchen.
Weniger Zäune
Der Commons Act von 1876 entschied, dass Einzäunungen nur erfolgen sollten, wenn sie dem Gemeinwohl dienten. Ausserdem war aufgrund der Landwirtschaftskrise, die im Jahr 1875 in vollem Gange war, die so genannte «Entwicklung der Landwirtschaft» (agricultural improvement) nicht länger eine Priorität, und im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts erfolgten nur wenige Einzäunungen auf Grund eines Parlamentsbeschlusses. Die grössten Verluste von Allmenden resultierten seither vermutlich aus dem Versäumnis der Registrierung unter dem Commons Registration Act von 1965.
In einigen Fällen wurden Allmenden, noch lange nachdem sie rechtsgültig eingezäunt waren, als solche genutzt, weil die Landbesitzer während des landwirtschaftlichen Abschwungs des späten 19. Jahrhunderts in der Entwicklung der Landwirtschaft keine Profitmöglichkeiten mehr sahen. George Bourne beschreibt am Beispiel seines Dorfes in Surrey, wie die landlose Bevölkerung vor Ort in der Lage war, die Allmende auf eine informelle Art weiter zu nutzen, obwohl das Land im Jahr 1861 eingezäunt worden war. Die Nutzung setzte sich bis ins frühe 20. Jahrhundert fort. Der Grund dafür, dass die Landlosen am Ende doch abwanderten, war nicht etwa die Landwirtschaftsentwicklung sondern die Ausbreitung der Vorstädte – aber das ist eine andere Geschichte. Bourne kommentiert: «Die Einzäunung der Allmende kann als Hauptursache aller Veränderungen, die sich im Dorf seither zugetragen haben, betrachtet werden. Es war, als hätte man den Schlussstein eines Gewölbes herausgeschlagen. Einverstanden, der Schlussstein allein macht kein Gewölbe, aber sobald er fehlt, wirken alle möglichen Kräfte, die zuvor in Schach gehalten waren, und führen zum Verfall.»
Verschiedene Analysen
Die Standardinterpretation der Einzäunungen, oder zumindest von denjenigen des 18. und 19. Jahrhunderts, besagt, dass die Einzäunungen ein «notwendiges Übel darstellten, und dass sie weniger Schaden angerichtet hätten, wenn die gesteigerten Gewinnanteile aus der Landwirtschaft gerecht verteilt worden wären». Nahezu alle geschichtlichen Analysen basieren auf dieser Argumentation – je nach der Gesinnung des Schreibenden – entweder mit der Betonung auf der Notwendigkeit von «agricultural improvement» (landwirtschaftlicher Entwicklung) oder auf den sozialen Schäden. Niemand unter den Verfechter_innen der Allmenden, der bestreitet, dass die Einzäunungen zu landwirtschaftlichen Fortschritten geführt hätten (die Hammonds übergehen dieses Thema und konzentrieren sich stattdessen auf die Ungerechtigkeiten); und es gibt niemanden unter den Befürwor-ter_innen der Einzäunungen, der/die nicht einräumt, dass der ganze Prozess gerechter hätte ablaufen können. In ein oder zwei Gesichtspunkten haben sich die Ansichten jedoch entscheidend geändert. Die Klassiker der landwirtschaftlichen Literatur der 1920er Jahre, wie zum Beispiel Lord Ernle, waren der festen Überzeugung, dass für die landwirtschaftliche Entwicklung – die sogenannte landwirtschaftliche Revolution –, welche die progressiven Grossbauern in den späten 1800er Jahren vorangetrieben hätten, die Einzäunungen unerlässlich gewesen seien. Sie hätten diesen Erneuerern überhaupt erst erlaubt, auf den Plan zu treten.
Frühe Innovationen
In den letzten 30 Jahren haben dagegen mehrere Historiker_in-nen gezeigt, dass es über die gesamten vorherigen Jahrhunderte stetig Innovationen gegeben hatte, und dass es keineswegs unmöglich oder ungewöhnlich war, im Open Field System (Gewannflur)1 Vierfelderwirtschaft zu betreiben und neue Pflanzensorten einzuführen. In Hunmanby (Yorkshire), zum Beispiel, wurde ein Sechs-Jahres-System eingeführt, in dem zwei Jahre für die Zwischenfrucht vorgesehen waren. In Barrowby, Lincolnshire, entschieden sich die Benutzer der Allmende im Jahr 1697, ihre ausgelaugten Weiden und Gewanne zusammen zu legen, um diese in einem 12-Jahres-Zyklus (4 Jahre bebaut und 8 Jahre brachliegend) zu bewirtschaften. Natürlich ist es gut möglich, dass es länger dauerte, die Mehrheit der Teilnehmer eines Allmendsystems für experimentelle Techniken zu gewinnen, als auf eigene Faust los zu legen. Es ist durchaus verständlich, dass dies einzelne Landwirte frustrierte, aber von einem gemeinschaftlichen Gesichtspunkt her war keine Eile geboten. Die vorschnelle Einführung technischer Neuerungen führt oft zu sozialen Spannungen. Wenn wir vergleichen, wie wenig für die Open-field-Landwirtschaft getan wurde und wie laut die Verfechter der Einzäunungen auftraten, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass der «Fortschritt» in der Landwirtschaft zumindest teilweise als trojanisches Pferd für diejenigen diente, deren Hauptinteresse die Vergrösserung ihres Grundbesitzes war.
Erzwungene Urbanisierung
Einer der Hauptstreitpunkte war, in welchem Ausmass die Einzäunungen direkt für die Landflucht und den Rückgang kleiner landwirtschaftlicher Betriebe verantwortlich waren. Etliche Kommentator_innen (z.B. Gonner, Chambers und Minguay) behaupten, dass diese Prozesse sowieso passiert wären und in vielen Fällen nicht direkt auf die Einzäunungen zurückgeführt werden könnten. Dagegen zeigte Neeson vor nicht allzu langer Zeit am Beispiel von Northants, dass das Verschwinden der bäuerlichen Kleinbetriebe mit den Einzäunungen in direktem Zusammenhang steht. Ihre Analyse belegt, dass kleinere Nutzer der Allmende, insbesondere Landlose und Nebenerwerbsbauern, bei Entscheidungen nicht ins Gewicht fielen und einfach wegradiert wurden.
Bei den verschiedenen Lehrmeinungen verstrickten sich die Fachleute zu oft in Details – genährt durch die Tatsache, dass jede Allmende wieder anders war als die andere – und verpassten es, das Wesentliche offen zu legen. So ist es eine Tatsache, dass die ländliche Bevölkerung von England und Wales von 65% der Gesamtbevölkerung bereits im Jahr 1801 auf 23% im Jahr 1901 gesunken ist, während in Frankreich im Jahr 1901 59% der Bevölkerung auf dem Land lebte, und es selbst 1982 noch 31% waren. Zwischen 1851 und 1901 nahm die ländliche Bevölkerung in England und Wales um 1.4 Millionen ab, während die Gesamtbevölkerung auf 14.5 Millionen wuchs und sich die städtische Bevölkerung nahezu verdreifachte. Im Jahre 1935 kam im Vereinigten Königreich eine Arbeitskraft auf 12 ha, in Frankreich auf 4.5 ha und im europäischen Durchschnitt sogar auf 3.5 ha. Grossbritannien entwickelte sich in Richtung einer hochurbanisierten Wirtschaft mit einem grossen städtischen Proletariat – bestehend aus Menschen, die aus den ländlichen Gegenden vertrieben worden waren – und mit stark konzentriertem Landbesitz und Betrieben, die grösser waren als sonst in Europa. Die Einzäunung der Allmenden, welche im Vereinigten Königreich viel weiter fortgeschritten war als irgendwo sonst in Europa, war eine Komponente auf dem Weg zu diesem System. Rohstoffe aus der Neuen Welt und den Kolonien spielten dabei eine wichtige Rolle, genauso wie die englische Tradition, das Land nach dem Erstgeburtsrecht weiter zu reichen. Es ist jedoch unbestreitbar, dass die Einzäunung von Allmenden bei der Industrialisierung Grossbritanniens eine Schlüsselrolle gespielt hat, worüber sich die damaligen Befürworter durchaus im Klaren waren.

*Die in fünf Folgen im Archipel abgedruckten Texte sind als vollständiger Artikel unter dem Titel «The short history of enclosure in Britain» (19.5.2011) auf Englisch zu finden unter: www.thelandmagazine.org.uk.

  1. «Die Ausdrücke Gewann, beziehungsweise Gewann(e)flur bezeichnen eine Flurform, die vor allem infolge der zellengebundenen Dreifelderwirtschaft und des Erbrechts entstand.
    Im Zuge der Einführung der Dreifelderwirtschaft wurde die Feldflur einer Siedlung in schmale, streifenförmige Gewanne unterteilt, die im Flurzwang bewirtschaftet wurden, d.h. die Arbeiten auf allen Ackerstücken eines Gewanns wurden immer gleichzeitig ausgeführt.» (…) Aus: Wikipedia.