ITALIEN: Furchtloses Susatal

von Lucia u. Roberto,leben in Longo maï, 16.09.2014, Veröffentlicht in Archipel 229

Die Bewegung «No TAV» hatte alle Aktivist_innenkreise, Unterstützer_innengruppen und unterstützende Einzelpersonen von 17. bis 21. Juli zu einem Sommercamp eingeladen. Es fand zum 15. Mal statt und war dieses Jahr erstmals auf Wanderung.

Es war ein langsam wanderndes Camp für ein «Nein» zu unnützen Grossprojekten, die der Bevölkerung aufgezwungen wurden und der Grund sind für die Zerstörung der Landschaft und der Verschwendung von öffentlichen Geldern. Es war ein Marsch in menschlicher Gangart gegen die Militarisierung und Kontrolle des Tals, um sich zu sammeln, miteinander zu diskutieren und gemeinsam gegen die repressive Politik des Staates zu kämpfen. Diese sogenannte «Entwicklungspolitik» betrifft nicht nur das Susatal, sondern drängt sich überall in Europa auf und sucht die Landschaft heim. Viele Kampfgefährt_innen aus allen Ecken des Kontinents hatten sich im Susatal eingefunden und mitgeholfen, ein Netzwerk zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen zu knüpfen.
Presseecho Während 10 Tagen gingen die Demonstrationen einher mit Protest- und Störaktionen gegen die Arbeiten an der Schnellbahnstrecke. Die nationale Presse profitierte von der Gelegenheit, ein Bild der Bewegung zu verbreiten, das von der Wirklichkeit weit entfernt ist (siehe La Stampa und Il Giornale vom 26.7.2014). Es wurde eine Bewegung dargestellt, die aufgeteilt ist in «gute» und «böse» Demonstrant_innen, die sich tagsüber alle friedlich geben und nachts gewalttätig werden. Es war ein Versuch die Bewegung abzuwerten, ein Versuch der weder neu noch Zufall ist, sondern hinter der eine klare Strategie steckt. Die Bewegung ist indes sehr geeint, auch dank seiner grossen Heterogenität. Den Beweis lieferte der Tag nach der Verhaftung von Mattia, Chiara, Claudio und Niccolo1 mit dem Slogan: «Wir alle sind der Schwarze Block».
Prozess und Antiterrorismus Auf die unverhältnismässigen Angriffe der Justiz reagiert die Bewegung mit dem Anspruch, Pflöcke und Sabotage als legitime Widerstandsmittel einsetzen zu können. Zu diesem Thema ist es auch interessant aus einer neuen Publikation der Bewegung zu zitieren: In Il Compressore2 findet man einen politischen Abriss der Geschichte von revolutionären Bewegungen und, im Detail, den Einsatz von Sabotage. Die Publikation bezieht sich klar auf den in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 2013 angezündeten Kompressor auf der Baustelle. Die Folge davon war, dass vier Genoss_innen aufgrund der Paragraphen 280 und 280bis des italienischen Strafgesetzes wegen «Attentats mit terroristischer Absicht und terroristischem Akt unter Benutzung von Vorrichtungen zur Zerstörung oder Sprengstoff» angeklagt wurden. Der Rekurs der Verteidigung, die vom Staatsanwalt die Streichung der terroristischen Absicht verlangte, ist am 15. Mai 2014 beim Revisionsgericht eingegangen. Dies war möglich, weil, im Gegensatz zu dem was ursprünglich vertreten wurde, «es keine wirkliche und begrüssbare Möglichkeit von Seiten des Staates gab, auf die Eröffnung des Verfahrens zu verzichten». Die Europäische Kommission war nämlich anfänglich als Privatklägerin aufgetreten, hat aber laut des Vorsitzenden des Gerichtshofs, Pietro Capelli, die Angelegenheit mangels Interesse fallen lassen.
Die neuesten Nachrichten in dieser Angelegenheit handeln von der Festnahme dreier Kamerad-innen in Mailand und Lecce. Sie wurden mittels Abhörung in einem Restaurant mit der Brandstiftung an dem Kompressor in Zusammenhang gebracht. In diesem Fall hat sich die Anklage zwar nicht auf die Antiterrorismusgesetze bezogen, bleibt aber dabei, auf «Sachbeschädigung durch Brandstiftung, Gewalt gegen Amtspersonen sowie «Besitz und Transport von Kriegswaffen» zu klagen, wie dies auch schon bei den ersten vier Verhafteten der Fall war.