KOMMENTAR: Die Pharmaindustrie hegt ihren Geldbeutel

von Nadine Forget, 10.09.2007, Veröffentlicht in Archipel 151

Vier Jahre lang habe ich als Arzneimittelvertreterin für ein Pharmaunternehmen gearbeitet. Ich hatte also genug Zeit, Geld zu scheffeln und die verschlungenen Pfade des französischen Gesundheitssystems zu studieren, das angeblich in immer größeren Schulden steckt.

Der Eingangskorridor: die Forschung Der gewaltige Finanzaufwand der Pharmaunternehmen, um bestimmte Substanzen zu finden, wird natürlich nicht ohne Hoffnung auf Gewinn betrieben. Deshalb ist ihre Forschung im Wesentlichen auf Fettleibigkeit und Krebserkrankungen ausgerichtet, die Krankheiten der Satten, des Überflusses und der Umweltverschmutzung, während die als «tropisch» bezeichneten Krankheiten der öffentlichen Forschung überlassen werden.

Denn, na klar, wozu dient die Produktion eines Medikamentes für Leute, die es sich nicht leisten können?

Im Vorzimmer: die Marktzulassung Anders als all die chemischen Substanzen, die wir mit der Nahrung aufnehmen, werden Wirksamkeit und Toxizität von Medikamenten sorgfältig untersucht, bevor sie auf den Markt kommen. Zunächst werden sie an Tieren gete-stet, dann an freiwilligen Versuchspersonen, bevor man sie an leibhaftigen Kranken ausprobiert. Wenn, statistisch gesehen, die Nebenwirkungen gegenüber den heilenden Effekten für den Kranken geringfügiger sind, wird das Medikament zugelassen. Hier ist jedoch anzumerken, dass die Kosten für diese Studien von den Unternehmen selbst getragen werden. Sie sind es also, die das Zahlenmaterial zur Verfügung stellen, auf Grund dessen die staatliche Agentur für Medizin die Marktzulassung für ein Produkt erteilt. Sie fragen sich jetzt, ob das denn seriös sei. Ob hier nicht ein enormer finanzieller Aufwand getrieben werde, um Resultate zu verfälschen?

Seien sie beruhigt, denn selbst wenn das Produkt auf dem Markt ist und angewandt wird, bleibt es unter Kontrolle. So werden unvorhergesehene, zu Missbildungen führende Effekte (Schädigungen des Fötus) dann doch noch entdeckt, wie auch tödliche Kombinationen mit anderen Medikamenten und weitere Nebenwirkungen … In der Tat, die Versuchskarnickel nach der Marktzulassung sind Sie, ich, wir. Es erübrigt sich der Hinweis, dass Sie nur noch altmodische, lang erprobte Medikamente einnehmen sollten und nicht die letzten Neuheiten.

Im Salon: die Ärzte Wie können denn die Ärzte bei all den neuen Medikamenten, die auf den Markt geworfen werden (und sei es, wie so oft, nur die Verpackung, die sich ändert) überhaupt noch durchsehen? Natürlich indem sie sich kontinuierlich weiterbilden! Und wer sorgt für die kontinuierliche Weiterbildung unserer Ärzte? Natürlich, dank ihrer zahlreichen Arzneimittelvertreter, ist es die Pharmaindustrie höchstselbst. So empfängt ein Arzt durchschnittlich drei Vertreter pro Tag. Im Wartezimmer sind sie leicht auszumachen.

Im Allgemeinen sind sie korrekt gekleidet, haben einen Diplomatenkoffer, ein freundliches Gesicht und trommeln mit den Fingern auf ihrem E-Book herum. Ihre offizielle Mission besteht darin, positive und negative Charakteristika der Arznei, welche sie vertreten, anhand jüngster Studien darzulegen. Und das tun sie auch - mit dem Wissen, dass sie reichlich Provision einstreichen werden, sollte ihr Produkt von dem so unterwiesenen Arzt verschrieben werden. Dies bestimmt zwangsläufig den Tenor des Gesprächs.

Während meiner Ausbildung für diese gemeinnützige Tätigkeit hat man mir beigebracht, Ärzte in sechs Kategorien einzuteilen:

  • diejenigen, die mit der Zeit gehen wollen (sofort auf die Neuartigkeit des Produktes dringen);

  • diejenigen, die es eilig haben (für sie muss man Produkte mit gut sichtbaren Etiketten bereithalten);

  • die Hochnäsigen (ihnen muss man nach dem Mund reden, indem man sie bittet, einen Vortrag über das Produkt zu halten);

  • die Feinfühligen (sich als Freund andienen und kleine Dienste erweisen, so dass sie nicht von Ihnen - und ihrem Produkt - lassen können);

  • diejenigen, die auf Nummer sicher gehen (auf Studien verweisen, die die Nicht-Giftigkeit des Medikamentes belegen);

  • die Käuflichen – meine bevorzugte Kategorie. Diese werden von uns angefüttert mit Restaurantbesuchen, mit Kongressen auf den Antillen und kleinen Geschenken für ihre Praxis.

Nun sagen sie sich: «Aber das ist doch illegal!» Ist es ja auch bis zu einem bestimmten Punkt. Es gibt jetzt Gesetze, die den Höchstbetrag und die Form für solche kleinen Geschenke festlegen. Früher lud man den Ehegatten, die Geliebte oder den Geliebten des Mediziners mit ein, jetzt muss er alleine kommen. Früher führte man ihn aus in die schicksten Restaurants der Stadt, heute darf das Menü für ihn nicht teurer sein als 45 Euro. Sei es drum: Um ihn nicht zu beleidigen mit der Cafeteria um die Ecke, trifft man eben Vorkehrungen, indem mehrere bewirtete Fachkräfte für ein und dieselbe Rechnung deklariert werden.

Das nennt man Marketing! Und all das kostet die Industrie auch einiges: etwa drei- bis fünfmal mehr, als die Forschung selbst*. Der Preis des Medikamentes trägt dem natürlich Rechnung (dieser wird zwischen dem Unternehmen und der Krankenversicherung anlässlich der Marktzulassung ausgehandelt). Also bezahlt die Krankenkasse die Geschenke für die Ärzte und die Aktionärsgewinne. Wird Ihnen jetzt klar, wie sehr man Sie anschmiert?

Aber Sie sagen sich: «Mein Arzt ist nicht so, der ist unbestechlich, der denkt ernsthaft an das Wohl seiner Patienten, der verschreibt mir immer das Produkt, welches das beste für mich ist.» Glücklicherweise gibt es unter all denen, die ich getroffen habe, tatsächlich solche, die integer und Arzt aus Berufung sind. Aber die haben keine Ahnung von der Hirnwäsche, derer sie von den Arzneimittelvertretern unterzogen werden. Für sie ist es normal, dass der sympathische Typ, den sie ein paar Mal pro Woche sehen, sie zum Essen einlädt, ihnen die Uhr ersetzt oder ein neues Computerprogramm besorgt. Der sympathische Typ will auch nichts dafür haben. Er wird nur eben dafür bezahlt, die Marktanteile des von ihm vertretenen Produktes zu steigern. Selbst wenn er bestimmte Ärzte ganz aufrichtig mehr schätzt als andere, er kommt nicht aus Freundschaft. Dieser sympathische Typ hat gelernt, während der Unterhaltung den Namen seines Produktes so oft wie möglich zu erwähnen, damit dieses vom Arzt, ohne dass dieser sich dessen bewusst ist, im entscheidenden Moment verschrieben wird. Damit der Arzt ihn so häufig wie möglich empfängt und also so oft wie möglich den Namen des Produktes hört, muss er also der sympathischste sein. Denn er weiß, dass die Konkurrenten es genauso machen - letztlich gleicht sich ja alles wieder aus…

Nun fragen Sie sich: «Wie kann die Pharmaindustrie wissen, was der Arzt verschreibt?» Natürlich registriert die Krankenkasse mit ihrem Informatiksystem, wenn eine Apotheke ein Rezept eingibt und hat damit auch den Namen des verschreibenden Arztes. So kann die Krankenkasse die Ärzte rankriegen, die ein bisschen zu viel von diesem oder jenem Produkt verschreiben (sie müssen Quoten einhalten), aber vor allem verschafft sie sich eine kleine Rücklage, indem sie solche Informationen unter der Hand verkauft. So kann ich also rausbekommen, ob der Arzt, dem ich einen schönen Kongress in Aussicht gestellt habe, nicht dabei ist, mich zum Narren zu halten. Aber das Spielchen verkompliziert sich noch etwas, weil der Apotheker die Szene betritt.

An der Kasse: die Apotheker In Frankreich hat der Apotheker das Recht, ein Medikament durch ein gleichwertiges zu ersetzen, ohne es dem Arzt mitzuteilen. So kann die Mühe des guten Arzneimittelvertreters von einem Apotheker zunichte gemacht werden, der die Verschreibung entsprechend seiner Lagerbestände oder seiner Interessenslage ändert. Aus Sicht der Pharmalabors gibt es zwei Sorten von Apothekern: die Schafe, die den Rezepten aufs i-Tüpfelchen folgen, und die Krämerseelen, die wissen, wie man zu was kommt. Man muss also auf zwei Hochzeiten tanzen, um den Markt zu beherrschen: dem Arzt das Gehirn waschen und den Apotheker überzeugen, das Ersatzmedikament aus dem ‚guten Bestand‘ zu wählen. Und wie überzeugt man eine Krämerseele, dass unser Produkt besser ist als das der anderen? Indem man seine Gewinnmarge erhöht. Hier muss man wissen, dass selbst bei erstattungsfähigen Produkten der angegebene Preis nur als Orientierung gilt. Es liegt am Apotheker, seinen eigenen Preis zu fixieren. Die Differenz zwischen diesem und dem Orientierungspreis der Krankenkasse wird für diejenigen, die eine haben, von der Zusatzversicherung übernommen. Überzeugen Sie sich selbst: Ein und dasselbe Medikament hat unterschiedliche Preise in verschiedenen Apotheken. Der Apotheker also, der auf mehr Gewinn aus ist, erhöht den Verkaufspreis. Er kann aber auch mit den Pharmalabors verhandeln, um so billig wie möglich einzukaufen. Und dann gibt es noch solche, die dreist die Zwischenhändler unter Druck setzen, um Gratisproben zu bekommen, die sie dann weiterverkaufen. Das ist ganz und gar illegal, aber üblich. Diese Gratisproben sind eigentlich für Ärzte bestimmt, damit sie sie an ihre Patienten weiterreichen; aber wenn es um Geld geht, dann …

Am Ausgangsportal: die Mauer Also - stürzen Sie sich auf Pharmaaktien. Die steigen gerade in Zeiten der Krise, wenn die Kurse purzeln und die Geschwüre wachsen. Sobald Privatunternehmen die Finger im Spiel bei der Gesundheit haben, besteht das wahre Interesse nicht mehr darin, die Leute zu heilen, sondern eine ständig wachsende Klientel an Kranken zu haben. Worin bestünde aber eine alternative Logik? Darin, dass man den Arzt erst bezahlt, wenn man richtig gesund ist?

*Gemäß der Studie von Léo-Paul Lauzon und Marc Hasbani, April 2002 (Lehrstuhl für Sozialökonomie an der Université du Québec in Montréal. Siehe auch: «Le complexe médico-industriel» von Jean-Claude Salomon, Verlag Mille et une nuits, 2003.