KOMMUNIKATION : Die fünfte Generation

von Lucas Magnat, Longo maï, Frankreich, 19.12.2020, Veröffentlicht in Archipel 298

Das als «5G» bekannte Mobilfunknetz der fünften Generation, das sich in einer entscheidenden Phase seiner Entwicklung befindet, wäre nach Ansicht seiner Promotor_inn_en eine bahnbrechende Innovation. Doch was soll dieses Netzwerk konkret sein, und was ist mit dieser Behauptung? In gleicher Weise, vielleicht, wie der Auftritt des Coronavirus auf der globalen Show-Bühne eine «Welt danach» erzeugen soll, so wird die 5G-Techmik laut ihren Promotern einen Umbruch in der Welt einleiten. Dieser Sichtweise nach ist die Zeit also ein Vorher, bis zum Anbruch einer Revolution, die eine notwendigerweise strahlende Zukunft aufblühen lässt – welche wir der Einfachheit halber hier «Morgen» nennen.

5G, was ist das?

Bevor wir dieses Morgen besprechen, sollten wir aber zunächst auf dem Boden bleiben und ein paar technische Details anschauen, die uns eine Vorstellung davon vermitteln, worum es sachlich geht. Reden wir über Infrastruktur: In Europa basiert die Mobiltelefonie heute auf drei Netzen, die als 2G, 3G und 4G bekannt sind, und wird von den etwa 200 000 Antennen übertragen, die wir in unsereren Landschaften bewundern können. Obwohl der Anblick dieser Antennen nicht nach jedermanns Geschmack ist (manche_r tröstet sich damit, zu erfahren, dass einige von ihnen «als Schornsteine oder als Bäume getarnt sind» [1]), ist der Fortschritt nicht aufzuhalten, und der Ausbau von 5G würde zunächst eine Verdoppelung oder sogar noch mehr dieser Antennen erfordern. Wie bei anderen Generationen wird die 5G-Technik ein bestimmtes Frequenzband nutzen, in ihrem Fall ein besonders breites Frequenzband, angesichts der Anforderungen, die damit erfüllt werden sollen.

In einer zweiten Phase werden dann noch die so genannten «kleinzelligen» Antennen installiert, oder vielmehr massenhaft installiert, da in mehreren Grossstädten bereits Tests existieren und in zunehmendem Masse ausgebaut werden. Diese werden auf noch höheren Frequenzen abstrahlen, und ihre Wellen werden aus diesem Grund viel weniger stark sein als die ihrer grossen Schwestern, d.h. sie werden weniger weit tragen und viel empfindlicher auf physische Hindernisse reagieren. Es wird also notwendig sein, sie mit dem mutigen Pragmatismus unserer lieben Technokrat_inn_en einzusetzen: Auf längere Sicht werden wir, so sagt man uns, in den Städten und auf den Strassen alle hundert Meter eine Antenne haben. Denn 5G ist auch eng mit dem Projekt des autonomen Autos verbunden.

All dies ist jedoch noch zu bescheiden für ein ehrgeiziges Projekt, das seinen Namen verdient. Die visionärsten ihrer Förderer, an ihrer Spitze der Unternehmer Elon Musk, beabsichtigen also, in einem perfekten Geist der Inklusivität niemandem auf dieser Welt das elektromagnetische Vollbad vorzuenthalten: Mit dem Einsatz von Zehntausenden von Satelliten – sowie von Google-Antennen, die auf Heissluftballons montiert sind – wird das völlige Verschwinden der «weissen Zonen» angestrebt, dieser rückständigen Regionen, die immer noch nicht vom Netz abgedeckt sind. Die GAFAMs (die US-amerikanischen Technologie-Unternehmen Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft) reiben sich wetteifernd die Hände, die Astronomen schmollen, weil ihre Beobachtungen jetzt schon durch die Häufung von Satelliten am Himmel gestört werden (2) ... und was die Menschen betrifft, die an Elektro-Hypersensibilität leiden, so wird ihnen die Inklusivität ja vielleicht bald erlauben, auf dem Mond zu leben, oder?

Vollständige Lobbyarbeit

Bleibt der gewöhnliche Mensch, der nicht sagen kann, ob der elektromagnetische Nebel, wie er heute existiert, Auswirkungen auf seine Gesundheit hat oder nicht. Es muss betont werden, dass die Ätherlobby ihre Ziele gut kennt und die gesamte Grossindustrie durchzieht, welche in allen Sektoren darauf bedacht ist, die für ihr wirtschaftliches Überleben unerlässliche digitale Metamorphose durchzuführen. Dies erklärt zweifellos das vorbildliche Talent und die unerbittliche Strategie, mit der diese Lobby die Totalvernetzung anstrebt. Das erzählt uns Nicolas Bérard – Journalist bei der Zeitung «L'âge de faire» in seinem neuesten Werk «5G, mon amour» (1). Was die Lobbyarbeit betrifft, fehlt da nichts: die Mobilfunkindustrie fördert Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen der elektromagnetischen Wellen, welche von Forscher_inne_n durchgeführt werden, die selbst in der, (rate mal) ... Mobilfunkindustrie beschäftigt sind; die Glaubwürdigkeit jeder Studie, welche die Unschädlichkeit dieser Wellen in Frage stellt, wird systematisch mit neuen widersprüchlichen Studien untergraben; technische Daten über die Emissionen zukünftiger Geräte werden zurückgehalten, was es schwer macht, seriöse Untersuchungen über die spezifischen 5G-Frequenzen durchzuführen; immer wiederkehrende Erpressung in Bezug auf Jobs, Offshoring, «Steueroptimierung» usw....

Und um ein konkretes Beispiel zu nennen, wie die Mobilfunklobby agiert: Zwei Tage vor den Ergebnissen der Präsidentschaftswahlen 2002 in Frankreich forderte sie die scheidende Regierung höflich auf, ein Gesetz zu verabschieden, das bestimmte Standards für die Wellenemissionen der Betreiber_innen festlegt. Im gleichen Sinne hatte der Europarat drei Jahre zuvor die von der Industrie selbst (durch die ICNIRP [3]) empfohlenen Standards in einer offiziellen Erklärung aufgegriffen, unter dem Vorwand, die Bürger_innen vor den «erwiesenen» Risiken elektromagnetischer Felder schützen zu wollen. Die künftigen Krebspatient_inn_en werden es danken. Die Standards sind so tief angesetzt, dass die Welt und wir zu Versuchskaninchen für den unersättlichen Profit-Appetit der Konzerne werden.

Das Bemerkenswerte an dem Buch «5G, mon amour» ist, dass es das Aufkommen dieser Technologie und ihre Voraussetzungen klar und einfach darstellt und gleichzeitig ein breites Bild davon vermittelt. Der Autor analysiert anhand zahlreicher konkreter Fälle – das Kapitel über die Regierung Macron ist ein weiteres trauriges und deutliches Beispiel – die endemische gegenseitige Durchdringung von Machtkategorien, die ein optimistischer Geist für unabhängig halten könnte: Politik, Medien und Industrie. Auch belegt er, dass die wenigen unabhängigen Studien über die Wirkung des Elektro-Smogs(4), welche dank ausreichender finanzieller Mittel zu Ergebnissen kommen, zumeist Auswirkungen beschreiben, die es kriminell erscheinen lassen, sie nicht ernst zu nehmen.

Der kybernetische Traum Und dieses Buch hat noch einen Verdienst: Es beschränkt sich nicht, wie es allzu oft der Fall ist, auf eine verkürzte Kritik an einer Technologie, indem es sich auf ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt oder auf die falschen Methoden konzentriert, mit denen sie von ihren Befürwortern durchgesetzt wird. Denn es geht auch um das Projekt einer technokratischen Gesellschaft, das diese Technologie unterstützt, die «smart world» – «intelligente Welt» genannt wird. Es stimmt, das Bemerkenswerte an unserem Zeitalter ist, dass es nach und nach alles ans Licht bringt, was in den Jahrtausenden davor dumm und böse war. Und um beim letzten Jahrhundert des „Fortschritts“ zu bleiben: War Ihr Telefon dumm? Jetzt ist es smart. Ihr Auto antwortet nicht, wenn Sie morgens Hallo sagen? Haben Sie Geduld, die Welt von Morgen ist fast da. Waren Sie schon immer über die Dummheit von Ihrem Kühlschrank empört? Er wird Sie bald mit seiner genialen Fähigkeit, Ihnen beim Einkaufen zu helfen, überraschen.

Aber was ist diese Cleverness, von der man uns erzählt, woher kommt sie? Um dies zu verstehen, können wir andere Bücher zu Rate ziehen. Wir werden uns für diese «Wissenschaft», die Kybernetik genannt wird, interessieren müssen, d.h. für Norbert Wiener, der als deren geistiger Vater angesehen wird und die Welt als ein «weites Feld der Information»(5) sieht, für die Kritiker_innen, die das Fortschreiten dieser Dynamik in der Welt beobachten, in der Politik oder in unserer Art zu sprechen, ja, sogar beim Ausdruck von Intellektuellen, die als die subversivsten gelten. Aber auch die Aussagen ihrer zeitgenössischen Verfechter_innen (6) sind aufschlussreich. Hier zum Beispiel, ganz zufällig herausgegriffen, Jeremy Rifkin, der grosse Denker der Welt von Morgen und ein führender politischer Berater und Autor von Büchern, die uns komplexlos sagen, worum es geht: «Alle Maschinen, Geräte, Apparate und Vorrichtungen werden mit Sensoren ausgestattet sein, die jedes ‘Objekt’ mit jedem Individuum in einem riesigen digitalen neuronalen Netzwerk verbinden, das in der gesamten globalen Wirtschaft zum Einsatz kommen wird. Es gibt bereits Milliarden von Sensoren, die an Ressourcenflüsse, Lagerhäuser, Strassennetze, Produktionslinien in Fabriken, elektrische Übertragungsnetze, Büros, Wohnungen, Geschäfte und Fahrzeuge angeschlossen sind. Sie verfolgen kontinuierlich ihre Entwicklung und Ergebnisse und liefern Datenmengen für das Internet der Kommunikation, Energie, Transport und Logistik.»(7)

Die Kybernetik, die «Wissenschaft der Information», betrachtet Kommunikation als das absolute Gut, das sie dem entgegensetzt, was sie Entropie nennt: der Verlust von Informationen durch alle, die diesem Konzept nicht folgen wollen. Sie sieht die Welt als eine Summe von interagierenden kommunizierenden Akteur_inn_en und ist davon überzeugt, dass die Voraussetzung für das Gemeinwohl im Erlangen einer ungehinderten Kommunikation liegt. Sie sieht die Welt als eine Welt der Maschinen, in der jede Form menschlicher Subjektivität mit ihrem Anteil an Schatten, ihrem Anteil an Zweifeln, an Unbestimmtheit unerwünscht ist. So sieht die Grundlage der Welt von Morgen aus. Eine Welt von Mensch-Maschinen, die noch zu unvollkommen sind, um sich selbst zu regieren, und die diese – selbstverständlich im Wesentlichen technische – Aufgabe an die Grosse Maschine delegieren, die es versteht, perfekt zu kommunizieren. Eine Welt, in der die kleinsten Winkel unseres Lebens den mehr und mehr automatisierten technischen Vorrichtungen unterworfen sein werden. Dazu gehört die Produktion von allem, was wir zum Leben brauchen, materiell, aber auch allumfassend: Wohnen (Linky-Stromzähler, vernetzte Haushaltsgegenstände), Mobilität («autonome» Fahrzeuge), Energie (Smart Grids), Lebensmittel (2.0-Landwirtschaft), Gesundheit, Arbeit, Freundschaft, Sexualität (Telemedizin, Telearbeit, so genannte «soziale» Netzwerke, Dating-Sites mit pornografischen Videos). Mit anderen Worten: die selbststeuernde Verwaltung der menschlichen Aktivitäten, Tele-Life; das Scheitern der Politik... Trends, die uns bereits allzu vertraut sind, sowie die technologischen unangenehmen Überraschungen, die sie begleiten.

In Perspektive setzen

Bei einem solchen Gesellschaftsprojekt, von dem man sich auch eine gute Vorstellung machen kann, wenn man liest, was die französische Regierung mit verblüffender Offenheit(8) sagt, ist es überflüssig zu fragen, warum 5G-Technik, die «bis zu zehnmal höhere Übertragungsraten, als die 4G-Technik» und «eine durch 10 geteilte Latenz (Reaktionszeit) für ultra-fliessende Kommunikationen» bringen wird. Unnötig ist ebenfalls zu sagen, warum es «keine Option ist», diesen Zug zu verpassen(9). Aber abgesehen von diesem quantitativen Sprung, der kein wirklicher sein kann, da die Einrichtung dieses neuen Netzes einige Jahre dauern kann, ist die fünfte Generation der Mobiltelefonie wirklich die bahnbrechende Technologie, die uns verkauft wird? Ähnlich wie der kürzliche Lockdown – wo der Kontakt mit anderen Menschen zur Hauptbesorgnis geworden ist – illustrieren diese Technologien auf schockierende Weise die Abschottung und Auflösung sozialer Bindungen. Durch einen Techno-Kapitalismus, der allerdings nicht neu ist, wird diese Entwicklung immer stärker. Wirft die geplante 5G-Technik nicht einfach ein etwas schärferes Licht auf eine bereits bestehende Realität? Ist dieser Aufbruch etwas anderes als die Fortsetzung einer fundamentalen (und vielschichtigen) Bewegung, die unsere hyperindustrialisierten Gesellschaften antreibt und dies mit Hilfe der neuesten verfügbaren Technologien?

Machen wir den Versuch, das Ausmass dieses technologischen Phänomens zu verstehen und ihm entgegen zu wirken. Oder um den Sinn der Gedanken von Jacques Ellul (10) aufzugreifen: Wenn wir die technologische Entwicklung innerhalb eines Jahrhunderts betrachten, hat diese sicherlich etwas Schwindelerregendes, doch mit der gleichzeitigen Erweiterung unseres Bewusstseins sind wir auch in der Lage, uns allen die Impulse zu geben, die wir brauchen, um uns dieser Welt der Zwänge entgegenzustellen, die von Tag zu Tag greifbarer wird.

Lucas Magnat, Longo maï

  1. Nicolas Bérard, «5G, mon amour, Le passager clandestin – L'âge de faire», S.167.
  2. Nach Einschätzung von Astronomen ist die Möglichkeit, den Himmel zu beobachten, bedroht, da die wahrgenommene Leuchtkraft der etwa 50 000 Satelliten, die insgesamt gestartet werden könnten, grösser wäre als die der Sterne.
  3. International Commission on Non-Ionizing Radiation Protection (Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung)
  4. Darüber hinaus sind die Wellen im Falle der 5G sehr unterschiedlicher Frequenz und damit in der Wellenlänge, was ebenfalls sehr unterschiedliche schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit hervorrufen könnte.
  5. Norbert Wiener, «Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine», MIT Press, 1961.
  6. Jeremy Rifkin, «Le New Deal vert mondial», Ed. Les liens qui libèrent, Paris, 2019, S.25.
  7. Arcep (Agence de Régulation des Communications Électroniques et des Postes), «5G – Une feuille de route ambitieuse pour la France», 16. Juli 2018.
  8. Ebd.
  9. Jacques Ellul (* 6. Januar 1912 in Bordeaux; † 19. Mai 1994 ebenda), französischer Soziologe und Theologe