ABHOLZUNGEN / UKRAINE: IKEA auf dem Holzweg

von Christoph Lehermayr, Journalist, 15.10.2020, Veröffentlicht in Archipel 296

Wie illegales Holz aus der Ukraine in die Möbel des schwedischen Giganten gerät, was österreichische Holzriesen damit zu tun haben und warum vieles davon geheim bleiben soll. 1. Teil (1)

Diese Geschichte führt weit weg von den Ballungszentren, in denen sich die Einrichtungshäuser der Schweden befinden und beginnt mit einem Rätsel. Man folgt diesem, wenn man die „Wohnst du noch oder lebst du schon“-Musterwohnungen hinter sich lässt, auch die acht Stück Köttbullar mit Kartoffelpüree, Erbsen und Preiselbeeren um 4,99 Euro verweigert und sich an Decke Gurli, Lampe Lersta und Geschirrset Färgrik vorbei ins eigentliche Herz des Möbelhauses drängt. Dort, im zentralen Mitnahmelager, stapeln sich in langen Gängen die Kartons mit den Möbelteilen, aus denen, Geschick und Geduld vorausgesetzt, daheim das entsteht, was im Schauraum ausgestellt ist. Das dafür verwendete Holz stammt zu 60 Prozent aus Osteuropa und Russland. Schon lange vor der Wende war es für die Schweden attraktiv, wenngleich nicht immer unter rühmlichen Voraussetzungen, zeigte sich doch, dass IKEA etwa Möbel aus der DDR bezog, die von politischen Häftlingen gezimmert worden waren. Wer heute herausfinden will, woher sein Möbelstück kommt, stösst auf besagtes Rätsel. Denn auf den Schachteln ist zwar das Herkunftsland vermerkt, nicht aber der Produzent. Neben den 28 IKEA-eigenen Fabriken, von denen sich 21 in Osteuropa befinden, stammt der Grossteil der Ware von mehr als 1.800 Zulieferfirmen aus etwa 50 Ländern. Wer von ihnen was und wo produziert, zählt zu den bestgehüteten Geheimnissen der Branche. Eine fünfstellige Zahl auf den Schachteln bezeichnet zwar intern den jeweiligen Hersteller, das System dahinter bleibt für Aussenstehende aber undurchschaubar. Es grenzt daher meist an ein aussichtsloses Unterfangen, IKEA die konkrete Herkunft des Holzes nachweisen zu wollen, das für einzelne Möbelstücke verwendet wird. Genau das ist aber das Ziel dieser Recherche.

758 Euro gibt jede_r Österreicher_in im Schnitt pro Jahr für neue Möbel aus. Es ist ein gewaltiger Markt, der von der Beraterfirma RegioData auf 5,4 Milliarden Euro geschätzt wird und in dem IKEA ein Phänomen der Superlative darstellt. Denn während die Marktführer XXXLutz und Kika/Leiner mit Preisschlachten um Kunden werben und das Land mit einer Vielzahl von Filialen überziehen, hält der schwedische Konzern mit gerade einmal acht Standorten einen Marktanteil von 16 Prozent und ist die Nummer 3 in Österreich. Pro Quadratmeter Verkaufsfläche verdient er dreimal so viel wie seine Mitbewerber.

IKEA als grösster Holzverbraucher der Welt

Das minimalistische schwedische Design und die Lust am Selberzusammenbauen mögen zwei Gründe für den Erfolg sein. Ein dritter, wohl weitaus triftigerer, wird seltener erwähnt: Es ist IKEAs einzigartige Fähigkeit, aus Bäumen Möbel zu machen, und das so schnell, billig und in rauen Mengen wie keine andere Firma jemals zuvor. Die grösste Möbelkette der Welt ist mit einem Jahresumsatz von 39 Milliarden Euro auch der weltweit grösste Verbraucher von Holz. 60 Prozent aller IKEA-Produkte bestehen daraus. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich der Holzbedarf des Konzerns verdoppelt und stieg 2019 auf 21 Millionen Kubikmeter. Um sich diese Menge vorzustellen, hilft der Vergleich mit einer 80 Quadratmeter grossen Wohnung, die vom Boden bis zur Decke mit Baumstämmen vollgestapelt ist. IKEAs Jahresverbrauch an Holz würde knapp 110.000 solcher Wohnungen füllen. So viele gibt es etwa in einer Stadt wie Linz. Und jedes Jahr steigt der Bedarf um weitere 13.000 solcher mit Holz vollgeräumter Wohnungen. Unsere Geschichte führt dorthin, woher ein Teil dieses Holzes stammt. Sie erzählt davon, unter welchen Bedingungen es geschlagen wird, und beschreibt, was in diesen abgelegenen Gegenden an Gier, Gewalt und Zerstörung geschieht, aber verborgen bleibt. Recherchen mit der renommierten britischen Non-Profit-Stiftung Earthsight, die sich seit Jahren mit Umweltkriminalität beschäftigt, bringen ein Bild zum Vorschein, das dem schwedischen Giganten mit dem coolen Image wenig schmeichelt. Es zeigt die Verwerfungen, die dabei entstehen, wenn der stetig steigenden Nachfrage nach mehr und günstigerem Holz nachgekommen wird.

Dieses Bild steht im Widerspruch zu Fotos von beruhigend wirkenden Wäldern, die der Konzern aktuell in seinen Filialen plakatiert. Auf ihnen ragen Baumriesen in den Himmel und bilden ein grünes Dach, unter dem ein Mann mit Hut, es dürfte wohl ein Förster sein, geruhsam durch das Laub wandert. „Wir arbeiten zusammen für die Zukunft unserer Wälder“, steht darüber. Der Möbelkonzern spricht zuletzt gern und viel von Verantwortung und Nachhaltigkeit, preist seine Kooperation mit dem FSC-Gütesiegel und verbindet damit eine Botschaft: Noch heuer sollen 100 Prozent des von IKEA genutzten Holzes FSC-zertifiziert und damit absolut sauber sein – «forest positive», wie es der Gigant nennt. „Das tun wir“, heisst es auf der Website, „um Abholzungen entgegenzuwirken und auch andere in dieser Hinsicht zu beeinflussen.“ Schöne Worte, die der Wirklichkeit nicht immer gerecht werden.

Das FSC-Gütesiegel (2)

Ausgehend von den 12.000 Artikeln, die IKEA in seinem Sortiment führt, gilt es, einer Spur zu folgen, einen dieser Codes zu knacken und eine Reise anzutreten, die exemplarisch eine solche Lieferkette preisgibt. So führt der Weg in den Norden Rumäniens, in eine Region namens Maramuresch, die für ihre pittoresken Holzkirchen bekannt ist. Am Rande eines Ortes dehnt sich eine Fabrik aus, bemalt im IKEA-typischen Blau und Gelb: Plimob. Schon seit mehr als 30 Jahren produziert die Firma fast ausschliesslich für IKEA. Der Legende nach soll noch dessen Gründer Ingvar Kamprad den Deal mit den Rumänen eingefädelt haben. Seither werden dort Sessel hergestellt, und jede Person, die schon einmal bei IKEA auf der Suche nach solchen war, wird diese kennen. Der Terje etwa, ein simpler Klappstuhl, der seit Jahren für 12,99 Euro angeboten wird, gleicht einer Ikone und zählt zu IKEAs absoluten Bestsellern. 1,5 Millionen Stück davon produziert Plimob jedes Jahr. Hinzu kommen beliebte Esstischstühle wie ‘Norrnäs’, ‘Ekedalen’ oder ‘Ingolf’. Sie alle stehen in österreichischen IKEA-Filialen zum Verkauf und sie alle tragen den Code, der zu Plimob führt. „Made in Romania“ ist auf den Schachteln vermerkt. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit.

Druck aus Schweden, Verborgenes in der Ukraine

Denn Plimob hat ein Problem. Der schwedische Gigant, der steuerlich in Wirklichkeit längst Holländer ist, verlangt, die Produktionskosten niedrig zu halten. Immerhin sollen Stühle als Lockangebote billig bleiben und in gewaltiger Zahl in den weltweit 433 IKEA-Filialen verfügbar sein. Doch selbst in Rumänien, dessen Forstwirtschaft von mafiösen Strukturen durchzogen ist, steigen die Kosten. Der dortige Raubbau an den Wäldern hat in letzter Zeit Widerstände geweckt, sodass Holz in rauen Mengen zu günstigen Preisen rarer geworden ist. Eine gut verborgene Antwort auf die Not zeichnet sich beim Blick aus den Fabrikfenstern von Plimob ab. Dort tauchen im Norden dicht bewaldete Berge am Horizont auf. Es sind die Karpaten, und sie liegen nur ein paar Kilometer Luftlinie entfernt. Dazwischen plätschert die noch junge Theiss dahin, der längste Zufluss der Donau. Sie trennt an dieser Stelle Rumänien von der Ukraine. Eine schmale Brücke führt über den Fluss.Täglich überqueren sie von Laster vollbeladen mit Buchenholz, das zur Endfertigung von Sesseln bei Plimob landet. Folgt man den leeren Lkw zurück in die Ukraine, endet die Fahrt nur 18 Kilometer von der Plimob-Fabrik in einem verschlafenen Städtchen namens Welykyj Bytschkiw. Alles hier wirkt sogleich wilder, ein wenig verwahrloster und auch ärmer als auf der anderen Seite, im EU-Land Rumänien.

VGSM heisst die ukrainische Möbelfabrik, zu der die Lastwagen fahren. Bis 1998 stand sie direkt im Besitz der IKEA-Firma Swedwood, die sie nach Fällen von Korruption zusperrte. Als ukrainisches Unternehmen wiedereröffnet, arbeiten heute dort 400 Mitarbeiter_innen in zwei Schichten. Eine Drohne, die von den Forscher_inne_n von Earthsight in die Luft gebracht wird, kreist über dem Areal der Firma und filmt Lager voller Buchenstämme. 40.000 Kubikmeter Holz pro Jahr machen VGSM zu einem der grössten Verarbeiter der Region. Earthsight zugänglich gemachte Zolldokumente, die auch Addendum vorliegen, zeigen, dass fast die gesamte Produktion der Fabrik ultimativ für IKEA bestimmt ist. Ein Teil des Holzes geht direkt an den Schweden. Die grösste Menge nimmt aber den Umweg über Rumänien und Plimob, bevor es in Form von Sesseln „Made in Romania“ in die IKEA-Filialen gelangt. Die Daten belegen, dass Plimob jedes Jahr zwei Millionen Stühle an IKEA liefert. Die Hälfte des dafür genutzten Holzes stammt von VGSM und damit aus ukrainischen Wäldern.

Illegaler Einschlag mit System

So führt der Weg weiter über enger und steiler werdende Strassen hinauf in die Waldkarpaten. Huzuler Alpen wird dieser Teil des Gebirges auch genannt, der einer der letzten grossen Lebensräume für eine schrumpfende Zahl an Bären, Luchsen und Wölfen ist. In dieser abgelegenen, von der Welt vergessenen Gegend voll tiefer Wälder und bis zu 1.900 Meter hoher Gipfel finden viele vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten ein letztes Refugium. Die Karpaten beherbergen zwei Drittel der verbliebenen Urwälder unseres Kontinents und sind damit als Stabilisator für Europas Klima von besonderer Bedeutung. Die Schönheit und Unberührtheit dieser Wälder zeigt sich, als von einer schwer zugänglichen Stelle, die erst nach einem langen Fussmarsch erreicht ist, erneut die Drohne aufsteigt. Anfangs filmt sie wuchernde Wildnis, bis das Bild auf dem Display jäh bricht. Wie eine klaffende Wunde tritt eine braune, gerodete Fläche aus dem intakten Band von Baumkronen. Die Drohne verharrt über dem Gebiet, zeigt Baumstümpfe und Forstwege inmitten der Wildnis. Es ist die Stätte einer illegalen Rodung. Von dort gingen die geschlagenen Buchen direkt an den IKEA-Zulieferer VGSM. Das belegen Recherchen von Earthsight, die in mühevoller Kleinarbeit fast zwei Jahre dem Weg des verwendeten Holzes folgten. Das Ergebnis ist ein langes Protokoll der Missstände und illegalen Eingriffe in die Natur. Schon in einer ersten Studie konnte Earthsight 2018 durch umfangreiche Untersuchungen belegen, dass bis zu 40 Prozent des in der Ukraine geernteten Holzes illegalen Ursprungs ist und besonders sogenannte „Sanitärhiebe“ als Schlupfloch dienen. Die staatlichen Forstgesellschaften, die fast alle Wälder des Landes unter ihrer Kontrolle haben, verstossen dabei systematisch gegen Auflagen.

Zu den schwerwiegendsten Vorwürfen, die Earthsight im Zusammenhang mit dem IKEA-Zulieferer VGSM dokumentierte, zählen Rodungen während der Ruhezeit der Tiere. Zwischen 1. April und 15. Juni verbietet ein Gesetz sanitären Einschlag, um Tieren wie Pflanzen zumindest in dieser wichtigen Brut- und Vegetationsphase eine Verschnaufpause zu verschaffen. Doch die staatliche Umweltinspektion der Ukraine identifizierte für das Jahr 2018 in diesem Gebiet allein 109 illegale Rodungen während der Ruhezeit. Manche davon nahm VGSM als Konzessionsnehmer der Staatsforste selbst vor. Andere wurden von der regionalen Forstgesellschaft durchgeführt und ein Teil des Holzes später an VGSM verkauft. Obwohl dieser Einschlag, wie die Umweltinspektion feststellt, illegal ist, stellten die Staatsforste Genehmigungen dafür aus. Als vorgespiegelter Grund dienen oft vermeintliche Sturmschäden, die die Forstgesellschaft auch in diesem Fall anführt. So gelingt es, das Holz trotz des Verbots aus den Wäldern zu holen, mit Papieren zu versehen und es damit für Verarbeitung und Verkauf zu legalisieren. 2018 lieferte VGSM mehr als 3.827 Tonnen Holz an Plimob – auch während und nach der Ruhezeit. Zahlen für 2019 zeigen, dass die „Stürme“ anscheinend auch in diesem Jahr erneut heftig tobten und eine Wiederholung der Rodungen in der Ruheperiode ermöglichten, was annähernd zur selben Menge an geschlagenem Holz führte. Und selbst im Frühjahr 2020 konnte nicht einmal das Coronavirus die Holzfäller daran hindern, allein zwischen April und Anfang Mai an 33 verschiedenen Stellen illegalen Einschlag in der Ruhezeit vorzunehmen.

Dieses Muster der Vorwürfe setzt sich auch ausserhalb der Ruheperiode bei den Holzkäufen des IKEA-Zulieferers VGSM von den regionalen Staatsforstbetrieben fort. Eine von Earthsight kommissionierte Studie über den Sommer 2019 zeigt, dass sie in sechs von zehn Fällen gegen Auflagen verstiessen. Das Protokoll dieser Studie reicht von unbegründeten Sanitärhieben über Einschlag ausserhalb markierter Zonen bis zum verbotenen Abtransport der Stämme durch Flussbetten, was diese zerstört zurücklässt. Man braucht gar kein allzu überzeugter Naturschützer sein, um zu erkennen, dass ein solches Verhalten diesen Lebensraum langfristig gesehen vernichten wird.

Christoph Lehermayr, Journalist

  1. Dieser Artikel gehört zum Projekt «Holzmafia» der Internetzeitung Addendum (addendum.at) und wurde dort am 23. Juni 2020 als 10. Teil einer 10-teiligen Recherche erstmals veröffentlicht. Der Autor wurde bei seinen Recherchen von Mitgliedern des EBF-Ukraine tatkräftig unterstützt.
  2. Das FSC-Siegel des Forest Stewardship Council (eine internationale Non-Profit-Organisation) soll gewährleisten, dass das verwendete Holz aus nachhaltiger und umweltgerechter Waldbewirtschaftung stammt.

KASTEN

Umweltskandal in der Ukraine durch eine Schweizer Firma Nicht nur der schwedische Weltkonzern IKEA profitiert von illegalen Kahlschlägen in den letzten Urwäldern Europas, sondern auch die Swiss Krono Holding AG mit Sitz in Luzern. Dieses Schweizer Unternehmen stellt in der Ukraine Holzspanplatten her und verpestet die Umwelt mit dem hochgiftigen Formaldehyd. In der Umgebung häufen sich die Krebsfälle. Ein Ja zur Konzernverantwortungsinitiative am 29. November schafft die Grundlage, um juristisch gegen solche Unternehmen vorgehen zu können. Die betroffenen Menschen vor Ort brauchen unsere Unterstützung. Für mehr Informationen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung: ch@forumcivique.org.