KRIEG IM IRAK: Kann man ein Volk befreien, indem man es unterwirft?

von Sohair Mohidin (Paris), 17.06.2003, Veröffentlicht in Archipel 106

Das ist eine der Fragen, die man sich in der arabischen Welt und in Antikriegskreisen in der ganzen Welt stellt. Es genügt, heute einen Blick auf das Leben der irakischen Bevölkerung zu werfen, um eine Antwort zu erhalten.*

Unter amerikanischer Militärbesetzung herrscht allgemein Verzweiflung. Aber trotz dieser Verzweiflung demonstrieren die Iraker gegen die amerikanische Präsenz und zeigen sogar einem Blinden, dass sie diese Besetzung nicht wollen.

Ein anderes Zeichen für diese Ablehnung ist die Ermordung des Schiitenführers Abdel Majid Al Khouy in der Stadt Al-Najaf nach seiner Rückkehr aus dem Exil auf einem amerikanischen Panzer. Weder die Iraker noch die arabischen Völker wollen sich zum Narren halten lassen.

Die Iraker sind sich des Grauens dieses Krieges und der kurzfristigen Folgen sowie der Tatsache bewusst, dass die Amerikaner nicht für einen Übergang zur Demokratie in den Irak eingefallen sind. Ganz im Gegenteil, es handelt sich um eine Form von Neokolonialismus, der zum Ziel hat, die Einheit des Territoriums und der Bevölkerung zu zerstören, die Reichtümer zu plündern und das Land zu einer einfachen Kolonie zu degradieren. Die arabische Welt sieht darin auch die Verstärkung der Expansionsgelüste Israels und letztendlich der Existenz selbst dieses Staates als militärische und wirtschaftliche Macht, zum Nachteil der arabischen Völker.

Was hat der "amerikanische Segen" dem irakischen Volk gebracht? Das Ende der Diktatur? Natürlich, aber was ist mit dem Chaos, das das Land ruiniert? Nichts! Die Amerikaner profitieren von dem Chaos und verschärfen es noch: Diebstähle in Museen, Ministerien und anderen Institutionen, willkürliche Schießereien, Entführungen von Frauen gehören zum Alltag aller Iraker. Es herrscht eine allgemeine Verunsicherung, die an der gesamten Gesellschaft nagt.

Die öffentlichen Einrichtungen funktionieren nicht mehr, weil sich die Amerikaner vorläufig weigern, auf ehemalige Kader der Baas-Partei zurückzugreifen. Mit zwei Millionen Funktionären, die bisher für die Verwaltung des gesamten öffentlichen Sektors verantwortlich waren, stellen sie jedoch einen wichtigen Bestandteil der irakischen Bevölkerung dar. Vor den Augen der ganzen Welt spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab: Mangel an Trinkwasser, Nahrungsmitteln, Elektrizität, Medikamenten – alles verschwindet, um einer Politik gerecht zu werden, die dem irakischen Volk diese neue Realität aufzwingen will.

Die Rückkehr der in den Augen der Bevölkerung "korrupten" irakischen Opposition, die mit den Amerikanern, die sie hervorgebracht haben, "kollaboriert", ist noch ein weiteres Unglück für das irakische Volk. Wie der Oppositionsführer Achmed Schalabi werden diese Söldner zur Aufteilung des Landes beitragen und unter dem Vorwand, die Ruhe wieder herzustellen, bewaffnete Milizen auf die Beine stellen.

Die wirkliche Rolle dieser Milizen ist es, Volksaufstände gegen die amerikanische Besetzung niederzuschlagen und das Land in einem Blutbad zu ertränken.

Die Amerikaner führen auch einen anderen Krieg an einer anderen Front: die Desinformation. Sie profitieren davon, dass die Iraker von der Welt abgeschnitten sind. Wie die Israelis in den achtziger Jahren mit Hilfe der libanesischen Phalangisten schufen sie eine Fernsehstation mit Namen "Middle-East TV". Ihr Ziel: Gehirnwäsche, um die Iraker zur Kollaboration mit den "Befreiern" zu bewegen.

Das ist der Irak von heute, frei von der Diktatur, von den USA kolonisiert.

Es ist sehr traurig zusehen zu müssen, wie das von der UNO verkörperte internationale Recht zu Grabe getragen wird. Es ist eine Schande für die internationale Gemeinschaft, diese Prostitution zuzulassen, die auf Einseitigkeit und der Verletzung der Souveränität anderer Staaten basiert, jedes Mal mit einem anderen Vorwand. Die arabische Nation fühlt sich in ihrer kulturellen und geopolitischen Existenz bedroht. Es stellt sich heraus, dass demnächst in Syrien und/oder Iran und/oder Libanon nach Massenvernichtungswaffen gesucht werden soll...

Welche Lehren kann man aus diesem Akt extremer Demokratie der USA ziehen? Keine. Denn es gibt keine Hinweise darauf, wann die Amerikaner ihren nächsten "heiligen Krieg" führen werden. Die terroristischen Attentate in Riad gegen von Amerikanern, Briten und anderen Ausländern bewohnte Siedlungen beinhalten eine klare Botschaft an die saudiarabische Regierung und die USA. Man könnte sie so interpretieren: "Wir wollen Eure Präsenz nicht auf unserem Territorium und in unserer Region".

Die Reaktion der arabischen Nation auf die militärische Besetzung des Irak, die Unterdrückung der Meinungsfreiheit, dieselbe Unterdrückung freien Denkens unter den totalitären arabischen Regimes, die Situation in Palästina, die sich unter der kolonialistischen und repressiven Offensive Israels weiter verschärft: Dies alles trägt zum Zorn des arabischen Volkes bei. Die Perversität der US-Politik im Nahen Osten nährt einen Hass gegen den Westen und einen nie dagewesenen Extremismus.

Die arabischen Völker wollen aus der Dunkelheit ins Licht treten. Wie alle anderen Völker der Welt werden sie dazu fähig sein, weil sie nach Freiheit und Demokratie streben und die nötige Kraft dazu haben, ohne die Hilfe der USA.