LANDWIRTSCHAFT: Agrarpolitik und Widerstand

21.01.2006, Veröffentlicht in Archipel 133

Die Landwirtschaft läuft Gefahr, aus Europa zu verschwinden und mit ihr die Bäuerinnen und Bauern. Den meisten Menschen ist Agrarpolitik etwas völlig Unverständliches, doch sie betrifft uns alle, denn sie bestimmt die Erzeugung der Lebensmittel. Deshalb ist es mir wichtig, unsere Anliegen einem nichtbäuerlichen Publikum zu erklären, einem Publikum das politisch interessiert und engagiert ist.

Ich bin Bergbäuerin in Kärnten und wurde vor 18 Monaten auf Vorschlag der ÖBV* in den Vorstand der CPE (Coordination Pay-sanne Européenne ) gewählt. Die CPE besteht seit knapp zwanzig Jahren und vereinigt 25 bäuerliche Organisationen aus 15 europäischen Ländern. Diese Organisationen sind sehr unterschiedlich: Einige große Gewerkschaften, wie die Conféderation Paysanne in Frankreich, sind dabei, aber auch kleine Organisationen mit nur einigen hundert Mitgliedern. Allen gemeinsam ist die Ablehnung der Gentechnik in der Landwirtschaft und die kritische Haltung gegenüber der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP). Wir verteidigen die Interessen der kleinen und mittleren Bauernhöfe, die immer noch die Mehrheit in Europa ausmachen und auch die meisten Arbeitsplätze stellen. Da diese Höfe aber nicht reich sind, ist auch die CPE nicht reich. Wir haben drei Angestellte in Brüssel, sonst wird alle Arbeit ehrenamtlich erledigt. Die CPE ist Gründungsmitglied von Via Campesina, dem weltweiten Dachverband der Kleinbauern, Landlosen und LandarbeiterInnen mit 200 Millionen Mitgliedern auf vier Kontinenten.

Rückblick

Um die GAP zu erklären muss ich 1945 beginnen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lag Europa am Boden, so auch die europäische Landwirtschaft. Mit dem Marschallplan kamen aus den USA Nahrungsmittellieferungen. Damit Europa sich wieder selbst ernähren könne, wurde 1956 in den Verträgen von Rom erstmals die Produktivitätssteigerung als Ziel einer gemeinsamen Agrarpolitik festgelegt. Auch als Anfang der 1970er Jahre die Selbstversorgung erreicht wurde und die landwirtschaftliche Überproduktion einsetzte, wurde die Produktivitätssteigerung nicht aufgegeben. Man übernahm dieses Ziel wortwörtlich aus den Verträgen von Rom sogar noch in den europäischen Verfassungsvertrag, den die französische und niederländische Bevölkerung dann ablehnten.

Die Europäische Gemeinschaft legte in ihrer ersten GAP im Jahr 1962 Gemeinschaftspräferenzen für Getreide, Milch, Rindfleisch und Zucker fest. Das bedeutet, dass diese vier Produktionssparten durch Zollschranken vor Billigimporten geschützt sind und den Bauern garantierte Erzeugerpreise sichern. Andere Produktionszweige blieben von dieser bevorzugten Behandlung ausgeschlossen. Die USA und die europäische Futtermittelindustrie konnten damals durchsetzen, dass Futtermittel ohne Zollschranken nach Europa importiert werden, zu viel niedrigeren Preisen, als die europäischen Bauern diese produzieren. Die Futtermittel, insbesondere Soja, kommen per Schiff nach Europa. Deshalb konzentrierte sich die Tierproduktion in den folgenden Jahren in einigen Hafengebieten, wie etwa um Rotterdam und in der Bretagne. In der Bretagne werden heute auf nur 6 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Frankreichs 50 Prozent der Eier, des Schweinefleisches und andere Tierprodukte mit Importfutter hergestellt. Die Verseuchung des Grundwassers und des Meeres durch Überdüngung sind die Folgen. Die nicht bodengebundene Tierhaltung breitet sich in den Gunstlagen aus, die Kühe bleiben im Stall und fressen importiertes Viehfutter. Bis heute ist Europa bei den Eiweißfuttermitteln, insbesondere Soja, zu 70 Prozent von Importen abhängig.

Produktivitätssteigerung und Intensivierung der Landwirtschaft sind die Ziele der GAP. Das Prinzip „Wachsen oder Weichen“ wird zur Doktrin erhoben, die Berggebiete leeren sich. Der Import billiger Futtermittel ist der Grundstein für das Ungleichgewicht in der Landwirtschaft Europas. Die EG erkennt dies und versucht zwischen 1964 und 1987 fünfmal Einfuhrzölle auf Ölpflanzenimporte zu erheben. Die Futtermittelindustrie und die USA ersticken diese Versuche im Keim. Als die EU Anfang der 1990er Jahre ihre Ölpflanzenproduktion steigert, wird sie von den USA geklagt und vor dem GATT verurteilt. Die Gemeinschaftspräferenz für Getreide und die billigen Futtermittelimporte führen zu Überschüssen, die auf dem Weltmarkt unter dem Produktionswert abgesetzt werden. Obwohl dies nur 10 Prozent der europäischen Landwirtschaftsproduktion betrifft, senkt die EU unter Verwendung des Weltmarktarguments in der GAP-Reform von 1992 die Erzeugerpreise und gleicht die Einkommensverluste der Bauern durch Direktzahlungen und Exportsubventionen aus. Da die Direktzahlungen an die Fläche gebunden sind, begünstigt diese Reform eine weitere Konzentration der landwirtschaftlichen Betriebe, denn die Bauern versuchen natürlich, ihre Anbauflächen zu vergrößern. Großbauern bekommen hohe Förderungen, Kleinbauern ein Almosen. 20 Prozent der Großbetriebe erhalten 80 Prozent der europäischen Landwirtschaftssubventionen. Man sagt uns Kleinen immer, wir müssten uns vergrößern und wettbewerbsfähig werden. Aber warum brauchen die großen, die ja angeblich wettbewerbsfähig sind, dann soviel Subventionen? Die Verteilung der Subventionen ist völlig ungerecht, ganze Produktionssparten wie Grünland, Wein, Obst und Gemüse bleiben davon ausgeschlossen.

Wer profitiert?

Welche Interessen stehen hinter dieser Landwirtschaftspolitik? Es ist die Futter- und Lebensmittelindustrie, es sind die großen Supermarktketten, die von niedrigen Erzeugerpreisen profitieren. Nestlé und Coca Cola haben ein Interesse, Rohstoffe wie Milch und Zucker billig einzukaufen. Die europäischen KonsumentInnen haben nichts davon, denn obwohl die Produktionspreise in den vergangenen 30 Jahren um 40 Prozent gefallen sind, wurde es für sie letztlich nicht billiger, im Gegenteil, seit dem Jahr 2000 steigen die Lebensmittelpreise. Auch Bäuerinnen und Bauern haben nichts davon, denn ihre Einkommen sinken trotz hoher Subventionen. Ein einfach denkender Mensch würde vorschlagen: Die landwirtschaftliche Produktion reduzieren, keine Grundnahrungsmittel, die woanders billiger hergestellt werden, exportieren, die Produktion umweltgerechter gestalten, und dann brauchen wir uns ja nicht um die Weltmarktpreise zu kümmern. Würden wir den Import von Eiweißfuttermitteln senken und zur bodengebundenen Tierhaltung zurückkehren, also die Kühe draußen weiden lassen, wäre das gesünder für die Kühe und die Produktion würde von alleine sinken. Aber das ist wohl zu einfach. In Brüssel hat die Lebensmittelindustrie ihre Lobbyisten, sie nehmen Einfluss auf die Kommission, jedenfalls mehr Einfluss als die CPE. Diese Leute haben das nötige Kleingeld, um sich dort Apartements zu leisten und Lobbyisten zu zahlen. Für sie geht die Rechnung jedenfalls auf.

Mit der letzen GAP-Reform vom Juni 2003, auch „Verträge von Luxemburg“ genannt, wird sich das Bauernsterben noch beschleunigen. In der EU-15 wurden jährlich 200.000 Höfe aufgegeben, in der EU-25 werden es ungefähr 600.000 sein. Mit der Reform versucht die EU, Verurteilungen durch die WTO zu verhindern, die das europäische System der Agrarförderungen nicht akzeptiert. Außerdem will die EU den europäischen Binnenmarkt mit dem Weltmarkt verschmelzen. Kernstück der Reform ist die weitere Senkung der Erzeugerpreise und die Entkoppelung der Förderungen von der Produktion. Was bedeutet das? Die Bauern mit hohen Förderungen vor 2003 bekommen weiterhin hohe Förderungen, müssen aber nicht mehr dasselbe produzieren oder auch gar nicht mehr produzieren. Die Verteilungsungerechtigkeit bleibt. Mit dieser Reform versteckt die EU ihre Agrarförderungen in WTO-genehmen Töpfen, die angeblich nicht wettbewerbsverzerrend sind. Die entkoppelten Betriebsprämien akzeptiert die WTO, die Exportstützungen sollen nach und nach ganz abgeschafft werden. Wir sind jedoch der Meinung, dass sich gegenüber früher nicht viel geändert hat: Die hoch subventionierte Landwirtschaft des Nordens zerstört, wenn sie zu Dumping-Preisen exportiert, weiterhin die Produktion und die Märkte des Südens, wo es diese Subventionen für die Landwirtschaft nicht gibt. Ob man das nun Exportstützungen oder Betriebsprämien nennt. Zweitens werden mit dieser Reform die Erzeugerpreise weiter gesenkt. Das erleben wir jetzt bei der Milch, wo es in ganz Europa Protestaktionen gibt. Insbesondere die Bauern, die investiert haben, die Schulden zurückzahlen müssen, können mit dem niedrigen Milchpreis nicht überleben und gehen in Konkurs. In einer zweiten Phase der Reform werden die Direktzahlungen Schritt für Schritt abgebaut. Gleichzeitig bringt Tony Blair im Streit um das EU-Budget für 2007 bis 2013 das Argument ins Spiel, die Ausgaben für Landwirtschaft seien mit 40 Prozent des EU-Budgets zu hoch, diese Subventionen müssten abgeschafft werden. Ein sehr demagogisches Argument, denn neben der Agrar- und Regionalpolitik hat die EU ja keine Gemeinschaftspolitiken, deshalb ist diese Relativzahl so hoch. In absoluten Zahlen entspricht das Agrarbudget der EU dem Militärbudget Frankreichs.

Wir müssen befürchten, dass die EU nach 2013 ihren Agrarhaushalt stark reduziert. Da die Höfe heute völlig abhängig von Subventionen sind, wäre das das Ende für die meisten Bäuerinnen und Bauern. Die Landwirtschaft in Eu-ropa ist wirklich bedroht. In den laufenden WTO-Verhandlungen dient sie als Wechselgeld: Wir geben die Landwirtschaft auf, wir senken unsere Zollschranken und lassen Produkte aus Brasilien, Indien und China herein, dafür öffnet ihr eure Grenzen für europäische Industriegüter und Dienstleistungen. Damit ist für die exportorientierte Wirtschaft Europas das bessere Geschäft zu machen.

Weltweite Konkurrenz

Im Januar war ich in Brasilien auf einem Seminar, wo wir uns mit der Frage beschäftigt haben, wie Regeln für gerechten Welthandel aussehen müssten. Bei einer Exkursion haben wir mit Bauern in Paraná diskutiert. Sie bringen zwei Ernten ein: Soja im Sommer und Weizen im Winter. Die Tiere weiden das ganze Jahr über draußen und brauchen keinen Stall. Gleichmäßig übers Jahr verteilt fallen 2000 ml Niederschläge. Natürlich können sie dort das Rindfleisch billiger produzieren als wir in Österreich. Auf der Exkursion waren auch Bauern aus Senegal, die haben dazu gar nichts mehr gesagt, denn in ihrem Land fallen, wenn es überhaupt regnet, im Jahresdurchschnitt 200 bis 300 ml Niederschläge. Wir sollten die Sonne und den Regen wegen unlauterem Wettbewerb vor der WTO verklagen. Noch dazu bieten sie ihre Leistungen an, ohne dass jemand dafür zahlen muss.

Die Landwirtschaft in den verschiedenen Erdteilen miteinander in Konkurrenz setzen zu wollen, ist eine völlig wahnsinnige Idee. Die Höfe im Norden und im Süden werden so zerstört. Übrig bleiben einige spezialisierte Großbetriebe, die ihre Produktion dorthin verlagern, wo sie die kostengünstigsten Bedingungen vorfinden. Man verlangt ja auch nicht von einem Schweizer Arzt, er solle für das Gehalt eines indischen Arztes arbeiten. Hier sind die Lebenshaltungskosten ja viel höher. Das ist es aber, was die WTO und diese ganze neoliberale Ideologie anstreben. Der weltweite Wettbewerb soll angeblich den Wohlstand für alle vergrößern. Wir beobachten seit Jahren das Gegenteil. Das ist genauso eine Lüge, wie die, dass Wirtschaftswachstum Arbeitsplätze schafft. Für die industrialisierten Länder stimmt das schon lange nicht mehr, denn mit dem technologischen Fortschritt werden immer mehr Arbeitsplätze abgebaut.

Widerstand

Nun möchte ich über die Widerstandsstrategien sprechen. In unserer Gemeinde Eisenkappel im Süden Österreichs an der Grenze zu Slowenien hatten die Bäuerinnen und Bauern sehr viel Angst vor dem EU-Beitritt. Es herrschte das Gefühl: Nun geht es uns an den Kragen. Deshalb haben wir vor zehn Jahren einen Verein gegründet, die Coppla Kaša , um unsere Produkte gemeinsam direkt zu vermarkten und unabhängig von Großhändlern zu werden. Bei uns in der Gemeinde kommt auf zwanzig Einwohner ein Bauernhof, im österreichischen Durchschnitt sind es 40 Einwohner, und in Frankreich, das die Segnungen der europäischen Agrarpolitik schon seit über 40 Jahren genießt, sind es etwa 100 Einwohner pro Hof. Wir haben also bei uns noch eine hohe Dichte an Höfen. Durch die Selbstvermarktung haben wir den direkten Kontakt zu unseren Kunden. Sie kennen unsere Höfe, sie wissen, wie wir arbeiten und sie kaufen bei uns ein, um uns zu unterstützen. Es hat keinen Sinn, Bioprodukte im Supermarkt zu verkaufen. In der Schweiz kostet dort das Kilo Biokartoffeln CHF 2,60, davon bekommt der Bauer CHF 0,50, also weniger als 20 Prozent. Damit fallen wir in die gleiche Logik wie die konventionelle Landwirtschaft: Die Konkurrenz führt zu Preissenkungen, wir haben schon Dumping-Angebote für Bioprodukte in den Supermärkten. Die Alternative lautet: Märkte außerhalb der Supermärkte und der Weltmarktlogik schaffen. Beispiele gibt es schon viele, wie etwa die AMAPs (Association pour le maintien des paysans ) in Frankreich. 130 Familien nehmen die Produktion eines Gemüsebauern ab, sie bekommen jede Woche ein Gemüsepaket und zahlen im Voraus, teilen also mit dem Bauern das Produktionsrisiko. Wir müssen diese Art von solidarischen Märkten schaffen. Das ist die eine ganz konkrete Ebene, auf der man etwas tun kann.

Ernährungssouveränität

Damit wollen wir unsere Politiker und Regierungen jedoch nicht aus der Verantwortung entlassen. Wir fordern sie auf, die Agrarpolitik auf der Grundlage der Ernährungssouveränität neu zu konzipieren. Via Campesina hat dieses Konzept 1996 entworfen. Ich möchte den Begriff Ernährungssouveränität erklären, weil ihn heute schon viele Leute benutzen, die, wie mir scheint, nicht richtig verstanden haben, was er bedeutet. Ernährungssouveräntät ist ein Recht, das allen Ländern und Zusammenschlüssen von Ländern, so auch der EU, zusteht. Sie haben das Recht, die Art ihrer Landwirtschaft und Ernährung selbst zu bestimmen. Das Recht, die Inlandsproduktion und die Märkte mit effektiven Zollschranken gegenüber Billigimporten zu schützen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was WTO, Weltbank und FMI erzwingen wollen. Zollschranken sind für die ärmeren Länder die einzige Möglichkeit, ihre Landwirtschaft zu schützen, denn sie haben nicht soviel Geld wie EU und USA, die ihren Bauern Milliarden hinwerfen. Wir fordern außerdem ein Verbot von Exporten zu Dumping-Preisen, also zu Preisen, die unter den Produktionskosten liegen. Die EU und die USA müssen ihre Produktion von Grundnahrungsmittel auf den Eigenbedarf beschränken. Die intensive Produktion soll durch sozial- und umweltverträgliche Landwirtschaft ersetzt werden. Die lokalen und regionalen Märkte sind gegenüber dem Welthandel zu bevorzugen. Die Erzeugerpreise müssen die Produktions- und Arbeitskosten decken. Wir Bäuerinnen und Bauern wollen vom Verkauf unserer Produkte leben und nicht von Subventionen.

Da die WTO eine weitere Öffnung der Agrarmärkte und eine Liberalisierung des Welthandels anstrebt, treten die CPE und Via Campesina dafür ein, dass Landwirtschaft sowie öffentliche Dienste aus den WTO-Verhandlungen herausgenommen werden. Wir bemühen uns um ein Scheitern der WTO-Ministerkonferenz im Dezember in Hongkong.

Heike Schiebeck CPE

Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, den die Autorin am 18.9.2005 in Les Rasses auf der Sommerakademie von ATTAC Schweiz gehalten hat.

*ÖBV - Österreichische Bergbauern und Berbäuerinnen Vereinigung – Via Campesina Austria