LANDWIRTSCHAFT: Am Saatgutfestival Open seeds

von Marion Henry, Longo maï, 16.07.2014, Veröffentlicht in Archipel 228

Anfangs Mai 2014 nahm ich am internationalen Saatgutfestival teil, das dieses Mal am neuen Standort von Kokopelli, dem Mas d’Azil in der Ariège in Frankreich stattfand.

Zur Erinnerung: Der Verein Kokopelli macht sich die «Befreiung des Saatguts und des Humus» zur Aufgabe. Dafür sammelt und beschreibt er unzählige alte, rustikale Gemüse- und Gartenpflanzen und vertreibt das Saatgut dieser Sorten sowie das Wissen um dessen Herstellung und um agro-ökologische Anbauweisen. Da das von Kokopelli verbreitete Saatgut nach französischem Gesetz als illegal gilt, ist der Verein seit Jahren in mehrere Prozesse verwickelt. Diese Existenz bedrohenden Prozesse konnten auch als Tribüne genutzt werden, um ein breites Publikum über die Gefahr zu informieren, welche die französische Saatgutgesetzgebung für die Biodiversität, die Nahrungsmittelsouveränität und das traditionell verankerte Wissen über Pflanzenzucht bedeutet. Die verheerende französische Gesetzgebung dient der europäischen Gesetzesreform zum Vorbild.
Der Vorschlag, das internationale Saatgutfestival dieses Mal in Frankreich bei Kokopelli zu veranstalten, kam vom griechischen Verein Peliti. Er wollte damit bewirken, dass die Entscheidung Kokopellis, «illegales» Saatgut zu verbreiten, weltweite Solidarität erfährt. Peliti könnte man als den griechischen Cousin Kokopellis bezeichnen, auch wenn die Beiden bei ihrer Gründung nichts von einander wussten.
Die Griech_innen von Peliti hatten in den Jahren 2012 und 2013 ein internationales Treffen im Rahmen ihres jährlichen panhellenischen Saatgutfestivals veranstaltet. Die Idee dazu wurde am Treffen Free our seeds geboren, das 2011 vom EBF mitorgansiert wurde, um gegen die restriktiven Reformvorschläge der europäischen Saatgutgesetzgebung zu protestieren. Die Delegation von Peliti hatte sich in einer Karawane von ca. 40 Personen vorwärts bewegt, um zu Kokopelli zu gelangen. Viele Griech_innen, aber auch Italiener_innen, Portugies_in-nen, Rumän_innen und Vandana Shiva aus Indien waren dabei. Die Reise dauerte fünf Tage und jede Etappe wurde stark mediatisiert, um wieder und wieder auf die Gefahren hinzuweisen, welche die immer noch in Veränderung begriffene europäische Gesetzgebung für das Saatgut birgt. Lieder und Tanz waren ständige Be-gleiter_innen, denn die Griech_in-nen reisen nie ohne Musik, und jede Zusammenkunft wurde zum Anlass für ein Fest.

Austausch und Koordination Die ersten zwei Tage des Treffens waren dem internationalen Austausch zwischen aktiven Gruppen verschiedener Länder gewidmet: Kokopelli aus Frankreich und der Schweiz, Peliti aus Griechenland, Navdania aus Indien und Italien, Arche Noah aus Österreich, Campanha das sementes livres aus Portugal, Tierra Humana aus Kolumbien und andere. Die zwei folgenden Tage waren für ein breiteres Publikum bestimmt mit verschiedenen pädagogischen Workshops wie Saatgutherstellung, agro-ökologische Anbauweisen, Imkerei…und einer grossen Saatgutbörse. Vandana Shiva gab eine Konferenz, bei der 500 Interessierte anwesend waren. Die Arbeit der ersten zwei Tage bestand darin, Wege zu suchen, die Wirkung der lokalen Protest- und Widerstandsaktivitäten durch bessere Koordination und punktuelle gemeinsame Aktionen auf europäischer Ebene zu verstärken. In Griechenland und auch in manchen anderen Ländern ist es der breiten Öffentlichkeit so gut wie unbekannt, in welchem Ausmass die freie Produktion und Verbreitung von Saatgut gesetzlich behindert wird. Es gab auch Überlegungen, wie man zu dem unerbittlichen Lobbying der multinationalen Agro-Industrie in den europäischen Instanzen ein Gegengewicht aufbauen könnte. Doch wie man es auch dreht und wendet, der Wettstreit wird sicher höchst ungleich zwischen den Chemo- und Agro-Industriegiganten auf der einen Seite, die enorme Finanzmittel und unzählige Vertreter_innen in Brüssel einsetzen, und den kleinen engagierten Vereinen auf der anderen Seite. Doch, wie Vandana Shiva erinnerte, klein ist nicht gleichbedeutend mit ineffizient: «Denken wir doch nur an das nervtötende und Schlaf raubende Geräusch einiger, weniger Mücken.» Die Idee war lanciert und wurde auch von einigen Anwesenden konkreter gefasst: die Allianz «Seed freedom Europe» steckt sich zum Ziel, unsere Ideen unter den europäischen Parlamentar-ier_innen zu verbreiten und ein Sprachrohr für die europäische Öffentlichkeit zu bieten.

Eine gemeinsame Idee Doch was beinhalten unsere gemeinsamen Überzeugungen eigentlich? Die am Treffen anwesenden Gruppen haben zum Teil unterschiedliche Hintergründe, Sichtweisen und Aktionsformen. Eine Idee einigt jedoch alle: Wir fordern das Recht, Saatgut öffentlicher Sorten weiterzuproduzieren und zu verbreiten und lehnen jegliche gesetzliche Einschränkung dafür ab. Dazu ist eine weitere Idee im Umlauf: nach dem Modell des Computerprogramms open source soll das Programm open polinated entstehen. Alle hier aufgelisteten Sorten dürften dann ohne jegliche Einschränkung von jedem gezüchtet, verbessert und verbreitet werden, gratis und ohne Eigentumsanspruch. Dies funktionierte übrigens auch ohne Programm und Computer während Hunderten von Jahren mit allen traditionellen Sorten und niemand stiess sich daran. Die Samen sind das erste Glied der Nahrungsmittelkette. Ihre freie Nutzung durch Gärtner_innen und Bäuerinnen und Bauern ist eine unumgängliche Grundlage für die Sicherung der Nahrungsmittelsouveränität.