LANDWIRTSCHAFT: Das Rad der Ausbeutung dreht sich

von Patrick Herman, 17.02.2007, Veröffentlicht in Archipel 145

Patrick Herman unterrichtete mehrere Jahre in der Region von Paris. Danach zog es ihn in den Süden und er wurde Biobauer. Er engagierte sich lange Jahre in Gewerkschaften und Vereinen und widmete sich auch verstärkt journalistischem Schaffen. *

Die europäische Landwirtschaftspolitik, Krisen durch Überproduktion, wütende Bauern, internationale Verhandlungen, Subventionen… Seit Jahrzehnten berichten die Medien über die Landwirtschaft. Gleichzeitig verursachte die massive Abwanderung in die Städte für die meisten Menschen einen Bruch mit der Landwirtschaft und ihren verschiedenen Formen der Produktion.

Wer kennt noch die Sortenvielfalt in den verschiedenen Regionen, traditionelles Obst und Gemüse? Wer kennt noch deren Reifezeit, in einer Epoche, in der die Leute einen immer geringeren Teil ihres Einkommens für die Ernährung einsetzen? Schon vor dem Abbau der Stahl- und Textilindustrie in Europa spielte sich die grösste sogenannte Restrukturierung eines wirtschaftlichen Schlüsselsektors ab: Mehrere Millionen Bauern mussten seit dem Zweiten Weltkrieg aufgeben – eine Tatsache, die in der breiten Öffentlichkeit bloss auf Gleichgültigkeit stiess. Dieses Bauernsterben war je nach Art der Produktion mehr oder weniger brutal: Während Europa die Produktion von Obst und Gemüse völlig der freien Marktwirtschaft überliess und im allgemeinen die Vergrösserung der Betriebe förderte, schützte es seine wichtigsten traditionellen Produkte (Getreide, Milch, Rindfleisch, Zucker) durch Einfuhrzölle und Exportförderung. Gleichzeitig entwickelten sich die Transportinfrastrukturen, spezialisierte Produktionszonen und der wachsende Einfluss der Grossverteiler. Die ersten Opfer dieser Entwicklung waren das traditionelle System von Polykultur und Viehwirtschaft und der Obstbau ohne Bewässerung im Hinterland. Danach verschwanden die alten Sorten, die seit Generationen von den Bauern gezüchtet wurden; sie wurden als zu wenig produktiv und für den Grossmarkt ungeeignet abgetan, weil sie nicht normiert und standardisiert waren. Schlussendlich verlor auch die bäuerliche Bevölkerung ihre relative Unabhängigkeit, die sie sich im Laufe der Zeit erworben hatte: Der Bauer musste verschwinden; an seine Stelle trat der Landwirt oder der Agrarmanager. Hinter ihm stehen die verschiedenen Zulieferbetriebe, Pestizidlieferanten, Landmaschinenverkäufer, Banken…, die immer steigende Preise diktieren. Danach die Industrie für Konditionierung, Transport und Verteilung, die immer weniger bezahlen. Dazwischen sind die Produzenten als blosse Lieferanten von Rohstoff in Form von Nahrungsmitteln. Im Departement Bouches-du-Rhône (Frankreich) entwickeln sich immer mehr Agrargrossbetriebe; in Andalusien überleben noch teilweise die Kleinbauernfamilien, aber die Logik ist überall dieselbe: die Kosten der Arbeitskraft müssen gesenkt werden! Die Arbeitgeber dosieren ihr System der Arbeitskraft mit verschiedenen, prekären Saisonarbeitsverträgen, doch in ihrem Kalkül ist auch die grosse Reservearmee von arbeitswilligen Illegalen miteingerechnet. Das Rad der Geschichte hat sich gedreht: Es sind jetzt oft ehemalige Emigranten (wie in Andalusien), die den Ton angeben und die heutigen Immigranten für die Landarbeit anstellen. Das Rad dreht sich weiter: Während zum Beispiel in Ecuador Immigranten aus Zentralamerika in den Haziendas der amerikanischen Multis Bananen ernten, wandern die Ecuadorianer nach Spanien, um für ein paar Euro Stundenlohn in den Orangenplantagen zu arbeiten. Einige machen noch einen Umweg nach Südfrankreich für die Pfirsichernte.

Diese Entwicklung zu photographieren, zu beschreiben - leider im Wissen, dass Bilder und Worte noch nie die Welt veränderten - betrachte ich als meine Aufgabe. Es geht mir darum, zumindest das Knirschen des Rades zu Gehör zu bringen, bevor es sich vielleicht eines Tages ganz blockiert.

Patrick Herman

*Er arbeitete unter anderem für Le Monde diplomatique, Politis, Nature et Progrès, Alternatives internationales, Témoingage chrétien, L’Ecologiste.

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch «La Roue, ou la noria des saisonniers agricoles»*, Verlag Khiasma Sud. Der Verein Khiasma verbindet künstlerische Praxis mit Überlegungen über aktuelle Themen (sozial, wirtschaftlich, politisch, wissenschaftlich oder sportlich). Die Aktionen von Khiasma gründen auf dem Prinzip der Beteiligung der Öffentlichkeit. Seine Politik ist die Publikation von Dokumenten, die im Rahmen von Langzeitprojekten realisiert wurden, und das Ausprobieren von neuen Formen politischen Engagements. Die Kollektion Limitrophe vereinigt Beiträge zu den Themen Grenzen und Migration. In diesem Buch treten Zeugen und Autoren in vielfältigen Formen auf: durch Lebensberichte, Photographie, graphische Kreation, Tagebuchaufzeichnungen, Szenarien,

Patrick Herman

*Photos Yohanne Lamoulère, Texte Patrick Herman, 80 Seiten quadri, 17 Euros, (nur auf Französisch), zu bestellen bei: Khiasma Sud, 11 rue des frères Silvy, F-13600 Ceyreste, ab Januar 2007. Kontakt: www.khiasma.net - khiasmasud@free.fr