LAUTSPRECHER:Schließt Minatec!

10.05.2006, Veröffentlicht in Archipel 138

Müssen wir uns mit der permanenten, allgegenwärtigen und hinterhältigen Überwachung abfinden? Müssen wir uns damit abfinden, dass unsere Einkäufe, unsere Bewegungen, unsere Kontakte nachverfolgbar sind – in allen Bereichen unseres täglichen und gesellschaftlichen Lebens? Akzeptieren wir ein Leben, das von Chips kontrolliert wird, die über Radiowellen kommunizieren? Ein Leben, in dem uns Sensoren, biometrische Systeme, «intelligente» Kameras, Unter-die-Haut-Im-plantate und Ausspionierungsgeräte überwachen?

Am 1. Juni 2006 weihen die Atom-Forschungseinrichtung CEA und das INPG (Institut National Polytechnique de Grenoble) - eine Bildungseinrichtung vom Rang einer Universität ein, die mehrere Ingenieursschulen und zahlreiche Forschungslaboratorien umfasst – das Minatec-Zentrum. Aus ihren Laboren, die in diesem neuen Zentrum verbunden sind, kommen die Werkzeuge zur technologischen Kontrolle. In Zukunft wird ihr Output noch verstärkt.

Sind wir gewillt, atomar veränderte Organismen, giftige Nanoteilchen und elektronischen Schund zu schlucken? Angesichts von Rinderwahnsinn, gentechnisch veränderten Organismen, Asbest, Pestiziden und Radioaktivität wissen wir, wohin uns die jüngsten technischen Errungenschaften und die politischen Veränderungen, die sie begleitet haben, führten. Die Entwicklung der Technik-Branche geht Hand in Hand mit der gesellschaftlichen Misere und dem gesundheitlichen Verfall (Krebs, Allergien, Unfruchtbarkeit).

Die Nanotechnologien, die im Minatec entwickelt werden, manipulieren lebendige und leblose Materie bis hinunter auf die Atom-Ebene. Wie beim Spielen mit Legosteinen produzieren sie neue Materialien und neue Moleküle. Sie vereinen Nuklearphysik, Molekularbiologie, Chemie und Informatik, um unsere künftigen Geißeln zu erschaffen. Sie sind der neue Blitzkrieg, den die Technik-Industrie gegen das Leben führt.

Die Nanotechnologie wird uns aufgezwungen wie zuvor die Atomkraft und die gentechnisch veränderten Organismen. Der gleiche Despotismus, die gleichen Übel, die gleichen Ängste ihrer Erzeuger, was unsere Proteste und unser legitimes Misstrauen angeht.

Also, warum applaudieren unsere Entscheidungsträger dann angesichts der Eröffnung von Minatec? Der Grund: Herstellung und Verkauf von Entfremdungs-Maschinen (Telefon, Unterhaltungsportale), Kontroll-Geräten und Tötungs-Maschinen («intelligente» Waffen, Kampfroboter, etc.) bringen Geld ein und schaffen Arbeitsplätze.

Wenn uns noch historisches und politisches Bewusstsein und der kleinste Widerstandsinstinkt bleiben, dann lehnen wir das Minatec und die Nanotechnologie ab. Im Namen der Vernunft und des Herzens lehnen wir uns auf gegen die technologische Flucht nach vorn und die ökologische Zerstörung, gegen das Gewinnstreben: gegen die totalitäre Nanowelt.

Warum wir am 1. Juni 2006 gegen die Einweihung des Minatec in Grenoble demonstrieren

Das Minatec wird nach EU-Angaben das größte europäische Zentrum für Mikro- und Nanotechnologie sein. Es ist im französischen Grenoble ansässig. Seit Jahren investieren die Universität, die Forschung, die Industrie und das Militär in Grenoble in Nanotechnologien. Damit wollen sie das Wachstum beflügeln und «unser Leben revolutionieren» . Wir lehnen dieses neue techno-industrielle Desaster ab.

Gegen die Invasion elektronischer Spitzel in Form von Mikrochips mit der neuen Funketiketten-Technologie (RFID; Radio Frequency Identification), deren Daten auf kurze Entfernung lesbar sind, in allen Dingen des täglichen Lebens und in Ausweisen; unter der Haut von Tieren und Menschen, in der Umwelt und in Menschen verteilte Mini-Sensoren, schlaue Staubkörner («smart dust»), biometrische Sensoren, «intelligente» Kameras: diese Überwachungsinstrumente werden in den Labors von Grenoble entwickelt. Bald können wir keinen Schritt mehr tun, kein Wort mehr sagen und kein Produkt kaufen, ohne dass dies nachverfolgt und registriert wird. Eine totalitäre Welt, wo die Idee des Protests hinfällig wird.

Wir wollen weder gentechnisch veränderte Organismen (GVO) noch atomar veränderte Organismen (AVM). Nach gentechnischen Manipulationen nun die atomaren: Die Nanotechnologie befasst sich mit Nahrung und Landwirtschaft. Forscher nutzen die Nanoteilchen, um fremdes Erbgut (DNA) in Pflanzenzellen einzusetzen und Proteine mit neuen Eigenschaften herzustellen. Landwirte werden bald gezwungen sein, Nano-Pestizide, Tiermedizin mit Nanoteilchen und ähnliches zu verwenden. Man kann aber auch gesunde Nahrung mit einfachen Methoden erzeugen. Erneut will die Industrie hier über uns bestimmen.

Neben Nanomaterial und Nanoteilchen setzt die Industrie auf «Kommunikationsobjekte», um ihren Absatz anzukurbeln. Kugelschreiber, Kühlschränke, Kleidung, Haushaltsgeräte, Telefone: Alle Geräte werden miteinander verbunden sein. Dies nennt man die «Umgebungs-Intelligenz». Ein Marketingkonzept, um uns dazu zu bringen, noch mehr unnütze technische Spielchen zu kaufen, die umweltschädlich herzustellen und zu entsorgen sind. Brauchen Sie das nicht? Doch, antworten die «Verbrauch-Soziologen» des DEAS-Labors von Minatec, die bezahlt werden, um uns dazu zu bringen, den Nano-Mode-Schund zu schlucken.

Gegen asbestähnliche Nanoteilchen: Wenn Ratten winzige Nanoröhrchen aus Kohlenstoff einatmen, ähneln ihre Lungen denen von Asbestopfern.

Wenn Barsche in einem Bad aus Fullerenen – einer speziellen Gruppe ausschließlich aus Kohlenstoff bestehender Makromoleküle – schwimmen, dann entwickeln ihre Zellen verschiedene Anomalitäten.

Nanopartikel finden sich bereits in Sonnencremes, selbstreinigenden Gläsern oder gewissen Reifen.

Toxikologen haben bewiesen, dass die winzigen Nanopartikel über die Haut, das Blut oder auch bestimmte Gehirnteile im Körper zirkulieren können. Was glauben Sie, warum weigern sich Versicherer, gesundheitliche oder umweltrechtliche Nano-Risiken zu versichern?

Wir lehnen (auch) die Waffen der Zukunft ab: Die Nanotechnologie kann auch in der Kriegsführung eingesetzt werden. Die französische Militärbehörde (Délégation générale pour l’armement ) hat mit der großen multidisziplinären französischen Forschungseinrichtung CEA (Commissariat à l’Energie Atomique ) eine Vereinbarung getroffen, die der Behörde Zugang zu den neuesten Minatec-Entwicklungen gibt. Außerdem kann die Militärbehörde der Vereinbarung zufolge Anregungen geben. Bereits jetzt entwickeln die Forscher «intelligente» Granaten, Tarn- und Kommunikations-Textilien, chemische und biologische Sensoren, Mikro-Energiequellen für giftige Produkte, Exoskelette (Hautpanzer) sowie andere Todeswerkzeuge.

Wir wollen keine Maschinen-Menschen: Wir lehnen das Projekt der «konvergenten Technologien» ab (Biotechnologie, Nanotechnologie, kognitive Informatik und Wissenschaften). Diese geben vor, «verbesserte» Menschen mit Hilfe von elektronischen Implantaten und Prothesen zu erzeugen. Das führt aber viel eher zur Automatisierung der Menschen: Robotern.

Wir lehnen die Herrschaft des CEA-Minatec über die Region Grenoble ab: Um Forscher, Unternehmensgründer oder Ingenieure anzulocken, sollen sich die Stadt und ihre Einwohner anpassen. Alte Stadteile werden zerstört, um neue prestigeträchtige Residenzen zu errichten. Die Wohnungspreise explodieren, die Verstädterung wird massiv betrieben, die Politik zielt auf das Prestige ab. «Das ist die Tyrannei des Erfolgs, die Armen machen den Reichen Platz», sagt ein erfreuter Abgeordneter.

Die öffentlichen Haushalte – also wir – finanzieren die Investitionen, um die Gewinne privater Unternehmen zu steigern. Sie entscheiden für uns, wir zahlen für sie.

Wir sind gegen die Diktatur des technischen Systems: «Die Nanotechnologie wird unser Leben revolutionieren», versprechen Forscher und Industrielle, so wie sie es schon bei gentechnisch veränderten Organismen und der Atomkraft versprochen haben. Werden wir niemals zu Rate gezogen? Wenn es eine Revolution gibt, dann wird sie sich gegen uns richten. Ein Beispiel: Das Projekt Minatec wurde vom Forschungsinstitut CEA 1998 lanciert und von der Stadt im Jahr 2000 bewilligt. Diese Entscheidung wurde im Geheimen getroffen, ohne jemals die Einwohner von Grenoble zu fragen. Erst im Juni 2005 hat die Stadt auf Proteste reagiert und eine Talkshow «Wissenschaften und Demokratie» organisiert. Damit sollten wir die Entscheidungen akzeptieren, die bereits gefällt waren.

Wir fordern: Schließt Minatec!

Grenobler Opposition gegen Nekrotechnologien*

Frühjahr 2006

* http://ogn.ouvaton.org

contact : ogn@ouvaton.org