LAUTSPRECHER: Watch the Med Alarm Phone ist gestartet!

von Die Watch the Med Notruftelefon-Gruppe Wien watchthemed.net, 17.11.2014, Veröffentlicht in Archipel 231

Im letzten Archipel veröffentlichten wir den Appell* für das Notruftelefon «Watch the Med» für Flüchtlinge in Seenot. Inzwischen ist dieses in Betrieb. Die Mitarbeiter_innen machen jeweils während acht Stunden Telefon-Permanenz. Je mehr Menschen sich daran beteiligen, desto besser kann es funktionieren.

Das Mittelmeer gilt heute als die lebensgefährlichste Migrationsroute nach Europa. Die einen, ausgestattet mit den «richtigen» Reisepässen, machen es sich auf dem Deck großer Fähren gemütlich, um von Sizilien nach Tunis überzusetzen. Die anderen müssen bei Einsatz ihrer Gesundheit oder ihres Lebens in überfüllten Booten versuchen, ungesehen die Küsten Europas zu erreichen.
Die Meldungen über gekenterte Flüchtlingsboote kommen so regelmäßig, dass die Zahlen mittlerweile schal wirken. 160 Tote? 300? 34? Es fällt schwer, dazu noch Emotionen zu entwickeln. Der 3. Oktober 2014 wurde als Gedenktag begangen, ein Jahr zuvor waren 368 Menschen bei einem Schiffsunglück kurz vor Lampedusa ums Leben gekommen. Das wäre mit einem Rettungseinsatz zu verhindern gewesen. Oder mit einer anderen Migrationspolitik.
Nachdem die Zahl der Toten öffentlich geworden war, fand Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, klare Worte: «Wir können nicht zulassen, dass noch mehr Menschen sterben. Lampedusa muss ein Wendepunkt für die europäische Flüchtlingspolitik sein.» Aber offensichtlich können «wir» es doch zulassen: Am 14. September diesen Jahres sind 164 Menschen kurz nach ihrer Abfahrt von Tripolis Richtung Italien ertrunken. Am 2. Oktober sank wieder ein Boot vor der libyschen Küste, von etwa 180 Leuten konnten nur knapp die Hälfte gerettet werden.
Zu den Trauerfeierlichkeiten am 3. Oktober 2014 fand Schulz sich wieder auf Lampedusa ein. Und wie-der sprach er von der dringlichen Notwendigkeit, das Sterben zu stoppen. Aber nachdem ein ganzes Jahr lang kein «Wendepunkt für die europäische Flüchtlingspolitik» in Sichtweite geraten ist, müssen wir davon ausgehen, dass es sich nur um ein weiteres Lippenbekenntnis handelt.
Gegen ein unmenschliches Grenzregime Wir haben genug davon, immer erst im Nachhinein zu trauern, im Nachhinein anzuklagen, zu sagen, dass so etwas nie wieder passieren soll, auf dessen Wiederkehr wir uns politisch aber verlassen können. Um dem Sterben etwas Handfestes entgegenzusetzen, haben wir als Netzwerk von Men-schenrechtsaktivist_innen aus Wien, Tunis, Athen, Palermo und vielen weiteren Städten Europas und Nordafrikas daher ein internationales Notruftelefon für Bootsflüchtlinge am Mittelmeer eingerichtet. Das «Watch the Med»-Telefon ist rund um die Uhr besetzt und wird von mehrsprachigen Teams betreut. Flüchtlingen in Seenot soll damit zu ihrer Rettung durch die Küstenwache verholfen werden. Wir möchten verhindern, dass Rettungseinsätze verzögert oder verabsäumt werden und Menschen ihr Leben verlieren, wie es viel zu oft schon geschehen ist.
Wir möchten mit dem Notruftelefon mitwirken, Leben zu retten, aber wir möchten auch zu einem gesellschaftlichen Einverständnis darüber beitragen, dass das Grenzregime, das wir gerade erleben, zu einem schnellen Ende kommen muss.
Indem allen Menschen letztendlich der individuelle Drang oder die lebensrettende Notwendigkeit zugestanden wird, sich ungehindert von einem Ort zum anderen zu bewegen, wird mit einem Schlag ein ganzer Haufen an Problemen gelöst werden. Das größte davon ist der Verlust von Menschenleben. Ein anderes, dass politische Grenzen profitabel sind, so lange sie geschlossen bleiben – für «Schlepper_innen» genauso wie für Grenzschutzagenturen.
Wer sich bei watch the med engagieren möchte, wende sich bitte an die jeweilige lokale Kontaktgruppe. Solche Gruppen haben sich inzwischen in mehreren Städten in Deutschland, der Schweiz und Österreich gebildet.
Die Watch the Med
Notruftelefon-Gruppe Wien

watchthemed.net * Der Aufruf zur Unterstützung des Notruftelefons für Bootsflüchtlinge in Seenot wurde von etlichen Flüchtlingsorganisationen und von solidarischer Prominenz aus Europa und Afrika unterzeichnet – darunter Elfriede Jelinek, Étienne Balibar, Madjiguene Cisse und Jean Ziegler. Weitere virtuelle Unterschriften werden auf der Website watchthemed.net gesammelt, wo der Aufruf in Gesamtlänge nachzulesen ist.