Leserbrief: Nicht-maschinelle Landwirtschaft braucht Saisonniers

08.03.2002, Veröffentlicht in Archipel 92

Wie ich aus eigener Erfahrung und aus der Beobachtung erkennen zu glauben meine, sind gewisse Arbeiten im Sektor Landwirtschaft/Gartenbau so saisonal bedingt, dass sie nicht eine ganzjährige Anstellung bieten.

  • deshalb greifen viele Bio- und auch nicht-Biolandwirte zum Mittel der Selbstausbeutung ihrer selbst
  • oder wie im Wallis zur Unterhilfenahme von Bekannten und Verwandten, die am Wochenende bei der Tomaten- und Aprikosenernte helfen, aber zu einer Schwemme am Montag führen, dann wenn der Bedarf für Aprikosen um einiges niedriger ist als am Wochenende
  • Einige SVP-Bauern stellen Ost-Praktikanten ein, die sie problemlos ausbeuten können.
  • Andere haben Schwarzarbeiter aus Polen, die weder versichert noch irgendwelchen anderen arbeitshygienischen Standards entsprechend angestellt und untergebracht sind.
    Meine These: Das Abschaffen des Saisonnierstatutes war ein Fehler. Ich sehe die Schwierigkeiten dieses Programmes, meine aber auch die scheinheilige SP-Politik in Verbund mit der FDP, die sich nicht für Saisonniers und deren Arbeit interessiert. Gewisse Arbeit der Nahrungsproduktion, insbesondere der ökologisch-biologischen ist arbeitsintensiv und hat ihre Arbeitsspitzen.
    Ich plädiere deshalb für ein besseres Saisonnierstatut für Landarbeiter mit klaren Lohn- , Arbeitszeit- und Sozialbestimmungen, die Arbeitern ausserhalb der EU die Möglichkeit bieten Geld zu verdienen. Ein Saisonjob muss nicht per se schlecht sein. Saisonarbeit kann externer Gelderwerb ohne Emigration auf Dauer bedeuten. Saisonarbeiter erarbeiten Geld und Wohlstand für ihre Familien im Herkunftsland und unterstützen durch ihre nicht andauernde Abwesenheit die Familien- und Gemeinschaftsstruktur ihrer Heimat besser als permanente Emigranten.
    Dabei können auch kleinbäuerliche Produktionsweisen in Polen, Marokko etc. erhalten und ausgebaut werden. Ähnliche Situationen von Saisonarbeitsbewegungen innerhalb Europas waren seit dem 17. Jhd. Gang und gäbe*.
    Warum eine Jahresaufenthaltsbewilligung mit Familiennachzug, wenn keine Arbeit vorhanden ist?
    Klar kommunizierte Saisonjobs, gut bezahlt, mit Kranken- und Unfallgeld, aber ohne AHV (Altersvorsorge) und Pensionsbeiträge für ArbeiterInnen aus der Nicht-EU, die landwirtschaftliche Arbeit gewohnt sind, sind für mich nicht per se ausbeuterisch, sondern stellen eine „win-win“ Situation dar.
    Dass RMI-Bezüger nicht für agrarische Arbeit zu gewinnen sind, scheint mir klar, da sie 1. mehrheitlich aus städtischen Gebieten stammen und 2. die Idee des RMI ja gerade ist, ohne Erwerbsarbeit ein Leben bestreiten zu können.
    Liebe Grüsse eines Mitstreiters, C.Schwager, Winterthur

* Klaus J. Bade, Europa in Bewegung, Verlag C.H. Beck