MEXIKO: Gegen Windparks in Mexiko

von George Lapierre, Oaxaca, 24. März 2013, 06.08.2013, Veröffentlicht in Archipel 217

George Lapierre schrieb im März diesen Bericht über die Entwicklung des Widerstands gegen den Bau von Windparks im Isthmus von Tehuantepec im Südenwesten Mexikos. Transnationale Unternehmen möchten in der windreichen Region Milliarden

Euros investieren in diese so genannte saubere Energie. Den Widerstand der Bevölkerung versuchen sie mit Geld und

Gewalt zu brechen. Erster Teil.

Der Widerstand im Isthmus von Tehuantepec (Bundesstaat Oaxaca, Mexiko)1 zeigt uns beispielhaft das Scheitern «nachhaltiger» Entwicklung. Zudem unterstützt er den Versuch der Lokalbevölkerung, wieder Kontrolle über das Territorium ihrer Dörfer zu erlangen und Widerstand zu leisten gegen korrupte Leader, gefälschte Wahlen und die politischen Parteien. So wird auch die Demokratie, die in den selbstbestimmten, oft weitschweifigen Asambleas (Versammlungen vom Dorf oder Viertel) ausgeübt wird, begünstigt. Die Asambleas koordinieren sich regional und können sich auf ihre eigenen Radiostationen und Medien stützen. Angesichts der Korruption im politischen System haben einige Dörfer und Viertel sogar beschlossen, die lokalen Wahlen vom 7. Juli zu boykottieren. Die folgenden Informationen sollen nicht nur die abstrakte Diskussion über die Lügen der «nachhaltigen Entwicklung» bereichern, sondern vor allem daran erinnern, dass sich hinter den Worten «saubere Energie» und dem geschickten Marketing gewaltvolle Auseinandersetzungen verbergen. Dörfer und ihre ganze Bevölkerung wagen sich gegen die Zerstörung ihrer Lebensweise zu wehren, gegen Korruption, Terror und den Raub ihres Territoriums durch multinationale Unternehmen aus Spanien, Frankreich (EDF) oder Italien, die vor Ort Milliarden Euros in die Schaffung gigantischer Windparks investieren wollen.
Von Cervantès bis Shakespeare fehlt es nicht an Bildern, um die Invasion der Windenergieanlagen zu beschreiben. Die Bewohner des Isthmus von Tehuantepec haben das gerechtfertigte Gefühl, von einer monströsen Armee aus Stahl und Rotoren umzingelt zu sein und erstickt zu werden. Das Bild der sich langsam vorwärts wälzenden Stahlarmee könnte einem Science-fiction-Film entstammen – eine Maschinerie, die blind alles zertritt ohne Mitgefühl mit dem zerbrechlichen Leben und der Kultur, die sich an diesem einzigartigen Ort entwickelt hatte. Die Stahlarmee bewegt sich nach einem präzisen Plan gnadenlos auf den Pazifik zu. Doch die Bewohner des Gemeindelandes von den Dörfern Union Hildalgo bis San Mateo del Mar, die rund um die Lagune2 liegen, wehren sich. Eine Vielzahl an Bewohnern beteiligt sich bewaffnet mit Stöcken und Steinen an den Wachposten, um den Bulldozern und Baumaschinen den Zugang zu verwehren. Wie etwa in Álvaro Obregón, wo die Bewohner seit Monaten unter Alarm stehen, um ihren Boden auf der Landzunge Santa Teresa zu verteidigen. Sie hatten auch schon mit der Bundespolizei zu tun, die versuchte, sie umzusiedeln, was allerdings misslang. Die Vertreter des Gouverneurs versuchten mit den Anführern des Widerstands zu verhandeln und sie zu kaufen – vergeblich. Man hat versucht, sie einzulullen und ihnen versichert, dass das Projekt fallen gelassen worden sei. Die Einwohner von Álvaro Obregón sind jedoch wachsam geblieben. Sie sind Nachfahren des Zapatisten-Generals Heliodoro Charis und sie lassen sich nicht übers Ohr hauen. Sie bilden eine zusammengeschweisste und solidarische Gemeinschaft und sie lassen sich nicht spalten – und dies obwohl das Firmenkonsortium Mareña Renovable weder Mühen noch Kosten scheut, um einen Windpark mit 102 Windenergieanlagen auf der Landzunge Santa Teresa zu bauen.
Am Ortausgang der Stadt Juchitán de Zaragoza stehen Barrikaden, die den Zugang zur Firma Gaz Natural Fenosa, welche problemlos eine Konzession für einige Hektar Land von der COCEI3 erhalten hat. Die Partei COCEI ist längst von den ökonomischen kapitalistischen Interessen korrumpiert. Es sind Menschen des einfachen Viertels Juchitáns, das v.a. von Fischern bewohnt wird, die diese Barrikaden besetzt halten und seit einem Monat Tag und Nacht bewachen. Als wir sie besuchten, waren gerade die Frauen, wie oft bei den Zapoteken des Isthmus, sehr präsent und entschlossen. Sie bereiteten sich vor, die Nacht gemeinsam auf Stühlen zu verbringen. Alle Altersgruppen waren auf den Barrikaden anzutreffen, sowohl bei den Männern, als auch bei den Frauen. Und wie üblich assen wir Fisch im Schein der Lampions. Das soll allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation angespannt ist. Die Leute auf den Barrikaden befinden sich an einem abgelegenen Ort, etwas abseits des Viertel. Sie haben Wachpatrouillen organisiert, weil sie von schwer bewaffneten Polizeikonvois bedrängt und provoziert wurden. Hinzu kommt, dass die politischen Parteien im Viertel präsent sind und einen spaltenden, Streit provozierenden Faktor bilden. Während der Osterferien gaben die Barrikaden die Durchfahrt für Touristen frei, aber den Lastwagen der Bierfirma Modelo de l’Istmo und von Coca Cola wurde diese verwehrt. Coca Cola ist auch am Konsortium Mareña Renovable beteiligt.
Im Dorf San Dionisio ist das Gemeindebüro seit Januar 2012 besetzt. Der Gemeindepräsident wird von der Dorfversammlung nicht mehr anerkannt, seit er gegen die Stimme der Versammlung das Bodenrecht geändert hat. Vor einigen Monaten hat er gemeinsam mit seinen Schergen versucht, das Gemeindebüro mit Gewalt wieder zurückzuerobern. Dieser Versuch ist gescheitert, obwohl er die politische und finanzielle Unterstützung des Gouverneurs und von Mareña Renovable hatte. Auch in San Dionisio werden die Gemeindewahlen im Juli verhindert. Doch obwohl sich eine starke Mehrheit gegen die Windparks zur Wehr setzt, bleibt die Bevölkerung geteilt und politisch zögerlich.
Auf der anderen Seite der Laguna, in Unión Hidalgo, profitieren die Baufirmen von der Konfusion und Desorganisation rund um das Gemeindeland. Mit Hilfe der Parteien wurde die Form des Gemeindebesitzes langsam untergraben. Der Boden wurde vom Vater an den Sohn weitergegeben und die Schlauesten haben sich auf diese Art weite Flächen kommunalen Landes einverleibt. Manche sehen den Bau der Windparks als Chance auf eine jährliche Pachtzahlung – ein Glücksfall für die kleinen Spekulanten, die sich mit Hilfe von Notaren und Bürokraten als Besitzer anerkennen lassen. Es gibt aber auch ehemalige Bauern, die sich zusammenzuschliessen, um die Tradition des Ejidos zu erhalten4 und das Land gegen die Gier von Einzelpersonen zu verteidigen. Ein grosser Teil des Windparks wurde sowieso illegal gebaut und wird weiterhin illegal auf Gemeindeland gebaut. Um den Bauherren wie Mareña Renovable oder Preneal Schwierigkeiten zu bereiten, hat sich eine Versammlung konstituiert, die aus ehemaligen Bauern und deren Söhnen besteht, sowie aus Kleingrundbesitzern. Sie trifft sich einmal monatlich und engagiert sich gegen die Baufirmen. Selbstverständlich missfällt diese Initiative den Investitionsfirmen, den Politikern und all jenen, die sich Boden angeeignet haben mit der Idee, ihn dem Windpark zu verpachten. Sie hängen an ihrem Besitz und haben Angst, ihn zu verlieren. In letzter Zeit sind sie aggressiv geworden und sprechen Morddrohungen gegen die Teilnehmer der Versammlung aus.

  1. Die Region Istmo de Tehuantepec im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca ist mit 205 Kilometern Breite die schmalste Stelle zwischen dem Golf von Mexiko und dem Pazifik. Dadurch werden dort große Windstärken erreicht.
  2. Die Lagune liegt südlich von der Stadt Juchitán de Zaragoza und wird durch mehrere Landzungen vom Meer getrennt.
  3. COCEI ist die Abkürzung von Coalición Obrera, Campesina, Estudiantil del Istmo (Koalition der Arbeiter, Bauern und Studierenden des Isthmus). Die Partei wurde 1973 in Juchitán gegründet und gewann 1981 zum ersten Mal die lokalen Wahlen.
  4. Der Ejido ist eine Besitzform, die gekennzeichnet ist durch gemeinsamen Grundbesitz und individuelle Nutzung. Ähnlich der hiesigen Allmend. Mit der Bodenreform von 1934 wurde diese Besitzform in Mexiko eingeführt. 1992 wurde das Ejido als Besitzform im Zuge von Freihandelsverträgen gestrichen und das Land ging in Privatbesitz über. In der Praxis wird aber bis heute noch viel Land als Ejido genutzt.