Im vergangenen Mai organisierte das EBF in Frankreich zum zweiten Mal eine einwöchige Präsentationstournee mit Emmanuel Mbolela und seinem Buch «Mein Weg vom Kongo bis Europa», das im Februar 2017 auf Französisch mit dem Titel «Réfugié» («Geflüchtet») herausgekommen ist.Die öffentlichen Versammlungen fanden in sieben Städten statt, u.a. Lyon, Grenoble, Aix-en-Provence. Wir organisierten auch Buchvorstellungen in einer Volks- und mehreren Mittelschulen.1
Das Treffen mit den Schülerinnen und Schülern war sehr reichhaltig und bot die Möglichkeit, die Kinder auf eine andere Art zu informieren – ganz im Gegensatz zu den stereotypen und rassistischen Desinformationen über die Geflüchteten, welche zu oft in den Medien kolportiert werden. Die Kinder, aber auch die Erwachsenen, waren tief beeindruckt von der sehr persönlichen Art und Weise Emmanuel Mbolelas, über sein Leben zu erzählen: sein politisches Engagement im Kongo, das ihn dazu zwingt, den Weg ins Exil anzutreten, sechs Jahre «Reise» durch Afrika, Erpressung durch Grenzwächter, Raubüberfälle in der Sahara; Schwarzarbeit, um seine Weiterreise zu finanzieren und schliesslich die Sackgasse Marokko, wo er vier Jahre lang blockiert bleibt.
In den Diskussionen, die seiner Präsentation folgen, beschreibt Emmanuel nicht nur die humanitär katastrophale Situation, welche die Migrant_innen während ihrer Odyssee erleben – insbesondere die der Frauen, die doppelt bestraft sind, da sie erstens gegenüber den Grenzwächtern, den Polizisten und den bewaffneten Banden systematisch als «Tauschware» missbraucht werden und zweitens die Wüste und das Meer zumeist mit ihren Kindern durchqueren müssen, wobei die Babys und Kleinkinder oft durch Vergewaltigung während der Flucht entstanden sind. Er erinnert uns auch daran, dass das alles unter anderem die Folge eines neokolonialen Weltwirtschaftssystems sowie der europäischen Migrationspolitik ist, die ihre Grenzüberwachung nach Marokko, Algerien und Libyen ausgelagert hat und heute die Schliessung der Grenzen innerhalb Schwarzafrikas fordert.
Um weiterhin den afrikanischen Boden ausrauben und gleichzeitig die Migration als ein Problem, eine Überflutung, eine Invasion, darstellen zu können, das nur behördlich oder militärisch geregelt werden kann, sind die grossen Wirtschaftsmächte zu allem bereit. Frankreich z. B. hat in den letzten Monaten in steigendem Mass die Ausweisungen von aus dem Sudan Geflüchteten eingeleitet, ohne Rücksicht auf die Kriegssituation in mehreren dortigen Regionen, insbesondere in Darfur. Wie auch andere Staaten verhandelt Frankreich zurzeit mit dem General Omar al-Baschir, der einzige amtierende Staatschef im Sudan, obwohl er vom Internationalen Gerichtshof des Genozids, etlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt ist. Frankreich durchbricht also die internationalen Konventionen, welche die Rückschaffung von Asylsuchenden in ihr Herkunftsland verbietet, wenn diese deren Leben in Gefahr bringt.
Hungerstreikende aus dem Sudan
Auf unserer Tournee mit Emmanuel Mblolela sind wir sehr vielen Menschen begegnet, die diese unmenschliche Migrationspolitik nicht akzeptieren und sich zusammengefunden haben, um den Empfang derer zu organisieren, die auf die Strasse geworfen werden. Die erste Forderung ist die Bewegungsfreiheit für alle Menschen: Warum soll es ein Privileg der reichen Weissen sein, überall dorthin reisen zu können, wohin sie wollen, und warum sollen wir akzeptieren, dass unsere Regierungen bestimmen, wen wir bei uns aufnehmen dürfen und wen nicht.
Einer der Abende wurde von einem Komitee für den Empfang von Geflüchteten in Embrun, einer kleinen Stadt in den Alpen, organisiert. Gerade als wir dort waren, hatte eine in einem Empfangszentrum der Gemeinde untergebrachte Gruppe von etwa zwanzig Migranten seit einer Woche einen Hungerstreik begonnen, um gegen die Ausschaffung zweier von ihnen nach Norwegen zu protestieren. Nach der Reglementierung von Dublin III sollen die Migrant_innen in das europäische Land zurückgeschickt werden, in dem sie als erstes eingetragen wurden. Diese Abstempelung als Flüchtling im «Erstland» geschieht in Form von Fingerabdrücken, welche die Geflüchteten, oft unter Einsatz von Gewalt, gezwungen werden, abzugeben. Amnesty International z.B. bestätigt in einem am 3. November 2016 erschienenen Bericht, dass die italienische Polizei Methoden praktiziert, um die Fingerabdrücke zu bekommen, die «Foltermethoden gleichgesetzt werden können». Die hungerstreikenden Migrant_innen forderten also, dass sie nicht in das «Erstland» zurückgeschickt werden, sondern in Frankreich um Asyl ansuchen dürfen, so wie es dem Grundprinzip entspricht, dass jede verfolgte Person in dem Land ihrer Wahl Asyl beantragen kann. Die Begegnung zwischen den Hungerstreikenden und Emmanuel Mbolela war sehr berührend und bereichernd.
Die Tatsache dass Emmanuel es geschafft hat, eine Selbstorganisation der subsaharischen Migrant_in-nen in Marokko ins Leben zu rufen in einem sowohl politisch als auch wirtschaftlichen sehr harten Kontext, hat die Sudanes_innen ermutigt weiter zu kämpfen. Ihr Hungerstreik soll dazu dienen, diejenige Politik, die vom Staat praktiziert wird, um die Kommunikation zwischen illegalisierten Migrant_innen und unterstützenden solidarischen Menschen zu verhindern, öffentlich bekannt zu machen und sich ihr zu verweigern.
Schutz für Migrantinnen in Rabat
Solche Präsentationstourneen mit Emmanuel Mbolela und seinem Buch dienen nicht nur dazu, eine andere Sichtweise auf die Gründe und die Realitäten der Migration zu erschliessen, sondern auch politische und finanzielle Unterstützung für die Flüchtlingshilfsprojekte in Rabat zu finden, insbesondere für die Wohnungen der geflüchteten Frauen und ihrer Kinder.
Im Februar 2015 eröffnete Emmanuel Mbolela mit der finanziellen und logistischen Unterstützung von «Afrique Europe Interact» das erste Haus für Migrantinnen, von denen die meisten auf ihrer Reise schlimmer Gewalt ausgesetzt waren. Inzwischen gibt es drei Wohnungen, in denen insgesamt dreissig Frauen, zum Teil mit Kindern, empfangen und für eine gewisse Zeit untergebracht werden können. Sie werden mit Lebensmitteln versorgt und können ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. So entkommen diese Frauen der Strasse und dem Blickfeld ihrer Ausbeuter und können sich nach ihrem extrem harten Weg durch die Wüste körperlich und – so weit es geht – seelisch etwas erholen. Diese Frauenhäuser, genannt «Baobab», dienen den subsaharischen Frauen auch dazu, Verbindungen in Marokko zu knüpfen, an Informationen zu kommen, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen, auch in Hinblick auf eine eventuelle Weiterreise oder einen längeren Aufenthalt in Marokko. Leider ist aufgrund der zahlreichen Anfragen die Dauer der Unterkunft in den Wohnungen auf zwei bis drei Monate beschränkt. Es wäre heute sehr wichtig, eine längerfristige Perspektive zu finden, aber die Militarisierung der europäischen Grenzen sowie die Unterstützung Europas der diversen autoritären Regime lässt zurzeit wenig Aktionsmöglichkeiten.
In diesem Zusammenhang möchte die Vereinigung der subsaharischen Migrant_innen ein soziales und kulturelles Zentrum einrichten, um den verschiedenen Bedürfnissen und Notwendigkeiten gerecht zu werden. Es geht darum, einen Ort der Begegnung unter den Migrant_innen, aber auch mit der lokalen marokkanischen Bevölkerung zu schaffen, die ebenfalls in sehr prekären Verhältnissen lebt. Sprach- und Alphabetisierungskurse könnten sowohl den Migrant_in-nen als auch den Marokkaner_in-nen angeboten werden. Im Moment ist eine der Prioritäten, die migrierten Kinder einzuschulen; es gibt jedoch keine Räume, die als Schulbibliothek und Klassenzimmer benützt werden könnten. Da der Aufenthalt in Marokko meistens viel länger dauert als geplant, gehen oft viele Schuljahre verloren. Um gegen den Rassismus und die Isolierung der aus Subsahara-Afrika Geflüchteten anzukämpfen, müsste ein für alle offener Ort in der Nähe der Frauenhäuser gegründet werden, wo gemeinsam gekocht und gegessen werden kann und – warum nicht – auf Perspektive ein subsahara-afrikanisches Restaurant eröffnet werden könnte, etwas nie Dagewesenes in Rabat. Die Situation ist sehr kompliziert und die Leute, die sich vor Ort engagieren, haben nur sehr wenige Mittel.
Das ist mit ein Grund, warum Emmanuel weiterhin auf Informations- und Sensibilisierungstournee in die verschiedenen europäischen Länder geht. Vom 18. bis 26. Oktober 2017 organisieren wir eine Reihe von öffentlichen Abenden mit ihm in der Schweiz, zu denen wir Sie herzlich einladen. Das genaue Programm erfahren sie in der Septemberausgabe.
- Solche Präsentationstourneen organisieren wir seit dem Erscheinen des Buchs von Emmanuel Mbolela auf Deutsch im Jahr 2014 auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Siehe Artikel im Archipel Nr.238, Mai 2015.
Das Buch «Mein Weg vom Kongo nach Europa» von Emmanuel Mbolela, mit einem Vorwort von Jean Ziegler, Mandelbaum-Verlag Wien, Mai 2014, 219 Seiten, 19.- CHF / 16.- EUR, ISBN: 978385476-456-4, können Sie über unsere Webseite http://www.forumcivique.org/www.forumcivique.org bestellen
- Solche Präsentationstourneen organisieren wir seit dem Erscheinen des Buchs von Emmanuel Mbolela auf Deutsch im Jahr 2014 auch in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Siehe Artikel im Archipel Nr.238, Mai 2015.