MIGRATION: Klimawandel – ein Fluchtgrund

von Zusammenfassung des Gesprächs mit Diory Traoré: Jürgen Holzapfel, FCE - Deutschland, 28.11.2017, Veröffentlicht in Archipel 264

Vom 6. bis zum 8. Oktober 2017 fand in Leipzig die Konferenz «Selbstbestimmt und solidarisch! Konferenz über Migration – Entwicklung – ökologische Krise» statt, die eine Verbindung zwischen Aktiven der hiesigen Klimabewegung und selbstbestimmten Initiativen in Afrika zum Ziel hatte. DioryTraoré aus Mali ist in so einer Initiative engagiert.

Drei Tage lang diskutierten im Leipziger «Westbad» mehr als 700 Teilnehmende aus verschiedenen sozialen Bewegungen, auf welche Weise Flucht und Migration mit den vielfältigen ökologischen Krisen unserer Zeit sowie den vorherrschenden Vorstellungen von gesellschaftlicher Entwicklung zusammen hängen. Beteiligt waren Initiativen, die zu Flucht und Migration, Bewegungsfreiheit, Klima, Kapitalismus, Landwirtschaft und Degrowth arbeiten – beteiligt waren auch viele Geflüchtete aus Afrika undVertreter·innen von selbstorganisierten Initiativen in Afrika. Die Konferenz wurde, unter anderen, vom Netzwerk «Afrique-Europe-Interact»(AEI) organisiert.
Eine Frau aus Mali berichtet
Wir trafen nach der Konferenz DioryTraoré aus Mali, die zum ersten Mal nach Europa gekommen war. Sie beschäftigt hauptsächlich die Frage: Was können wir denjenigen erzählen, die nicht geflüchtet sind? Wie sollen wir den Jugendlichen erklären, warum sie hier bleiben sollen, ohne dass wir zu Komplizen der europäischen Abschreckungspolitik werden? Haben wir das Recht, ihnen zu sagen sie sollen hier bleiben? Diory ist in einer der Vereinigungen engagiert, die sich für die Rechte der Migrant·innen in Mali einsetzt. Ihre Vereinigung entstand im Jahr 2009 als viele Malier·innen in Frankreich eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten hatten. Wenn sie diesen legalen Status aber nutzen wollten, um ihre Familien in Mali zu besuchen, wurde ihnen die Rückkehr nach Frankreich trotz Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Ihr Verein besteht hauptsächlich aus Frauen, deren Männer oder Söhne in die Migration gegangen sind. Die Frauen bemühen sich, diejenigen zu sensibilisieren und zu informieren, die auswandern wollen. Jeden Samstag haben sie eine Stunde Sendezeit im Radio, für die sie allerdings bezahlen müssen. In der Sendung verbreiten sie Informationen für Frauen, die nicht wissen, was mit ihren Männern und Söhnen in der Migration geschehen ist. Viele der Frauen schlagen sich durch, indem sie auf Grundstücken, die ungenutzt sind, Gemüse anbauen, und verdienen ein wenig Geld durch den Verkauf von Kies und Sand, den sie im Fluss waschen. Die Vereinigung unterstützt diese Frauen dabei, so gut sie kann. Diory erzählt von der Grenzregion zum Senegal, aus der die Bevölkerung seit jeher in alle Richtungen ausgewandert ist, um mit dem zurückzukommen, was vor Ort fehlt. Diese Tradition der Migration ist in Afrika weit verbreitet und war immer in beiden Richtungen – die Menschen gingen und kamen wieder zurück. Doch wer heute weggeht, kommt nicht mehr zurück.
Gehen oder bleiben?
Diory zählt viele Gründe auf, warum die Jugendlichen keine Perspektive in Afrika sehen. Selbst nach dem Studium finden sie keine Arbeit; nur wer in den Staatsdienst übernommen wird, hat eine gewisse Sicherheit. Die Regierungen wollen die europäische Agrarpolitik kopieren, wodurch immer weniger Menschen auf dem Land überleben können. Der Klimawandel hat verheerende Auswirkungen auf die Landwirtschaft, da die bisher regelmässigen Regen- und Trockenzeiten nicht mehr vorhersehbar sind. Entwicklungsgelder aus Europa kommen nie bei den Betroffenen an.Die so genannte Ursachenbekämpfung ist in Wirklichkeit der Bau von Grenzanlagen zur Kontrolle der Migration und die Einrichtung von Lagern, in denen die Migrant·innen festgehalten werden. Die Bodenschätze werden von ausländischen Konzernen geplündert, dazu kommen Kriege, Angst und die Unsicherheit, die damit verbunden ist. Die Region Kidal im Norden Malis ist von der französischen Armee und der UN-Mission «Minusma» unter deutscher Führung als sogenannte Konfliktregion besetzt und abgeriegelt, selbst die malische Armee hat keinen Zugang. Dort werden gleichzeitig die vorhandenen Bodenschätze abgebaut, ohne jede Kontrolle durch den malischen Staat.
In dieser Situation stellen sich viele die Frage: «Gehen oder bleiben»? Wer sich entschieden hat zu gehen, kann auch mit allen Berichten über die Gefahren, die ihn erwarten, nicht davon abgehalten werden. Man wird diese Migration nicht aufhalten, indem man die Aussengrenzen der EU in afrikanische Länder oder nach Libyen verlegt. Dazu kommt, dass durch den Druck der EU, Grenzkontrollen zwischen den afrikanischen Ländern aufgebaut werden, die die traditionelle Migration innerhalb Afrikas als mögliche Alternative zur Migration nach Europa zerstören.
Afrika in Ruhe lassen!
Diory berichtet, dass deshalb mehrere Afrikaner·innen auf der Konferenz in Leipzig die Meinung äusserten, das Beste für Afrika wäre, wenn Europa wieder alles mit nimmt, was es nach Afrika gebracht hat und die afrikanische Bevölkerung in Ruhe lässt. Sie will keine Hilfe mehr aus Europa, und Afrika müsse sich weigern, seine so genannten Schulden zu bezahlen und lernen, mit seinem Boden und den Bodenschätzen selbstbewusst für die Entwicklung des Kontinents um zugehen. Diese Haltung hat aber viele der Zuhörenden vor den Kopf gestossen.
Unmittelbar ist für Diory wichtig zu verhindern, dass weiterhin so viele Migrierende auf dem Weg nach Europa sterben. Ihre Vereinigung verbreitet die Nummer des internationalen AlarmtelefonsWatch theMed, über das die Flüchtenden Hilfe anfordern können, wenn sie in Not sind. Das Netzwerk bestand bisher hauptsächlich für die Rettung im Mittelmeer und beginnt jetzt auch eine Infrastruktur aufzubauen, um Flüchtende, die in der Wüste ausgesetzt werden, zu Hilfe zu kommen. Wenn die «Internationale Organisation für Migration» (IOM) den Geflüchteten zu Hilfe kommt, schickt sie dieseregelmässig zurück in ihr Land und lässt ihnen nicht die Wahl. Deshalb ist ein unabhängiges Netzwerk notwendig.
Ihre Vereinigung protestiert gemeinsam mit ungefähr 14 weiteren Initiativen gegen Abschiebungen aus Europa. Als Deutschland zum Beispiel 400 Malier·innen abschieben wollte, weil die Geflüchteten aus Syrien ankamen, demonstrierten sie mit mehreren tausend Menschen vor der Deutschen Botschaft in Bamako und parallel dazu protestierten mehrere hundert Menschen vor dem Auswärtigen Amt in Berlin. Schlussendlich wurden nur zwei Malier abgeschoben und die malische Botschaft in Deutschland weigert sich, die für eine Abschiebung notwendigen Papiere auszustellen.
Auch als Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Besuch in Bamako war, gab es grosse Demonstrationen gegen die Abschiebungen, aber darüber haben die deutschen Medien nicht berichtet. Deshalb sucht ihre Vereinigung Patenschaften mit Medien in Europa, die ihre Informationen verbreiten.
Die nächste Konferenz sollte eigentlich in Afrika stattfinden, da es für jede·n Europäer·in zehnmal einfacher ist, nach Afrika zu reisen als umgekehrt. Diory z.B. musste nach Dakar im Senegal reisen, um in der dortigen Schweizer Botschaft ein Visum zu bekommen, mit dem sie nach Leipzig reisen konnte. Bei der Deutschen Botschaft in Mali müssen die Antragsteller für jede Visumanfrage bezahlen, unabhängig davon, ob sie das Visum erhalten oder nicht. Diory schliesst ihren Bericht mit dem Satz: «Es gibt keine illegale Migration, jeder Mensch hat das Recht, dorthin zu reisen, wohin er will.»
Zusammenfassung des Gesprächs mit Diory Traoré: Jürgen Holzapfel, FCE - Deutschland

Ergänzung der Redaktion: Überschattet wurde die Konferenz von rassistisch motivierter Polizeigewalt gegenüber zwei Referenten und zwei Teilnehmenden der Konferenz. Die Referenten, die aus Kamerun kommen und in Deutschland leben, waren während der Konferenz bei Freunden untergebracht. Sie wurden von mehreren – offenbar von Nachbarn herbei gerufenen – Polizisten aus dem Schlaf geholt. Nachdem ein Referent die Tür geöffnet hatte, ging einer der Polizisten sofort gewaltsam auf ihn los, rief «Ausweis, Ausweis» und verdrehte ihm gleichzeitig schmerzhaft den Arm – und dies, obwohl beide Referenten ruhig reagierten und sich gesprächsbereit zeigten. Einem der Referenten wurden sogar Handschellen angelegt. Erst nachdem die inzwischen herbei gerufenen Organisator·innen der Konferenz mit den Polizisten sprachen, wurden die Referenten in Ruhe gelassen, und die Polizei verliess den Ort.