Im Mai dieses Jahres haben die Sender SRF1, RTS2 und die Wochenzeitung WoZ eine alarmierende Reportage über die Gewalt in den Bundesasylzentren gesendet bzw. veröffentlicht. Wenige Tage später hat Amnesty Schweiz einen nicht minder erschreckenden Bericht publiziert.
Weitere Medien haben das Thema aufgenommen, so etwa in einer erschütternden Reportage, die in den zahlreichen Zeitungen des Tamedia-Konzerns zirkulierte; das Ausmass der Gewalt wurde offensichtlich. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) reagierte prompt. Zuerst einmal veröffentlichte das Amt ein Kommuniqué, wonach eine ominöse extremistische Linke am Werk sei, welche die innere Sicherheit gefährde. Unsere Organisation «Solidarité sans Frontières» (Sosf) hat umgehend Stellung bezogen und sich nicht von dem politisch motivierten Ablenkungsversuch dieser Mitteilung täuschen lassen.
Immerhin hat das SEM eine interne Untersuchung eingeleitet. Das war das Mindeste, was zu tun war. Wir hoffen, dass eine solche Untersuchung die systemische Gewalt und andere Verletzungen der Menschenrechte in den Asylzentren ans Licht bringen wird. Bevor die grossen Medienkanäle das Thema Gewalt aufgegriffen haben, gingen bereits viele Warnlämpchen an. Sie kamen von kleinen Gruppen aus der Zivilgesellschaft. Wir erinnern uns an die Geschichte im «ajour-magazin» über die Gewalt durch die Sicherheitsfirma Securitas im Bundesasylzentrum Embrach, an die Klagen, die im Kanton Freiburg mit Hilfe von «Solidarité Tattes» und «Droit de rester Fribourg» eingereicht wurden oder an den Bericht von «3 Rosen gegen Grenzen». Kürzlich veröffentlichte «Vivre ensemble» die Abschrift einer Tonaufnahme, die das Fehlverhalten einiger Sicherheitsmitarbeiter der Zentren beweist.
Dies zeigt mehrere Dinge. Erstens ist der Versuch, geflüchtete Menschen durch die geographische und administrative Unzugänglichkeit der Zentren zu isolieren, zwar effizient, aber nicht unüberwindbar. Trotz des Verbots, bestimmte Zentren zu betreten, und trotz der Erschwernisse durch komplizierte Zeitpläne und allgemeines Misstrauen ist es Aktivist·inn·en gelungen, mit Geflüchteten in Kontakt zu treten, ihre Zeugenaussagen zu sammeln und diese gegebenenfalls beim Einreichen von Anzeigen zu unterstützen. Zweitens sehen wir, dass sich das SEM nach altbekanntem Muster verhält: Es stellt sich gegenüber den meisten Kritiken taub und behauptet, dass alles in Ordnung sei und dass sich die Abläufe ständig verbessern würden. (…)
Die Arbeit der Basisgruppen
Gegen das sehr undurchsichtige System des SEM vorzugehen, ist extrem schwierig. Es ist schwer zu sagen, wie lange, ohne die Arbeit der Basisgruppen, diese Gewaltakte der breiten Öffentlichkeit verborgen geblieben wären. Die politische und aktivistische Erfahrung dieser engagierten Gruppen wird selten gewürdigt, ist aber für die Demokratie und die Menschenrechte grundlegend. Aus diesem Grund wollen wir in einer besonderen Ausgabe unseres Bulletins (Newsletter von Sosf, Anm. d. Red.) die rechtliche und politische Arbeit der kleinen Organisationen rund um das neue Asylsystem ins Licht rücken. Die Dezember-Ausgabe wird ihnen gewidmet sein. Wir haben begonnen, die uns bekannten Gruppen zu kontaktieren, damit sie an dieser Sonderausgabe teilnehmen können. Wenn Sie selbst in einer Gruppe arbeiten, die das SEM auf Menschenrechtsverletzungen in den Zentren aufmerksam gemacht hat, oder Sie dies in eigenem Namen getan haben, kontaktieren Sie uns bitte unter sekretariat@sosf.ch und wir werden Ihren Einsatz gerne in unser Bulletin aufnehmen.
Wir nutzen diesen Text auch, um Sie auf eine wichtige Petition aufmerksam zu machen, die von einer breiten Koalition von Komitees und Organisationen in Genf gestartet wurde und auf möglichst viele Unterschriften wartet. Das Ziel ist es, den Bau eines Ausschaffungszentrums in Grand-Saconnex zu verhindern. (…) Um die Petition zu unterschreiben und um unsere Stellungnahme zur Gewalt in den Zentren zu lesen, gehen Sie bitte auf unsere Homepage: www.sosf.ch Solidarité sans frontières, Juli/August 2021
PS. Um gegen die Brutalisierung des Umgangs mit den Asylsuchenden in der Schweiz zu protestieren, findet am 2.10.2021 in Bern eine gesamtschweizerische Kundgebung statt.
Der Schweizer Auflage dieses Archipels liegt ein Flugblatt bei und wir laden Euch alle ein nach Bern zu kommen!
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