Neuer Kampf der Landarbeiter_innen im Souss

von Marc Ollivier Sozialwissenschaftler (CNRS), Frankreich, 27.04.2015, Veröffentlicht in Archipel 236

Es ist kalt in diesem Winter im Tal von Souss-Massa (Region von Agadir im Süden Marokkos). Trotzdem errichteten seit dem 8. Januar 2015 Arbeiter_innen (in grosser Mehrzahl Frauen) ein Tag und Nacht besetztes Lager vor einer der Verpackungsstationen der französischen Firmengruppe SOPROFEL-IDYL. Es handelt sich um ein französisch-marokkanisches Unternehmen, spezialisiert auf die Herstellung und den Export von landwirtschaftlichen Produkten, vor allem aussersaisonales Gemüse für Europa, das in Plastiktunnels gezogen wird. Der Konzern ist mit 7.000 Arbeit-nehmer_innen einer der grössten landwirtschaftlichen Handelsbetriebe Marokkos und auch Hauptlieferant von IDYL mit Sitz in Frankreich. Die beiden Teilhaber (ein Marokkaner und ein Franzose) trennten sich im Mai 2014 und teilten die Gruppe in zwei Unternehmen auf: ROSAFLOR und SOPROFEL-IDYL. Die Arbeit-nehmer_innen waren die ersten Opfer dieser Trennung. Sie wurden entlassen und sind seit dem Sommer 2014 ohne Arbeit; ihre Situation wurde dadurch sehr prekär. Dank der gewerkschaftlichen Aktion wurden dann die meisten von ihnen nach und nach wiedereingestellt; 140 Personen blieben jedoch ohne Arbeit, obwohl die beiden Unternehmen ihren Betrieb wiederaufgenommen hatten. SOPROFEL-IDYL weigert sich, diese Arbeit-nehmer_innen zu integrieren, unter dem Vorwand, es gäbe nicht genug Arbeit für alle. Die Neuangestellten müssen allerdings oft Überstunden absolvieren. Das alles ist kein Zufall, denn bei den Nicht-Eingestellten handelt es sich um die Gewerkschaftsmitglieder.

Ein starker Widerstand
Der nationale Verband des Landwirtschaftssektors FNSA (Marokkanische Union der Arbeit) organisierte am 12. Februar 2015 gemeinsam mit den Arbeiter_innen eine regionale Karawane. Ungefähr 600 Demons-trant_innen solidarisierten sich vor dem Sitz des Unternehmens mit den Besetzer_innen, die seit dem 8. Januar dort ausharren. Sie kämpfen für ihre Rechte und fordern ihre Wiedereinstellung. Die Solidaritätskarawane stiess auf ein grosses Echo. Die Demons-trant_innen prangerten Polizeiübergriffe an und verkündeten, dass sie den Kampf weiterführen würden.
Hier handelt es sich nicht um den ersten sozialen Konflikt in diesem Betrieb: Obwohl dieser Riesenmengen an Gemüse verkauft, versteift sich das Unternehmen darauf, seine Angestellten systematisch in unsicheren Arbeitsverhältnissen zu belassen. Schon 2006 kam es zu Revolten, vor allem, um das Recht auf Gewerkschaften zu verteidigen. Im April 2012 traten sechs Arbei-ter_innen während 38 Tagen in den Hungerstreik. Die Solidaritätsbekundungen auf lokaler und internationaler Ebene zwangen den Betrieb schliesslich zu Konzessionen: Er unterzeichnete ein Abkommen für finanzielle Entschädigung bei unberechtigten und missbräuchlichen Entlassungen.
Die Rolle der EU
Diese von europäischen Konzernen provozierten Arbeitskämpfe sind das Resultat einer totalen Verweigerung jeglicher Verantwortung seitens der EU, was die Einhaltung von Menschenrechten betrifft. Einerseits übt die EU stärksten Druck aus, wenn es um Handelsabkommen geht, die sie zum Beispiel mit Marokko unterzeichnete, damit Kapitalanleger von Privatunternehmen respektiert werden und im gegenteiligen Fall strenge Sanktionen vorgesehen sind. Andererseits sind in diesen Freihandelsabkommen, Kooperationsverträgen und anderen Absprachen keine zwingenden Übereinkünfte betreffend der Einhaltung von Menschenrechten oder des Arbeitsrechts zu finden. Es ist wichtig, gegen diese Tatsachen vorzugehen und die Solidarität unter den Menschen auf beiden Seiten des Mittelmeers zu verstärken. Zumindest sollten die europäischen Konsument_innen verlangen, dass die in Marokko produzierten Tomaten unter korrekten sozialen Bedingungen und ohne Umweltvergiftung angebaut werden.
Agrarbusiness und Armut
Die Soussebene war Anfang der 1990er Jahre der Schauplatz von grossen Investitionen in der Landwirtschaft. Dank der Verarmung der Kleinbauern wurden riesige Landflächen zu günstigen Preisen feilgeboten. Der marokkanische Staat bemühte sich, sowohl ausländischen Investoren (vor allem aus Frankreich und Spanien), wie auch solchen aus Marokko äusserst günstige Bedingungen anzubieten: Steuerermässigungen, keinerlei Vorschriften für die Nutzung des Wassers und des Bodens oder betreffend der Umweltgefährdung. Er verhalf zudem zu billigen Arbeitskräften: Das neue Arbeitsrecht von 2004 garantierte Arbeitsflexibilität und tiefe Löhne.
Die Arbeiter_innen arbeiten 8 Stunden am Tag, 6 Tage in der Woche, 20 Tage im Monat. Sie erhalten das SMAG (Legaler Mindestlohn in der Landwirtschaft), d.h. 0,7 Euros in der Stunde (7,8 Marokkanische Dirhams), was ungefähr 143 Euros im Monat entspricht. Die Sozialleistungen sind im Landwirtschaftsbereich völlig ungenügend, und die Prozentzahl der Arbeitnehmer_innen, die von der nationalen Sozialversicherung profitieren können, beträgt knapp 6 Prozent von einer Million Landarbeiter_innen. Die Gewerkschaftsrechte werden systematisch missachtet. Arbei-ter_innen, die sich für diese einsetzen, werden entlassen, belästigt, gerichtlich verfolgt oder gar eingesperrt.
In der Region Souss-Massa leben ungefähr 100.000 Arbei-ter_innen. Die meisten sind bäuerlicher Herkunft und leben unter miserablen sozialen Bedingungen: Armut, Analphabetismus, ärmliche Wohnverhältnisse und soziale Unsicherheit. Souss-Massa ist trotz seiner Wichtigkeit in der Produktion und im Export von Landwirtschaftsgütern die viertärmste Region Marokkos. Das Agrarbusiness verstärkt also noch die Unterentwicklung der ländlichen Welt und beteiligt sich in keiner Weise an einer minimalen Verbesserung der Basisinfrastrukturen, die fehlen, wie zum Beispiel Gesundheitszentren, Schulen, Verkehrswege, Elektrifizierung und Trinkwasser.
Grossproduktion für den Export
Marokko ist weltweit das fünftgrösste Exportland für Tomaten. Das sind 53 Prozent des gesamten Gemüseexports mit ungefähr 450.000 Tonnen jährlich (Durchschnitt der Jahre 2011-2013). Das entspricht 3.500 Millionen Dirhams (315 Millionen Euros) im Jahr, was 11 Prozent des Gesamtwertes des Nahrungsmittelexports ausmacht. Das System der Gemüseproduktion für den Export - im speziellen dasjenige für die Tomaten - bedeutet extrem betriebene industrielle Landwirtschaft. Die Tomaten werden meistens in Monokultur mit hemmungslosem Einsatz von Pestiziden und chemischem Dünger angebaut. Zudem benötigen die Kulturen übermässig Wasser. Das Saatgut stammt aus den Laboratorien multinationaler Konzerne. Acht Exportfirmen dominieren die Produktion von Obst und Gemüse in Marokko für den Export mit einer grossen Flächenkonzentration. An erster Stelle stehen die ehemaligen königlichen Höfe mit 12.000 Hektaren, danach einige mächtige Familien (Bennani, Smires, Kabbaga) mit jeweils 2.000 Hektaren. Dann gibt es eben die ausländischen Privaten (vor allem französische und spanische), die in Partnerschaft mit Marokkanern grosse Produktionseinheiten für den Export gründeten: zum Beispiel die Unternehmen Azur und Idyl (siehe oben), zwei französisch-marokkanische Gruppen, die beide über mehr als 2.500 Hektaren verfügen.
Diese grossen privaten Exportfirmen entstanden mit der Liberalisierung des landwirtschaftlichen Aussenhandels Marokkos Anfang der 1980er Jahre, in Folge der Programme für strukturelle Anpassung und der Privatisierung der Dienststelle für Aussenhandel, damals die einzige Verwaltungseinheit für die Kommerzialisierung von landwirtschaftlichen Produkten für das Ausland. Kleinbauern, die Tomaten anbauen, sind in Marokko selten. Die Kosten für Infrastruktur und Betriebsmittel sind sehr hoch und die Aufwendungen für Ackerland und Wasser dabei noch nicht miteingerechnet. Der geringe Anteil von Kleinbauern schmolz mit den neuen von der EU eingesetzten Regeln für die Verzollung der Nahrungsmittel noch mehr dahin. So bleiben bald nur noch die Grossproduzenten und Exporteure, die ihre Gewinnspanne weiter vergrössern können.
Vernetzung und Solidarität
Omar Aziki, Generalsekretär von Attac Marokko schrieb in seinem Memorandum vom 23. Mai 2014: «Die grossen Landwirtschaftsbosse in Marokko wie auch in Europa stehen in gegenseitiger Konkurrenz, um Marktanteile zu erobern, um ihre industriellen Landwirtschaftsprodukte abzusetzen. Die jeweiligen Regierungen unterstützen das produktivistische Modell des Agrar-Exports mit all den vielseitigen und zerstörerischen Konsequenzen für die bäuerliche Landwirtschaft, die ländlichen Bräuche, die Subsistenzwirtschaft, für die Nahrungsmittelqualität und die Umwelt. Dieses Agrarbusiness-Modell müssen wir ablehnen und unsere Nahrungsmittelsouveränität wiederfinden und das volle Recht, unsere Grundnahrungsmittel auf unseren Böden selber zu produzieren. Um zum Ziel zu gelangen, müssen wir kollektive Kämpfe auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene führen, vernetzt in Kollektiven, Koordinationen usw., um Arbeiter_in-nen, Bäuerinnen und Bauern, Konsu-ment_innen und alle für das Gemeinwohl engagierten Menschen zusammenzubringen.»
Solidarität ist folglich dringend, sowohl in Marokko als auch auf internationaler Ebene, um einerseits die Wiedereinstellung der entlassenen Arbeiter_in-nen und gewerkschaftliche Rechte zu fordern und andererseits ein anderes Landwirtschaftsmodell. Deshalb laden wir Sie dazu ein, Ihre Unterstützung für den Widerstand der Arbeiter_innen von SOPROFEL-IDYL zu bekunden.

Protestschreiben bitte an folgende Adressen schicken:
IDYL-France: Fax: 0490946100
Mail: ppuech(a)idyl.fr
Gouverneur der Provinz von Chtouka – Fax: 00 212 5 28 81 03 00
Société SOPROFEL in Agadir
Fax: 00 212 5 28 81 85 67
mit Kopie an azikiomar2008(a)gmail.com

  1. Sieg der Arbeiter_innen von Soprofel, Archipel Nr. 206, Juli 2012