ÖSTERREICH: Menschenrechtspreis 2011

19.02.2012, Veröffentlicht in Archipel 200

Am 10. Dezember 2011 erhielt Michael Genner den Menschenrechtspreis 2011 von der österreichischen Sektion der Liga für Menschenrechte als Anerkennung für seine 20-jährige Tätigkeit im Rahmen der von ihm geleiteten Organisation ASYL IN NOT.

Mit seinem Team von jungen Juristen berät er jede Woche zahlreiche Flüchtlinge, die von Ausweisung bedroht sind, ergreift für sie Rechtsmittel und vertritt sie im Asylverfahren. Im Jahr 2011 haben er und sein Team 285 Flüchtlinge gerettet, die sonst ausgewiesen worden wären. Oft verbindet er dies mit Anzeigen gegen korrupte und rassistische Beamte und immer mit einer regen politischen Kampagne, Informations- und Propagandaarbeit, Demonstrationen, Fernsehdiskussionen, Pressekonferenzen sowie öffentlicher Kritik an Innenministern und an der Asylgesetzgebung. Hier ein Auszug aus der Rede, die Michael Genner anlässlich der Preisverleihung hielt:

«Ich weiß diese Preisverleihung wirklich sehr zu schätzen, denn sie ist eine schallende Ohrfeige ins Gesicht aller derer, die die Menschenrechte mit Füßen treten. Als älterer Mensch habe ich eine lange Erinnerung. Meine erste asylpolitische Aktion war 1974: die von Kaplan Cornelius Koch geleitete Freiplatzaktion für Chileflüchtlinge. Als die Schweizer Regierung die Grenzen dicht gemacht hatte und wir einen Ausweg nach Österreich suchten. Unsere Delegation ist damals zu Bundeskanzler Kreisky1 gegangen und er hat uns zugesichert, von der Schweiz abgewiesene Chileflüchtlinge aufzunehmen. Aber mit einem Zusatz: Sie müssten am Flughafen Schwechat ankommen und er müsse die Zeit wissen – dann könne er garantieren, dass sie reingelassen werden. An keinem anderen Grenzübergang. Kreisky war damals seit vier Jahren Bundeskanzler, sozusagen an der Macht, aber er kannte seine Polizei sehr gut. Und besonders die faschistischen Elemente in seiner Polizei. Er musste konspirativ mit uns planen, wann Chileflüchtlinge nach Österreich kommen können.

Wir machen einen großen Sprung in der Zeit. Es gibt heute keinen Bundeskanzler Kreisky mehr, und auch in seiner Partei gibt es nur noch Epigonen, die zerstört haben, was er geschaffen hatte.

Unter dem Innenminister Löschnak unseligen Angedenkens und seinem furchtbaren Juristen Manfred Matzka, vormals Wortführer der Linken in der Sozialdemokratie, der, als er Sektionschef im Innenministerium wurde, seine Gesinnung an der Garderobe abgab, kam die erste massive Gesetzesverschärfung. Damals konnte ich meinen Klienten nur eines sagen: Ich kann nichts für euch tun außer Zeit gewinnen, ein Rechtsmittel, einen Antrag nach dem anderen und durchtauchen, bis eines Tages Löschnak stürzt und ein anderer Minister kommt, der die Menschenrechte respektiert, ein neues Gesetz macht und die Beamtenschaft säubert von antidemokratischen und rassistischen Elementen.
Und wir haben es geschafft: Löschnak ist gestürzt, eine Spätfolge des Lichtermeeres2, Caspar Einem ist gekommen und hat ein neues, besseres Gesetz gemeinsam mit uns NGOs gemacht, das sieben Jahre gehalten hat. Gescheitert ist er an der Sabotage durch eine Beamtenschaft, die rassistisch durchsetzt ist und alle seine Schritte zu unterbinden suchte. Er hat immer gesagt: Ich lasse keine Köpfe rollen - bis sein eigener gerollt ist nach nur zwei Jahren!

Liebe Freundinnen und Freunde, wäre ich eines Tages Innenminister einer demokratischen Reformregierung – ich würde wissen, dass ich es höchstens sechs Monate bliebe, aber ich würde keinen Stein auf dem anderen lassen in der Herrengasse! Und ich würde die Tatsachen vollenden, die Caspar Einem begonnen hat, das tun, was er unterlassen hat. Sein Gesetz hat bis 2004 gehalten, bis Polizeiminister Strasser unseligen Angedenkens eine Novelle gemacht hat, mit der das Zulassungsverfahren eingeführt wurde, das Dublinverfahren3. Damals, am 1. Mai 2004, als das Strassergesetz in Kraft trat, habe ich uns NGOs drei Aufgaben gesetzt: Erstens, Flüchtlinge schützen und Abschiebungen verhindern. Zweitens, das Gesetz unvollziehbar machen und zu Fall bringen. Und drittens: der Strasser muss weg.
Und ich bin ja schon optimistisch veranlagt, aber trotzdem, zu meiner eigenen Überraschung haben wir alle drei Ziele in nur sieben Monaten erreicht: Wir haben das Gesetz unvollziehbar gemacht, haben Flüchtlinge wie Vaha und viele andere erfolgreich versteckt vor der Polizei, bis sie dann legalisiert worden sind, der Verfassungsgerichtshof hat das Gesetz aufgehoben, und am Tag der Menschenrechte, am 10. Dezember 2004, ist Strasser zurückgetreten. Ein Triumph der Menschenrechte! Aber es kommt selten etwas Besseres nach: Jene unselige Ministerin, von der Volker Kier schon gesprochen hat, hat das schrecklichste Gesetz seit jeher gemacht: das Prokop’sche Antifremdengesetz 2005. Und ich weiß noch gut, wenn damals tschetschenische Flüchtlinge zu mir gekommen sind, denen ich geholfen hatte, die Asyl erhalten hatten, und gesagt haben: So, jetzt ist mein Bruder gekommen aus Tschetschenien, können Sie ihm auch helfen? Und ich musste fragen: Wie ist er gekommen? Über die Slowakei, über Polen? Hat er dort seine Fingerabdrücke hinterlassen? Dann werde ich ihm kaum helfen können. Er wird in Traiskirchen sofort verhaftet werden, weil die Computer der Europäischen Union vernetzt sind, man wird feststellen, dass er schon in einem anderen, angeblich sicheren «Dublin-Staat» gewesen ist. Wäre es nicht gescheiter, er geht nicht nach Traiskirchen, er bleibt illegal bei Ihnen, bis bessere Zeiten kommen, in Österreich oder in Tschetschenien, wo es geschwinder geht? Das hat keiner gemacht, sie waren alle schwer traumatisiert, die Frau schwanger, das Kind hat Fieber gehabt, sie sind alle nach Traiskirchen wie die Lämmer zur Schlachtbank gegangen in die «Asylstraße»: Fingerprints – und der Vater wurde vor den Augen von Frau und Kindern in Handschellen abgeführt. Das war Prokopland 2006. Und man möge verstehen, dass ich deshalb dieser Dame keine Träne nachgeweint habe!4

Wir haben Schubhaftbeschwerden gemacht am laufenden Band und zuerst alle verloren, dann aber gewonnen 2007 beim Verwaltungsgerichtshof, der den berüchtigten Prokop’schen Schubhaftparagraphen gekippt hat und die Verhaftungen am Beginn des Verfahrens für rechtswidrig erklärte.
Was ist geschehen? Die Fekter5 ist gekommen und hat neue Novellen gemacht, immer wieder nach jedem juristischen und politischen Erfolg ein neuer Versuch, die Menschenrechte zu brechen.
Wir haben auch das mit vielen Demonstrationen und vielen Rechtsmitteln erfolgreich bekämpft.
2006 waren wir ganz unten. Es geht immer Wellenberg und Wellental. Wir haben vielen Menschen geholfen und stehen heute im Begriff, eine Offensive zu führen.
Wir wollen eine grundlegende Wende. Wir kämpfen für eine Neuordnung des Staatsapparates. Für rassistische, antidemokratische Elemente darf es in der Polizei, in der Justiz, im Bundesheer und in der gesamten Verwaltung keinen Platz geben! Dafür wollen wir alle gemeinsam ans Werk gehen: Österreich muss wieder Asylland werden. Die Menschenrechte müssen wieder gelten in diesem Land!»

  1. Dr.Bruno Kreisky, österreichischer Bundeskanzler von 1970 bis 1983
  2. Massenkundgebung in Wien gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Jänner 1993
  3. die Regelung von Dublin zielt darauf ab, den EU-Staat zu bestimmen, der für einen Asylantrag verantwortlich ist (der Staat in welchem der Asylsuchende den EU-Raum betreten hat), und sieht eine Ausweisung des Asylsuchenden in selbigen vor
  4. Innenministerin Liese Prokop, gestorben 2006
  5. Maria Fekter, Innenministerin 2008-2011