ÖSTERREICH: Vincenc-Rizzi-Auszeichnung an Longo mai

14.02.2012, Veröffentlicht in Archipel 200

Vincenc Rizzi, 1816 – 1856, Vorkämpfer des Vormärz und Wegbereiter liberaler Ideen, setzte sich für die Gleichberechtigung aller Völker in den Habsburger Ländern ein. Sein Aufruf «Nicht unterdrückt, sondern erlernt soll die slowenische Sprache werden» war ein Appell zur Schaffung einer Kultur des Zusammenlebens. Nach Peter Handke im Jahr 2010 wurde nun Longo mai am 13 Dezember 2011 in Eisenkappel vom slowenischen Kulturverband in Kärnten mit diesem Preis ausgezeichnet. Auszüge aus der Laudatio von Dr. Božidar Jakšic.*

Es sind mehr als drei Jahrzehnte vergangen, seit sich eine Gruppe von begeisterten jungen Leuten aufgemacht hat, um hier in Bad Eisenkappel/Železna Kapla, am Hof Stopar, eine positive Utopie zu leben. Sie waren Teil der europäischen Jugendbewegung, die im Jahr 1968 ausrief: «Seien wir realistisch, verlangen wir das Unmögliche!». Sie weigerten sich, Gefangene der Großkonzerne und der Bürokratie zu werden. Sie träumten von einer Utopie freien gemeinschaftlichen Zusammenlebens und davon, dass sie mit Landwirtschaft und Schafzucht ihre Existenz sichern könnten. Die Anfänge waren bescheiden, sie renovierten einen verlassenen Hof. Ihre Vision war ein freies, solidarisches, pazifistisches und demokratisches Europa, das auf freiwilligen, selbstverwalteten Gemeinschaften beruhen würde. (…) Der Hof Stopar wurde eine von mehreren Jugendkommunen der Longo maï - Bewegung, die ein vereintes Europa ohne Staatsgrenzen und Klassenunterschiede anstrebte; ungewöhnliche, junge Leute, die natürlich zuerst in ihrer Umgebung eine gewisse Skepsis hervorriefen. In den folgenden Jahrzehnten bereicherten sie jedoch mit ihrem Enthusiasmus, ihrer Arbeit, ihren Ideen von menschlicher Solidarität und Freiheit nicht nur Eisenkappel, sondern auch die Balkanländer, die von Hass und Leid zerrissen waren.(…)
Wir, die BürgerInnen der Balkanländer, haben besondere Gründe, ihnen heute zu danken. Die Kooperative am Hof Stopar war uns nicht nur geographisch am Nächsten, sondern war uns auch ein Ort, wo wir uns in Europa zuhause fühlten. Für uns war sie eine Schule der Großzügigkeit, der Solidarität und des freundschaftlichen Verständnisses. Sie nahmen aktiv teil an Kampagnen zur Unterstützung von DeserteurInnen, Asylsuchenden und Flüchtlingen. Unter ihrem Dach haben junge Menschen aus Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Serbien Freundschaft geschlossen statt sich zu hassen. Um der Kriegshetze etwas entgegenzusetzen gründete das Europäische Bürgerforum mit JournalistInnen aller ehemaligen jugoslawischen Republiken und Regionen das alternative Informationsnetz AIM im Oktober 1992. Durch AIM konnten etwa 120 JournalistInnen rund 12.000 Artikel und Kommentare veröffentlichen. Sie trafen sich regelmäßig zu AIM-Sitzungen am Hof Stopar. Ich kann mit Worten nicht beschreiben, was es den BürgerInnen des ehemaligen Jugoslawien in dieser Zeit bedeutete, korrekte Informationen von «der anderen Seite der Barrikade» zu erhalten! Einfach gesagt, dank der Kooperative Longo mai wurde die Informationsblockade zwischen den kriegführenden Balkanländern überwunden. Gibt es einen besseren Beweis dafür, dass kleine Gemeinschaften Großes vollbringen können? (…)
Der Hof Stopar war ein großes Sprachlabor. Man hörte Deutsch, Französisch, Englisch, Slowenisch, Ukrainisch, Russisch, Spanisch, verschiedene afrikanische Sprachen, deren Namen ich leider nicht kenne, und auch mein eigenes, totgesagtes Serbokroatisch. Sie haben allen Menschen guten Willens die Hand der Freundschaft gereicht. Sie sprechen der ethnischen Zugehörigkeit die Bedeutung für menschliche Beziehungen ab. Selbst sind sie aus nationalen Ghettos ausgetreten und zeigten auch anderen den Ausweg aus diesen Ghettos. Dieser ist für uns BürgerInnen der Balkanländer der einzige Weg zu einem humaneren Leben. Ich freue mich, dass ihre Lebensweise, nämlich mit den Nachbarn (interkulturell) und nicht nebeneinander (multikulturell) zu leben, vom Slowenischen Kulturverband und vom Zentralverband Slowenischer Organisationen erkannt und mit dem Rizzi-Preis ausgezeichnet wurde.
Ich habe auch ganz persönliche Gründe, mich bei den heute Ausgezeichneten zu bedanken. In den Jahren der totalen Isolation und der internationalen Sanktionen gegen Serbien habe ich während fünf Jahren internationale Symposien zu Interkulturalität organisiert. Die TeilnehmerInnen dieser Treffen, unter der Schirmherrschaft des Europarates, sind aus vielen Ländern nach Belgrad gekommen, darunter aus allen Republiken des ehemaligen Jugoslawien, aus Europa und der Welt, von Japan über Australien bis zu den USA. Es wäre unmöglich gewesen, dieses Projekt zu realisieren ohne die uneigennützige Unterstützung von den Freunden von Longo mai; die TeilnehmerInnen der Symposien waren. (…)
Ich gratuliere den PreisträgerInnen und jenen, die den Vincenc-Rizzi-Preis verliehen haben mit dem Gruß: «Longo mai es möge lange dauern!»

*Dr. Božidar Jakšic, Universitätsprofessor der Soziologie, wurde 1937 in Bosnien geboren. In Sarajevo studierte er Philosophie, Geschichte und Soziologie. Anfang der 1970er Jahre wurde er während einer Vorlesung an der Philosophischen Fakultät verhaftet und verlor seinen Lehrauftrag an der Universität von Sarajevo. Er galt als Dissident, weil er einen Artikel in der kritischen Zagreber Philosophie- Zeitschrift Praxis veröffentlicht hatte und die Studentenbewegung von 1968 unterstützte. Er war Mitglied der systemkritischen Gruppe Praxis, Ratsmitglied der Korcula Sommerschule, Chefredakteur von Sociologija, Zeitung der Soziologischen Vereinigung Jugoslawiens, und später Direktor des Instituts für Philosophie und Soziale Theorie an der Universität Belgrad. Dr. Jakšic publizierte neun Bücher, davon zwei über das Leben der Roma in Serbien, und viele andere Artikel. Nächstes Jahr (2012) wird sein neues Buch über die Geschichte der kroatischen Philosophie-Zeitschrift Praxis erscheinen